Bin ich eine Verräterin?
Meine letzte, hier auf Watson veröffentlichte Kolumne hatte riesige Resonanz.
Mich freute das sehr, vor allem aus dem Grund, dass es sich um einen Versuch meinerseits handelte, meine politische Sicht- und Denkweise zugänglich zu machen, auch, oder vor allem, für Menschen, die anders denken als ich. Gleichzeitig war es mir u.a. wichtig, zu betonen, dass ich «Alle Rechten sind dumm»-Parolen für falsch halte und dass ich gewisse Skepsis den momentanen Vorgängen gegenüber durchaus nachvollziehen kann. Der Text sollte kein Angriff sein, sondern eine Erläuterung.
Ich rechnete bei der Publikation mit dem Ärgsten, denn wie immer, wenn Emotionen im Spiel sind, ging ich von Streit mit Gift und Galle aus. Umso überraschter war ich darüber, wie gesittet und positiv es in den Kommentaren zum Text zu und her ging. Natürlich waren da einige, die automatisch sofort auf Angriff schalteten, wie auch bei jedem anderen Artikel zur Flüchtlingskrise. Das finde ich zwar schade, aber es ist selbstverständlich ihr gutes Recht und auch hier kann ich das, nach Monaten der Auseinandersetzung zu diesem Thema, irgendwie verstehen.
Davon gab es jedoch, gerade für ein so politisches Thema, überraschend wenige.
Auf der anderen Seite waren da aber solche, von denen ich weiss, dass sie sonst keine Fans von mir sind, diesen Text jedoch für gut hielten und das auch zum Ausdruck brachten. Andere, die politisch komplett anders eingestellt sind, teilten mir mit, dass sie meinen Versuch der Vermittlung schätzten und dass sie meine Gedankengänge interessant gefunden hätten. Das hätten sie alle nicht tun müssen.
Ich fand das wirklich grossartig, vor allem bei einem solch menschlichen Thema.
Wenn man sich grundsätzlich einmal achtet, ist es erstaunlich, was für einen Anstieg der Qualität einer Diskussion es ausmacht, wenn die beiden Seiten sich zuhören, auch wenn sie komplett unterschiedlicher Meinung sind, und einander auch zugestehen, wenn der andere einmal Recht haben sollte. Im Volksmund nennt man das wohl Respekt und das ist genau das, was so vielen Diskussionen heute fehlt. Ich nehme mich da durchaus auch an der eigenen Nase – wenn’s emotional wird, schreibe auch ich manchmal Dinge, die ich im Nachhinein bereue.
Ein Grundproblem, welches meines Erachtens respektvolle Diskussionen verhindert, liegt bereits ganz am Anfang des Austauschs. Im Tenor des ersten Kommentars. Anstatt zu versuchen, die eigene Sichtweise so neutral wie möglich darzulegen, gehen viele gleich auf Angriff, fluchen, zetern, werden ausfällig oder greifen zu Extremen (z.B. «Alles naive Gutmenschen» oder eben «Alle Rechten sind dumm»). Natürlich löst eine so wütende Aussage in jemandem, der anders denkt, sofort ebenfalls Wut aus und der Kommentar, der dann folgt, ist nicht minder charmant im Ton, einfach politisch anders gefärbt (z.B. «Du Nazi» oder «Du arroganter linker Schnösel»). Eine Diskussion wie diese ist von Beginn an zum Ausarten verurteilt und die Wahrscheinlichkeit, dass sie konstruktiv endet, tendiert gegen Null.
Anders ist es, wenn man die Meinung des Gegenübers anerkennt und dann die eigene Sichtweise aufzeigt, vielleicht sogar auf der Argumentation des anderen aufbauend. Zu einem solchen Austausch gehört, wie oben bereits erwähnt, dem Opponenten auch einmal Recht zu geben, wenn er denn Recht hat. Nichts ist sympathischer und de-eskalierender als wenn jemand sagt: «Stimmt, da habe ich mich getäuscht» oder «Da muss ich dir Recht geben, das habe ich wohl nicht zu Ende gedacht». Nur fällt es bei Diskussionen mit verhärteten Fronten natürlich unglaublich schwer, das zu tun.
Die Konsequenz daraus ist oft, dass man aus Prinzip alles ablehnt, was der Gegenposition entspricht, anstatt dass man zugeben kann, dass das Gegenüber durchaus den einen oder anderen wichtigen und richtigen Punkt aufzeigt. Und wenn man nicht mehr weiter weiss, geht man unter die Gürtellinie – genau wie beim Streit zwischen PrimarschülerInnen, bei dem in diesem Moment die erste Faust fliegt.
In der Politik zeigt sich dies am offensichtlichsten, und zwar nicht nur bei (Online-) Diskussionen, sondern auch an der Urne. Man wählt mittlerweile gegen eine bestimmte Partei, weil man «das Böse auf der anderen Seite» nicht unterstützen will – die Sache, über welche man abstimmt, gerät in den Hintergrund.
Ist das nicht entgegen dem eigentlichen Demokratiegedanken? Wenn man diese (weltweit einmalige) Freiheit brauchen muss, um eine Partei oder eine politische Seite ruhigzustellen oder abzustrafen?
Es stellen sich mir zum Abschluss folgende Fragen: Kann man es als Linke/r heute vertreten, auch einmal SVP zu wählen, wenn man deren Idee denn (für einmal) für richtig halten sollte? Das passiert natürlich sehr selten, was in der Natur politischer Gesinnung liegt.
Wenn es aber einmal vorkommen sollte: Kann man «Ja» zur SVP sagen oder muss man davon ausgehen, dass alle auf der anderen Seite demonstrativ gegen einen wählen und es die eigene Stimme braucht, um das generelle Gleichgewicht zu halten?
Und dasselbe natürlich auch andersrum?
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