Der 4. November 2019 ist ein grosser Tag für VW in Zwickau: Im Volkswagen-Werk startet die Serienproduktion des ID.3. Das kompakte Elektroauto soll ein neues Zeitalter einläuten – für den global agierenden Konzern und für den sächsischen Standort gleichermassen: Volkswagen stellt erstmals schrittweise eine komplette Autofabrik um – von 100 Prozent Verbrennungsmotor auf 100 Prozent «E».
Ab 2021 peilt Volkswagen 330'000 Einheiten jährlich an. Das bedeutet: Bei aller Automatisierung im ID.3-Fertigungsprozess sind 8'000 Arbeitsplätze vor Ort auf absehbare Zeit gesichert. Zwickau, einst Geburtsstätte der Marke Horch, soll laut Volkswagen das grösste und leistungsfähigste E-Autowerk Europas werden – und das Aushängeschild ID.3 das dritte Volksauto von VW nach Käfer und Golf.
Ab 2040 wollen die Wolfsburger keine Pkw mit Diesel- oder Benzinmotor mehr herstellen, bei Mercedes-Benz sollen ab 2039 nur noch E-Autos und Plug-in-Hybride (PHEV) von den Bändern rollen. Die von Emotionen und Sound geprägte Epoche der High-Performance-Verbrennungsmotoren geht zu Ende. Bye-bye, all ihr wunderbaren Sechs-, Acht- und Zwölfzylinder.
«Wir geben uns die kommenden 20 Jahre, um unsere Flotte auf CO2-Neutralität umzustellen», sagt Daimler-Chef Ola Källenius. «Bereits 2030 peilen wir mehr als die Hälfte des Pkw-Absatzes mit Plug-In-Hybriden oder rein elektrischen Fahrzeugen an.» Damit die auch wirklich ins Rollen kommen, muss noch einiges geschehen in der Auto-Republik Deutschland. «Für eine Marktdurchdringung von E-Autos muss die Ladeinfrastruktur im öffentlichen und privaten Raum rasch, nachhaltig und flächendeckend ausgebaut werden», fordert Bernhard Mattes, der scheidende Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Die rund 20'000 öffentlichen Ladepunkte, die es heute bereits in Deutschland gibt, reichten bei weitem nicht aus für die Elektro-Bekehrung der Automobilisten. Bis 2030 seien laut Verband der Automobilindustrie eine Million öffentliche Ladepunkte notwendig, zusätzlich 100'000 Schnellladepunkte und mehrere Millionen private Ladepunkte, um die gewünschte E-Mobilitätswende zu realisieren.
Wie es vorangehen kann und soll, wird parallel zum Zwickauer ID.3-Festakt Thema im Bundeskanzleramt sein. Am 4. November trafen sich dort zum wiederholten Male Vertreter der Bundesregierung und Spitzenmanager der Autoindustrie zum E-Mobilitäts-Gipfel. Und beratschlagen erneut, wie man in möglichst kurzer Zeit möglichst viele E-Autos auf die Strasse bekommt. Um zum einen die nächste Stufe der ausgegebenen Klimaziele zu erreichen. Und vor allem, um die Zukunftsfähigkeit der Autobranche zu erhalten. Denn die steht stärker denn je auf der Kippe.
Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» attestierte der deutschen Autoindustrie unlängst einen Motorschaden. «Ein Jahrhundert lang setzte sie die Standards, nun laufen BMW, Daimler, Audi und VW gefährlich weit hinterher», lautet das Fazit eines fünfköpfigen Autoren-Teams. Die Geschicke des autonomen Fahrens würden in den Zukunftslabors von Digitech-Firmen wie Google-Schwester Waymo bestimmt. Den grossen deutschen Herstellern drohe, künftig zu blossen Zulieferern von Karosserien und Fahrwerken degradiert zu werden. Das Aus des Verbrenners sei noch nicht in ihrem Bewusstsein angekommen.
Hunderttausende der rund 1.8 Millionen Arbeitsplätze, die bundesweit direkt und indirekt an der Automobilbranche hängen, seien gefährdet. Faustregel: je höher der Marktanteil (MA) der technisch weniger komplexen E-Autos, desto grösser der Jobverlust. Steigt der Elektro-MA bis 2030 auf 25 Prozent, fallen in der hoch spezialisierten deutschen Autoindustrie 74'000 bis 80'000 Arbeitsplätze weg, prognostiziert das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Sollte er auf 40 Prozent klettern, wären es 80'000 bis 90'000 Jobs. Bei einem (unwahrscheinlichen) E-Anteil von 80 Prozent sagt das Fraunhofer IAO gar 107'000 bis 125'000 Stellenverluste voraus.
Eine neue Modellrechnung des Naturschutzverbands BUND geht noch ein ganzes Stück weiter: Bis zu 360'000 Arbeitsplätze drohen demnach der Vorzeigebranche verloren zu gehen. Fortschritte in der Produktivität könnten laut dieser Rechnung 150'000 Jobs kosten, weitere 160'000 drohen wegzufallen, weil E-Autos lange nicht so komplex sind wie Verbrenner und daher von weniger Mitarbeitern produziert werden können, und bis zu 50'000 Stellen könnten Absatzeinbussen durch neue Mobilitätsdienste und ÖPNV-Verbesserungen zum Opfer fallen.
Aktuell hängen vier Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland an der Autoindustrie. Damit könnte es bald vorbei sein. Die Transformation zur Elektromobilität wird die Branche tüchtig durchrütteln, darüber sind sich Politiker, Manager und Wissenschaftler einig. Erste Vorboten zeigen sich schon heute, vor allem bei den Technologie-Konzernen der Zulieferbranche.
Bosch streicht bis Ende 2022 mehr als 2'000 Stellen in Deutschland, vor allem an den Diesel-Standorten; weltweit hängen derzeit noch etwa 50'000 Bosch-Arbeitsplätze an der Selbstzünder-Technologie. Schaeffler kündigte den Abbau von weiteren 1'300 Stellen an, ZF Friedrichhafen verlagert im grossen Stil Jobs ins Ausland, 2'000 Mitarbeiter bangen beim Bodensee-Riesen um ihren Broterwerb. Bei Continental stehen konjunkturbedingt allein im südhessischen Babenhausen rund 2'600 Stellen auf der Streichliste.
Ob die E-Mobilität tatsächlich mit der strategisch erwarteten – und politisch herbeigeredeten – Wucht in Deutschland zu Tage treten wird, ist derzeit noch eine Wette auf die Zukunft. Immerhin: Die Zahl der Neuzulassungen von Elektroautos hat sich seit dem Jahr 2015 nahezu verdreifacht. Im laufenden Jahr wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bereits 47'903 E-Fahrzeuge neu zugelassen (Stand: September 2019), ein Plus von 94.9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hinzu kommen 163'352 Hybridautos (plus 67.9%), darunter 26'487 Plug-in-Hybride (plus 3.6%), die ihre Antriebsbatterie an der Steckdose laden können.
Weltweit betrachtet sind das fraglos noch eher bescheidene Zahlen: Die grossen drei chinesischen Hersteller BYD, BAIC und SAIC verkauften 2018 zusammen rund 485'000 elektrifizierte Pkw (vorwiegend) auf dem Heimatmarkt. Tesla als weltgrösster E-Auto-Hersteller kommt allein im vergangenen Jahr weltweit auf 234'000 Einheiten. Die Nachfrage auf anderen Märkten ist also da. Und dort dürften die deutschen Hersteller bald ein gewichtiges Wort mitreden, vorausgesetzt, es gibt keine Lieferengpässe bei den Batterien.
BMW will bis 2023 insgesamt 25 Modelle mit elektrifiziertem Antrieb im Programm haben, davon zwölf reine E-Autos. Bei Mercedes-Benz sollen es schon Ende dieses Jahres 20 elektrifizierte Modelle sein. Audi will bis Anfang 2021 fünf reine Elektroautos im Portfolio haben, bis 2025 sollen es mehr als 30 Modelle mit Ladestecker sein. Volkswagen will im Zuge seiner Strategie 2025 ab 2026 keine reinen Verbrenner-Modelle mehr anbieten. Aktuell liegen die Wolfsburger mit 54'000 elektrifizierten Antrieben in 2018 auf Platz zwei der deutschen E-Autobauer. Platz eins geht an BMW mit 87'000 E-Autos und Plug-in-Hybride (PHEV) in 2018.
Ich bin mir nämlich sicher, dass in Deutschland bis 2030 mehr Jobs verloren gehen würden, wenn die Hersteller nicht langsam endlich umstellen.
Mal schauen ob sie es mit der Software auch so hinbekommen wie Tesla. Die Leute wollen Updates und Connectivity wie beim Smartphone. Wenn die Deutschen weiter so komplexe Ausstattungen anbieten, haben ich Bedenken, ob die Software da mithalten kann...