«Wissen ist kein Verbrechen. Es ging um den Austausch von Quellcode und Ideen»
Als junge Frau brachte sich Stefania auf einem Commodore C64 das Programmieren in Maschinensprache bei. Dann kam der Amiga – und sie machte sich in der «Demoszene» einen Namen.
Das war in den 80ern, heute arbeitet die gebürtige Italienerin als Chief Technology Officer im Tessin und engagiert sich leidenschaftlich für den Erhalt alter Computer.
Ende 2017 fragte ich Stefania für ein Interview an und erwähnte zum Einstieg, dass der Amiga «meine erste Liebe» gewesen sei. Doch leider habe die Maschine nicht mir gehört. (Besitzer war ein Schulfreund, mit dem ich sehr viel Zeit vor dem Bildschirm verbrachte.)
«Ihr Freund war sehr klug, einen Amiga zu kaufen», schrieb mir Stefania zurück. Und geriet ins Schwärmen:
2014 gründete sie im Tessin eine Firma, die sich mit dem Design von Rechenzentren und Cybersicherheit beschäftigt und deren Chief Technology Officer sie derzeit ist.
2016 rief die Sammlerin mit anderen Retro-Computer-Fans aus Deutschland, der Schweiz und Italien die European Society for Computer Preservation ins Leben. Der Verein hält Originalcomputer in Betrieb und stellt sie an verschiedenen Veranstaltungen aus, um jüngeren Generationen die Geschichte der Informatik erzählen.
Bei der italienischen EU-Parlamentswahl Ende Mai hat sie für die Piraten-Partei kandidiert.
Mehr Infos: stefaniacalcagno.eu
Jay Miner? Der Elektrotechnik-Ingenieur († 1994) gilt als Vater des Amiga. Seine Geschichte ist so spannend wie die von Steve Jobs. Er lebte im Silicon Valley, entwickelte Chips für Taschenrechner und Herzschrittmacher und arbeitete für Atari, bevor er mit Gleichgesinnten die Firma Hi Toro gründete.
Daraus wurde später Amiga, weil...
- es freundlicher klang.
- der ursprüngliche Firmenname die Investoren zu sehr an einen japanischen Rasenmäherhersteller erinnerte.
- Amiga im Telefonbuch vor Apple und Atari stand – was damals ein gewichtiges Argument war.
Hoppla, ich bin abgeschweift. Zurück zu Stefania und unserem Interview, das ich nun in einer überarbeiteten Version (aus dem Englischen übersetzt) wiedergebe.
Aus ihren per E-Mail übermittelten Antworten ist die Leidenschaft und das Feuer für Computer im Allgemeinen, und den Amiga im Speziellen, zu spüren. Die Machine bot jungen Leuten so viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen...
Warum man sie «Lady Commodore» nennt
Was in der Demo-Szene los war
Viele Leute waren an der Szene beteiligt. Wirklich sehr viele. Und zwar weltweit. Wir waren es gewohnt, Disketten per Post auszutauschen, Dateien wurden über BBS verbreitet (das Kürzel steht für Bulletin Board System, das waren die Vorläufer der Netzwerke, die wir uns heute gewohnt sind).
Wir trafen uns zu Demo-Partys, wo wir unsere Intros, Demos oder Megademos präsentierten. Und wir hatten Wettbewerbe, bei denen das Publikum über die besten Werke abstimmte.
Eines der frühen Werke einer Demo-Gruppe, die sich Red Sector nannte, und 1989 für Aufsehen sorgte:
Der Wettbewerb war für die Egos, aber viele von uns, fast alle dachten auf die Hacker-Weise: Wissen ist kein Verbrechen. Es ging um den Austausch von Quellcode und Ideen, jeder konnte von jedem lernen. Eine wunderbare Lebensart.»
Über ihren ersten Personal Computer
Wie sie Maschinensprache lernte
Amiga – Königin der Heimcomputer
Über ihre wilden Jahre als Crackerin
Auf die Frage, ob sie auch Software geknackt und/oder «Trainer» (für Games) geschrieben habe, antwortete sie:
Stefania kommentiert das Ackerlight-Werk wie folgt:
Warum wir alte Computer erhalten müssen
Moderne Software und CPU-Design sind zu komplex, um von Menschen ausgeführt zu werden. Hochsprachen sind sehr einfach zu schreiben, zu verstehen und zu pflegen, aber sie werden von einer Assembler-Software in verständlichen Prozessorcode übersetzt. Die gleiche Weise, wie moderne Designsoftware das Projekt im Auftrag eines Designerteams ausführt, das die hohen Anforderungen der Designer in komplexe Low-Level-Schaltungen übersetzt.
Also: Die wenigsten Programmierer von heute wissen, wie ein Computer wirklich funktioniert. Und auch der Computer- und CPU-Designer weiss nicht, was zu 100 Prozent in einem Prozessor steckt. Auf der Intel Xeon E5-Serie, zum Beispiel, gibt es mehr als eine Million (1'000'000) unbeabsichtigte Opcodes, Anweisungen, die etwas ohne den Willen des Designers machen (um ehrlich zu sein, auch die Mos 6502 und Motorola 680x0 hatten unbeabsichtigte Opcodes, aber nur wenige ;))
Mehr zum Amiga
Für das Tech-Portal Ars Technica erzählt der Journalist und Buchautor Jeremy Reimer die faszinierende Geschichte des Commodore Amiga und der Menschen, die sich vom Heimcomputer inspirieren liessen. Die zehnteilige Serie mit dem Titel «A history of the Amiga» nimmt Fans und alle Tech-Interessierten auf eine Zeitreise. Verständlich und packend geschrieben, nicht nur für Nerds!
- Genesis (Teil 1)
- The birth of Amiga (2)
- The first prototype (3)
- Enter Commodore (4)
- Postlaunch blues (5)
- Stopping the bleeding (6)
- Game on! (7)
- The demo scene (8)
- The Video Toaster (9)
- The downfall of Commodore (10)
Bei YouTube sind glücklicherweise viele Demos und Megademos aus den 80ern und 90ern erhalten geblieben. Stefania verweist auf «weitere Meilensteine der Amiga-Szene»:
Phenomena – Enigma
Andromeda – Nexus 7 (1994)
Nexus 7 von Andromeda, veröffentlicht 1994, sei ihr Favorit, schrieb mir Stefania. «Und ich bin auch ein bisschen stolz auf einige unserer eigenen Demos wie ‹It can't be done› und ‹Massive Killing Capacity›»:
Die Demoszene hat sich nach den turbulenten 80er- und 90er-Jahren in den 00er-Jahren weiterentwickelt und es gibt bis heute einen weltweiten Austausch und Wettbewerbe.
Der Dokumentarfilm «Viva Amiga – The Story of a beautiful machine» (2016, 72 Minuten) ist online verfügbar.