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«Chatkontrolle» ist vom Tisch: EU-Staaten für freiwillige Massnahmen

EU is watching you Symbolbild zum Thema Chatkontrolle, Überwachung von Messengerdiensten usw.
Techunternehmen sollen nicht gezwungen werden, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auszuhebeln.Bild: imago-images.de

Umstrittene «Chatkontrolle» ist vom Tisch: EU-Staaten wollen nur freiwillige Massnahmen

Nach jahrelangem Ringen haben sich Vertreter der EU-Staaten auf eine gemeinsame Position zur sogenannten Chatkontrolle geeinigt. Kritiker verweisen auf weitere unstimmige Punkte.
26.11.2025, 13:0426.11.2025, 14:45

Messaging-Dienste wie WhatsApp, Signal und Co. sollen nicht verpflichtet werden, «Nachrichtenverläufe nach kinderpornografischen Inhalten zu durchsuchen», heisst es in einer Mitteilung. Das ursprüngliche Vorhaben, eine obligatorische «Chatkontrolle» einzuführen, scheiterte auch am Widerstand der deutschen Regierung.

Stattdessen setzen die EU-Staaten auf freiwillige Kontrollen durch die Apps und Plattformen. Eine bisher befristete Ausnahme, die ihnen diesen Eingriff trotz europäischer Datenschutzregeln erlaubt, soll laut Gesetzesvorschlag nun dauerhaft verankert werden.

«Die zuständigen nationalen Behörden können Unternehmen verpflichten, entsprechende Inhalte zu entfernen und den Zugriff darauf zu sperren oder – im Falle von Suchmaschinen – Suchergebnisse zu löschen.»
Aus der Mitteilung des EU-Rats

Drei Jahre nach Inkrafttreten soll die EU-Kommission demnach prüfen, ob es doch eine gesetzliche Verpflichtung der Plattformbetreiber braucht.

Darum ist «Kinderpornografie» ein irreführender Begriff

Bei «Pornografie» denken viele an einvernehmliche, sexuelle Darstellungen von Erwachsenen. Bei Kindern kann es aber nie Einvernehmlichkeit geben – es handelt sich immer um Missbrauch.

Aus dem englischen Sprachraum stammt die Abkürzung CSAM (Child Sexual Abuse Material), was mit «Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern» übersetzt werden kann. Dieser Begriff umfasst alle visuellen Darstellungen, in denen eine minderjährige Person an sexuellen Handlungen beteiligt ist, «einschliesslich, aber nicht beschränkt auf Fotos, Videos und computergenerierte Bilder», wie es etwa Google treffend beschreibt.

Internationale Organisationen, darunter viele NGOs, aber auch die Polizeibehörde Interpol, empfehlen inzwischen, «CSAM» oder «Material über sexuellen Kindesmissbrauch» zu verwenden.

Wenn Medien, Politik, sowie Polizei und Justiz übereinstimmend diese Begriffe verwenden, statt Kinderpornografie, wird damit deutlich, dass es sich nicht um sexuelle Präferenzen handelt, sondern um Gewaltverbrechen. Wer solche Taten aufnimmt, mit Dritten teilt oder im Internet weiterverbreitet, macht sich ebenfalls strafbar.

Wegen des ursprünglichen Vorhabens der EU-Kommission drohte eine Aufweichung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE) von Messenger-Diensten wie Threema oder WhatsApp. Davor warnen Wissenschaftler und Cybersicherheits-Fachleute seit Jahren. Nun ist das Client-Side-Scanning vom Tisch, also das automatisierte Prüfen von Inhalten auf den Geräten der User.

Welche Massnahmen trifft die EU sonst noch?

Auch ohne die verpflichtende Kontrolle sind die Betreiber der Messaging-Dienste und Social-Media-Plattformen dem vorgeschlagenen EU-Gesetzestext nach aufgefordert, gegen problematische Inhalte vorzugehen.

Die Unternehmen sollen etwa verpflichtet werden, Risiken für Kinder zu benennen und zu minimieren. Das kann auch bedeuten, dass Apps Altersangaben ihrer Nutzerinnen und Nutzer verlässlich überprüfen sowie Altersgrenzen durchsetzen müssen.

Der Gesetzestext sieht zudem vor, ein EU-Zentrum für den Kampf gegen Kindermissbrauch im Netz einzurichten. Es soll in Verbindung mit den Messaging-Diensten sowie Plattformen stehen und die nationalen Behörden bei ihrer Arbeit unterstützen.

Ist die Kritik nun komplett verstummt?

Nein.

Der im EU-Rat erreichte Kompromiss enthalte weiterhin problematische Regelungen, hält netzpolitik.org fest. Auch eine freiwillige Chatkontrolle sei eigentlich verboten. Die EU-Kommission könne die Verhältnismässigkeit einer solchen Massnahme nicht belegen.

Der Europäische Datenschutzbeauftragte und die deutsche Datenschutzbeauftragte lehnten die freiwillige Chatkontrolle ab.

In einem Anfang November veröffentlichten offenen Brief kritisieren Wissenschaftler ausserdem, dass Altersprüfungen «ein inhärentes und unverhältnismässiges Risiko schwerwiegender Datenschutzverletzungen und Diskriminierung» mit sich bringen würden.

Wie geht es weiter?

Nach der Positionierung des Rats der EU-Staaten sollen bald die Verhandlungen über den Gesetzestext mit dem Europäischen Parlament beginnen. Erst wenn beide Institutionen eine Einigung finden, können die neuen Regeln in Kraft treten.

Die EU-Kommission hatte den ursprünglichen Gesetzesentwurf («Vorschlag über Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern») 2022 eingebracht.

Quellen

(dsc)

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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Raki
26.11.2025 13:46registriert Januar 2024
Die breite Überwachung und Kontrolle von Chats ist schlicht unverhältnismässig, da sie alle Nutzer einem Pauschalverdacht unterstellt. Ist genauso wie mit der latenten Kameraüberwachung mit Gesichtserkennungs-Software, nur mit dem Unterschied, dass man mit der Chatüberwachung in höchst private Bereiche eindringt. Und bitte nicht den Dummfug bringen von wegen "wer nichts zu verstecken hat"; jeder hat etwas zu "verstecken", nämlich seine Privatsphäre.
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Cantillon
26.11.2025 13:51registriert Oktober 2025
Immerhin etwas Good News. Danke an alle, die sich irgendwie dafür eingesetzt haben, dass die Chatkontrolle so nicht angenommen wird.
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