Eine Woche bevor die russische Armee in die Ukraine einmarschierte, verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das die Verlagerung wertvoller Daten der Regierung und der Privatwirtschaft in die Cloud erlaubt.
Das war ein wichtiger, ja überlebenswichtiger Entscheid, wie der 31-jährige ukrainische Vizepremierminister und Minister für digitale Transformation später sagte.
Mykhailo Fedorov meint es todernst, wenn er auf die Kooperation mit dem US-Techkonzern Amazon und dessen Tochter Amazon Web Services (AWS) zu sprechen kommt.
Seit dem 24. Februar 2022, dem Tag, an dem Russland seine Invasion startete, hat Amazon eng mit der Ukraine zusammengearbeitet. Konkret ging es um die Rettung unverzichtbarer Regierungs-, Steuer-, Bank- und Eigentumsdaten, die anfällig für Zerstörung und Missbrauch waren und nicht den russischen Eindringlingen in die Hände fallen durften.
In speziell geschützten, kofferartigen Speichereinheiten von Amazon, die «Snowball Edge» genannt werden. Es handelt sich um mächtige Solid-State-Datenträger (SSD), die im Gegensatz zu herkömmlichen Festplatten keine beweglichen Teile verbaut haben und deshalb auch unempfindlich gegen Stösse, Erschütterungen und Vibrationen sind.
Das Exportieren über das Internet, also das Hochladen in ausländische Rechenzentren, kam aus mehreren Gründen nicht infrage. Zum einen attackierten russische Hacker die Kommunikationsnetzwerke der Ukraine. Vor allem aber waren es schlicht zu grosse Datenmengen: Gemäss einem aktuellen Bericht der «Los Angeles Times» ist es gelungen, «10 Millionen Gigabyte» (= 10 Petabyte) in Sicherheit zu bringen. Damit ist das Hochladen in die um den Globus verteilten AWS-Rechenzentren und die Speicherung in der Cloud gemeint.
Es handle sich quasi um die ganze «kritische Informationsinfrastruktur» der Ukraine, schilderte Fedorov. Diese Daten bildeten «den Kern für das Funktionieren der Wirtschaft, des Steuersystems, der Banken und der Regierung».
Die Daten umfassten auch Grundeigentum: Deren sichere Aufbewahrung trage dazu bei, den Diebstahl ukrainischer Häuser, Geschäfte und Grundstücke zu verhindern (oder zu einem späteren Zeitpunkt rückgängig zu machen).
Die Amazon-Spezialisten halfen über Monate, an die 30 ukrainische Regierungsstellen und andere staatliche Institutionen in die Cloud zu migrieren und damit ausserhalb der Reichweite der russischen Invasionstruppen zu bringen.
Seit Februar spiele Amazon den Weihnachtsmann für die Ukraine, bringt die «Los Angeles Times» das Engagement auf den Punkt. Der US-Handelsriese liefere Flugzeugladungen mit Waren, darunter Decken, Hygienesets, Windeln, Lebensmittel und Spielzeug, für die vom Krieg gebeutelte Nation und die Flüchtlinge in Polen sowie anderen Teilen Europas.
Amazon hat gemäss eigenen Angaben bisher 75 Millionen US-Dollar in die Unterstützung der Ukraine investiert, einschliesslich der Datenrettung mithilfe der SSD-Koffer.
Fedorov, der im Dezember an einer von AWS organisierten Techkonferenz in Las Vegas vor Publikum aufgetreten war, bezeichnete die Datenrettung als «unbezahlbar».
Was die für das Computerzeitalter bislang einmalige Rettungsaktion betrifft, ist ein hochrangiger Amazon-Manager aus Grossbritannien zu erwähnen. Liam Maxwell trägt den Titel «Director of Government Transformation» bei AWS.
Zuvor war er der Top-Technologieberater der britischen Regierung und gehörte zu den führenden Köpfen, die für eine Cloud-First-Strategie verantwortlich waren.
Am Tag der russischen Invasion traf sich der umtriebige Techmanager mit dem ukrainischen Botschafter in London zum Mittagessen. Dort einigten sie sich darauf, die ukrainischen Regierungssysteme in die Cloud zu migrieren. Resultat: Die Behörden konnten im Krieg weiterarbeiten – ungeachtet des von Russland angerichteten Schadens.
Am 29. November unterzeichneten Fedorov und Maxwell ein Memorandum, in dem sie vereinbarten, die Partnerschaft bis 2023 fortzusetzen.
watson hat die Künstliche Intelligenz (KI) von OpenAI gefragt, welche Motive das gewinnorientierte US-Unternehmen Amazon mit seiner Ukraine-Hilfe verfolgen könnte.
Die KI antwortete, Amazon könnte mehrere Motive haben, bei der Sicherung der ukrainischen Daten zu helfen:
Das Fazit des Redaktors: Die gelungene Migration der ukrainischen Regierungs- und Wirtschaftsdaten in die Amazon-Cloud ist eine Win-win-Situation – für alle direkt Beteiligten, aber auch für die westlichen Demokratien. Der Zusammenbruch der Ukraine muss unter allen Umständen verhindert werden: weil dieser (unermessliches) zusätzliches Leid bei der betroffenen Bevölkerung anrichten würde. Und weil die auf einen gesellschaftlichen Kollaps folgenden Flüchtlingsströme ganz Westeuropa destabilisieren könnten.