Digital
Elektroauto

Mercedes lanciert «Drive Pilot» – das musst du wissen

Mercedes Drive Pilot.
Der deutsche Autohersteller betritt Neuland mit seinem System zum automatisierten Fahren.Bild: Mercedes

Netflix gucken beim Autofahren: Mercedes lanciert «Drive Pilot» – das musst du wissen

06.05.2022, 13:5206.05.2022, 16:27
Mehr «Digital»

Viele Autos haben Fahrassistenz-Systeme. Doch verantwortlich dabei ist am Ende immer noch der Mensch. Mercedes bringt nun als erster Hersteller in Deutschland Technik auf den Markt, die komplett die Kontrolle übernehmen darf.

Dies gilt aber nur in wenigen Fahrsituationen. Im Stau auf deutschen Autobahnen könnte man bald erstmals ein Auto neben sich haben, bei dem das Fahrzeug und nicht der Mensch am Steuer die Verantwortung trägt.

Was kostet es?

Für die S-Klasse kostet die Technik 5000 Euro plus Mehrwertsteuer. Beim Elektromodell EQS werden gut 7400 Euro vor Mehrwertsteuer fällig, weil noch ein Fahrassistenzpaket dazugebucht werden muss. Während die Bestellungen am 17. Mai anlaufen, dürften erste Fahrzeuge mit dem System laut Mercedes im Sommer ausgeliefert werden.

Bisher sind in Autos Fahrassistenzsysteme üblich, die dem Fahrer zwar verschiedene Aufgaben wie das Halten der Spur oder des Abstands abnehmen können. Der Mensch bleibt dabei aber in der Verantwortung und muss die Hände am Steuer lassen. Das gilt zum Beispiel für Teslas Assistenzsystem «Autopilot» – selbst wenn die Software sich wie aktuell in den USA am Stadtverkehr versucht.

Was bringt «Drive Pilot»?

Mercedes bekam in Deutschland dagegen als erster Autohersteller die Zulassung für den Betrieb eines Systems, bei dem der Fahrer in bestimmten Situationen offiziell die Kontrolle an das Fahrzeug abgeben und zum Beispiel fernsehen darf.

Selbst ein Handy kann man dann im Fahrersitz ganz legal nutzen – auch wenn Mercedes-Manager darauf verweisen, dass es keine gute Idee sei, ein Gerät zwischen den Airbag und sein Gesicht zu bringen. Der Fahrer muss zugleich jederzeit bereit sein, wieder die Steuerung zu übernehmen.

Der Einsatz des Systems mit dem Namen «Drive Pilot» ist auch durch rechtliche Vorgaben auf sehr konkrete Situationen beschränkt: Es funktioniert nur auf Autobahnen, bei Geschwindigkeiten bis zu 60 Kilometern pro Stunde und nur im stockenden Verkehr, solange der Abstand zum davor fahrenden Fahrzeug nicht zu gross wird.

Erkennt das System, dass die Voraussetzungen da sind, lässt es sich vom Fahrer per Knopfdruck am Lenkrad aktivieren.

Wer trägt die Verantwortung?

Das System ist geschult, sich als ein umsichtiger Autofahrer zu verhalten. An Auffahrten lässt es genügend Abstand, damit sich Fahrzeuge von rechts einfädeln können – und ein Sattelschlepper bekommt mehr Platz als ein Auto.

Bei niedrigem Tempo hält es sich am Rand der Spur, um wie vorgeschrieben Platz für eine Rettungsgasse zu lassen. Eine Kamera an der Heckscheibe soll das Blaulicht von Rettungsfahrzeugen oder Polizei erkennen.

Während «Drive Pilot» das Auto steuert, liegt die Verantwortung bei Mercedes. Wenn das System den Fahrer auffordert, wieder die Kontrolle zu übernehmen, muss er das so schnell wie möglich tun – hat aber bis zu zehn Sekunden Zeit dafür. Lässt der Mensch am Steuer diese Zeit verstreichen, bringt das System den Wagen vorsichtig zum Stehen. Die Übergabe wurde vielfach, unter anderem mit Probanden durchgespielt, heisst es bei Mercedes.

Es gibt auch weitere Einschränkungen.

Welche Einschränkungen gibt es sonst noch?

In Baustellen dürfte Drive Pilot zwar fahren, Mercedes verzichtet aber angesichts der zusätzlichen Komplexität zunächst darauf. Gemäss den rechtlichen Vorgaben muss ein Auto im automatischen Betrieb in seiner Spur bleiben. Wenn also etwa ein Spurwechsel an einem Autobahnkreuz notwendig wird, muss der Wagen dafür die Kontrolle dem Fahrer übergeben.

Der zuständige Mercedes-Vizepräsident Georges Massing geht davon aus, dass der rechtliche Spielraum ausgeweitet wird, wenn sich die Systeme im Alltag bewähren und Vertrauen schaffen: «Da wird aus dem Markt und aus allen Ecken Druck auf das System kommen, so dass man mehr Freiheit kriegt.»

Im Kühlergrill sitzt ein Laserradar.
Im Kühlergrill sitzt ein Laserradar.Bild: Mercedes-Benz

Die Fahrzeuge erfassen ihre Umgebung mit einer Kombination aus Kameras, Radarsensoren und einem Laserradar im Kühlergrill.

Das hat seinen Preis: Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erwartet, dass es dank Assistenzsystemen und automatisiertem Fahren weniger Unfälle geben wird – und zugleich Reparaturen teurer werden.

«Unter dem Strich werden durch die neuen Systeme bis 2040 die Unfallzahlen um 13 bis 19 Prozent, die Entschädigungsleistungen der Kfz-Versicherer nur um rund zwölf Prozent sinken», sagte die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach zur Verkaufsankündigung von Mercedes am Freitag.

Komplett ohne Lenkrad und Pedale?

In der Branche wird bekanntlich auch an selbstfahrenden Autos gearbeitet, die komplett ohne einen Menschen am Steuer sowie ohne Lenkrad und Pedale auskommen sollen. So sind die Google-Schwesterfirma Waymo und die General-Motors-Tochter Cruise dabei, Robotaxi-Dienste in den USA zu starten.

Verglichen damit wirkt das Einsatzszenario von «Drive Pilot» noch sehr eingeschränkt. Mercedes-Vizepräsident Massing sieht jedoch «zwei Welten», die sich aufeinanderzubewegen. Die Mercedes-Fahrzeuge mit «Drive Pilot» seien für Privatkunden gedacht, betont er.

Für die Branche sind automatisierte Fahrfunktionen eine willkommene neue Erlösquelle. So schliessen Mercedes-Manager nicht aus, grössere Verbesserungen des Systems – wie das Fahren durch Autobahn-Baustellen – kostenpflichtig zu machen. Hersteller gehen auch dazu über, die dafür nötigen Fahrcomputer in ihre komplette Modellpalette zu verbauen.

Mit dem Zugang dazu lässt sich dann zusätzlich Geld verdienen. «Auch bei einem Einstiegsmodell kann der Besitzer mit der Zeit neue Funktionen aktivieren, und das verändert das Geschäft des Herstellers», sagt etwa Danny Shapiro, Auto-Chef des Chipkonzerns Nvidia, dessen Computer in alle künftigen Mercedes-Autos kommen werden.

(dsc/sda/awp/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das sollte man über «Drive Pilot» von Mercedes-Benz wissen
1 / 11
Das sollte man über «Drive Pilot» von Mercedes-Benz wissen
Mercedes-Benz hat die «weltweit erste international gültige Systemgenehmigung für hochautomatisiertes Fahren» erhalten. Vorläufig wird der Drive Pilot nur auf deutschen Autobahnen zum Einsatz kommen und ab 2022 die Personen hinter dem Lenkrad entlasten.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Innert Sekunden weggefegt – Tornado zerstört Kleinstadt in Kansas
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
20 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Magnum
06.05.2022 17:45registriert Februar 2015
Wer sich nicht um die Kontrolle des Fahrzeugs kümmern, sondern Netflix gaffen will, sollte bitte sehr den ÖV benutzen.

Augen auf die Strasse!
2619
Melden
Zum Kommentar
20
Elon Musk hasst Gewerkschafter – jetzt rate, wer bei Tesla Deutschland mitbestimmt
Die Zeiten im Tesla-Werk in Grünheide bleiben ungemütlich: Die Betriebsratswahlen gewinnt eine Gruppe, mit der Tesla-Chef Musk wenig anfangen kann.

Die Gewerkschaft IG Metall ist künftig im Betriebsrat des deutschen Tesla-Werkes in Grünheide vertreten – was Tesla-Chef Elon Musk kaum freuen dürfte. Er hatte bis zuletzt vor einem Erfolg der IG Metall bei den Wahlen gewarnt, so «Handelsblatt» und «Manager Magazin».

Zur Story