Wir nennen unsere Handys zwar seit rund zehn Jahren Smartphones – aber einigermassen klug werden sie erst jetzt – und zwar dank Künstlicher Intelligenz (KI). Drei Beispiele:
Dass KI in weiten Teilen der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf geniesst, haben nicht zuletzt Firmen wie Apple, Google und Facebook mit halbgaren Produkten zu verantworten. Apples Siri wurde 2011 als smarte, sprachgesteuerte Assistentin vorgestellt, scheitert aber bis heute an gefühlt jeder zweiten Frage.
Googles Übersetzungsdienst ist seit Jahren eine Lachnummer. Und Facebooks penetrante Aufforderung, man solle doch bitte die automatische Gesichtserkennung aktivieren, verdarb uns künstliche Intelligenz endgültig.
Doch es geht auch anders: Dass KI eine grosse Hilfe sein kann, beweist seit über einem Jahr der verblüffend gute Online-Übersetzungsdienst Deepl.com. Wer glaubte, dass Computer unsere Sprache nie verstehen würden, muss spätestens seit DeepL umdenken.
Oft unterstützt uns die KI, ohne dass wir es merken. Wenn das Smartphone das verwackelte Ferienvideo in ein ruhiges, fast perfektes Filmchen umwandelt, geschieht dies dank KI. Und wenn das Smartphone ein viel zu dunkles Foto automatisch aufhellt, werkelt ebenfalls die KI.
Kein Wunder also, betonen Smartphone-Hersteller neuerdings auffallend oft die KI-Fähigkeiten ihrer Geräte. Google behauptet, der KI-Chip in den Pixel-Smartphones sorge für perfekte Poträtfotos. Huawei sagt, seine Smartphones würden dank KI nie langsamer. Doch bisher liessen sich diese vollmundigen Behauptungen kaum überprüfen. Hier kommt die App AI Benchmark der ETH Zürich ins Spiel. Sie enthüllt, ob man den Marketingbotschaften der Smartphone-Hersteller glauben kann – oder nicht.
«Irgendwann wurden wir neugierig, was die KI-Algorithmen auf Smartphones wirklich können», sagte KI-Forscher Andrey Ignatov vom Computer Vision Lab der ETH dem Techportal Techcrunch. Er hat eine App entwickelt, welche die KI-Leistung von Android-Smartphones misst und vergleicht.
(Fürs iPhone bzw. iOS gibts die App nicht).
Ist die Gratis-App installiert, lässt sie das Smartphone neun typische KI-Tests durchlaufen: Zum Beispiel Objekte erkennen, Prominente identifizieren oder die Bildqualität von Fotos optimieren. So lässt sich die KI-Leistung der Smartphones von Samsung, Huawei, Nokia etc. objektiv vergleichen.
Aus den einzelnen Tests berechnet die App eine Gesamtpunktzahl, den sogenannten KI-Score. Je höher die Punktzahl, desto «intelligenter» ist das Smartphone bzw. desto schneller und besser kann es Aufgaben erledigen, die KI nutzen.
Auf der Projekt-Website sind die aktuellen KI-Resultate diverser Android-Smartphones aufgelistet. Es fällt auf, dass Huawei mit seinen eigenen Kirin-Prozessoren die Liste nicht nur anführt, sondern die Konkurrenz deklassiert.
Aktuell ist das Ranking vor allem für Smartphone-Nerds spannend, die wissen wollen, ob ihr Gerät wirklich die KI-Leistung erbringt, die der Hersteller bewirbt.
Der Test enthüllt zum Beispiel, dass Geräte mit dem neuen Top-Prozessor Snapdragon 845 von Qualcomm keineswegs so gut abschneiden, wie man vermuten könnte. Laut Qualcomm bietet der neue Chip eine 8-fache Beschleunigung für KI-Berechnungen. In der Praxis aber müssen Apps, die KI nutzen, bei Smartphones mit dem teuren Snapdragon-845-Prozessor momentan ganz ohne KI-Beschleunigung auskommen. Qualcomm stelle die notwendigen Treiber schlicht noch nicht zur Verfügung, sagt der ETH-Forscher. Das Marketingversprechen ist also im Moment nur heisse Luft.
Huaweis Dominanz können die Forscher leicht erklären: Bislang nutzen Smartphones für die allermeisten KI-Algorithmen die geballte Rechenkraft der Cloud, sprich die Aufgaben werden an ein Rechenzentrum übermittelt, die Antwort wird auf dem Server generiert und wieder aufs Smartphone geschickt.
Neuerdings statten Smartphone-Hersteller ihre Topmodelle mit zusätzlichen KI-Chips aus, die speziell für die Bild- und Spracherkennung entwickelt werden. Vereinfacht gesagt sollen KI-Chips helfen, dass Fotos und Videos besser aussehen, Sprachassistenten verstehen, was gesprochen wird oder der Akku durch ein besseres Energie-Management länger läuft. Huawei hat hier eine Vorreiterrolle inne.
In den neueren Huawei-Smartphones steckt nebst dem Haupt- und Grafikprozessor zusätzlich ein KI-Chip, sprich eine Neural Processing Unit (NPU). «Huaweis neuronale Prozessoreinheit sorgt für eine fast 10-fache Beschleunigung für KI-Berechnungen, so dass selbst die leistungsstärksten Prozessoren und Grafikchips der Konkurrenz damit nicht mithalten können», sagt Ignatov.
Huawei-Smartphones mit KI-Chip erledigen KI-Aufgaben also massiv schneller als die aktuellen Top-Smartphones der Konkurrenz, die zwar einen schnelleren Prozessor haben, aber noch ohne KI-Beschleunigung auskommen müssen. «Huaweis neueste Smartphones (P20 /P20 Pro) sind zudem die einzigen Geräte auf dem Markt, die bereits mit Android 8.1 KI-Beschleunigung unterstützen. Alle anderen Smartphones erhalten diese Unterstützung im besten Fall mit Android 9», sagt Ignatov im Techcrunch-Artikel. Die meisten Geräte von Samsung, Sony, HTC oder Nokia werden also frühestens in ein paar Monaten bei der KI-Leistung einen Sprung nach vorne machen.
Geräte mit Samsungs eigenem Exynos-Prozessor sind zwar schnell, haben aber momentan den Nachteil, dass sie immer noch mit Android 8.0 laufen, KI-Beschleunigung aber erst ab Android 8.1 bzw. 9 unterstützt wird. Samsung entwickelt nun eigene KI-Chips und dürfte bald gegenüber Huawei und Qualcom aufholen.
Der KI-Score hängt stark von der Prozessorgeschwindigkeit und dem verfügbaren Arbeitsspeicher ab. Nur schnelle Smartphones können komplexe KI-Algorithmen in nützlicher Frist ausführen. Ein Smartphone mit einem hohen KI-Score kann das Smartphone zum Beispiel schneller per Gesichtsscan entsperren.
KI-Forscher Ignatov erklärt dies im Gespräch mit Techcrunch wie folgt: «Betrachten wir zwei Geräte: Eines mit einer Punktzahl von 6000 und eines mit einer Punktzahl von 200. Wenn ein KI-Algorithmus auf dem ersten Gerät fünf Sekunden läuft, bedeutet dies, dass die gleiche Berechnung auf dem zweiten Gerät etwa 30 mal länger dauert, also rund 2,5 Minuten. Und wenn wir über Anwendungen wie die Gesichtserkennung nachdenken, ist die Bedeutung der Geschwindigkeit offensichtlich: Niemand wird zehn Sekunden warten, bis sein Handy versucht, einen zu erkennen.»
Nebst dem KI-Chip und der allgemeinen Rechenleistung ist der verfügbare Arbeitsspeicher (RAM) für viele KI-Aufgaben entscheidend. Um Bilder in hoher Auflösung überhaupt per KI analysieren zu können, sollte ein Handy mindestens 6 GB RAM haben, schreiben die ETH-Forscher.
Künftig werden wohl immer mehr KI-Aufgaben direkt auf dem Smartphone ausgeführt. Deshalb könnte die Rangliste der besten KI-Smartphones der ETH deutlich wichtiger werden, als sie es heute ist.
Die ETH-Forscher hoffen, dass AI-Benchmark für andere Forscher, Chiphersteller, aber auch App-Entwickler nützlich sein wird: App-Entwickler können so abschätzen, wie schnell ihre KI-Modelle auf verschiedenen Geräten laufen werden. Insgeheim hoffen die Forscher sicher auch, dass das KI-Ranking der ETH zu einem Quasi-Standard in der Branche wird, ähnlich wie es die Kamera-Bewertungen von DxOMark oder die Display-Tests von Displaymate seit Jahren sind.
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