Diskette einschieben und Geduld, bitte.screenshot: youtube
Feministischer Streik
Die im Tessin lebende IT-Spezialistin Stefania Calcagno verlor in den 80ern ihr Herz an einen revolutionären Heimcomputer. Und startete durch ...
14.06.2019, 19:0614.06.2019, 19:13
Als junge Frau brachte sich Stefania auf einem Commodore C64 das Programmieren in Maschinensprache bei. Dann kam der Amiga – und sie machte sich in der «Demoszene» einen Namen.
Das war in den 80ern, heute arbeitet die gebürtige Italienerin als Chief Technology Officer im Tessin und engagiert sich leidenschaftlich für den Erhalt alter Computer.
Ende 2017 fragte ich Stefania für ein Interview an und erwähnte zum Einstieg, dass der Amiga «meine erste Liebe» gewesen sei. Doch leider habe die Maschine nicht mir gehört. (Besitzer war ein Schulfreund, mit dem ich sehr viel Zeit vor dem Bildschirm verbrachte.)
«Ihr Freund war sehr klug, einen Amiga zu kaufen», schrieb mir Stefania zurück. Und geriet ins Schwärmen:
«Der Amiga 1000 wurde im Juni 1985 in einer riesigen Show im Lincoln Center in New York von Andy Warhol und Debby Harry präsentiert. Eine echte Multimedia-Maschine. Die Audio- und Video-Revolution. Ein wahrer Meilenstein für die Computerindustrie und im Umgang des Menschen mit Maschinen. Heutige Rechner und Human Interfaces sind irgendwie alle die Kinder von Jay Miners Kreation.»
Zur Person
Stefania Calcagno kam 1970 in Genua zur Welt. Von der IT-Expertin stammen mehrere Publikationen zum Programmieren in Maschinensprache, zu mathematischen Themen in der Informatik und zur «Hackerkultur».
2014 gründete sie im Tessin eine Firma, die sich mit dem Design von Rechenzentren und Cybersicherheit beschäftigt und deren Chief Technology Officer sie derzeit ist.
2016 rief die Sammlerin mit anderen Retro-Computer-Fans aus Deutschland, der Schweiz und Italien die
European Society for Computer Preservation ins Leben. Der Verein hält Originalcomputer in Betrieb und stellt sie an verschiedenen Veranstaltungen aus, um jüngeren Generationen die Geschichte der Informatik erzählen.
Bei der italienischen EU-Parlamentswahl Ende Mai hat sie für die Piraten-Partei kandidiert.
Mehr Infos:
stefaniacalcagno.euJay Miner? Der Elektrotechnik-Ingenieur († 1994) gilt als Vater des Amiga. Seine Geschichte ist so spannend wie die von Steve Jobs. Er lebte im Silicon Valley, entwickelte Chips für Taschenrechner und Herzschrittmacher und arbeitete für Atari, bevor er mit Gleichgesinnten die Firma Hi Toro gründete.
Daraus wurde später Amiga, weil...
- es freundlicher klang.
- der ursprüngliche Firmenname die Investoren zu sehr an einen japanischen Rasenmäherhersteller erinnerte.
- Amiga im Telefonbuch vor Apple und Atari stand – was damals ein gewichtiges Argument war.
Diskette, kännsch? So startet man einen Amiga 1000
Hoppla, ich bin abgeschweift. Zurück zu Stefania und unserem Interview, das ich nun in einer überarbeiteten Version (aus dem Englischen übersetzt) wiedergebe.
Aus ihren per E-Mail übermittelten Antworten ist die Leidenschaft und das Feuer für Computer im Allgemeinen, und den Amiga im Speziellen, zu spüren. Die Machine bot jungen Leuten so viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen...
Warum man sie «Lady Commodore» nennt
«Nun ja, in der Hackerszene gibt es nicht viele Damen. Und es gibt auch nicht viele Leute, die fast jedes Amiga- und Commodore-Modell besitzen. Ich nenne mich selber nicht so, sondern bevorzuge meine Szene-Spitznamen (ich habe mehrere, aber seit langer Zeit ist es Yuki / Ram Jam). Meine Freunde, Kollegen und Bekannte in der Retrocomputer-Szene nennen mich aber oft Lady Commodore.»
Was in der Demo-Szene los war
«Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um die wunderbare «Szene-Zeit» der 80er und 90er zu beschreiben. Ich versuche es mit Freundschaft, Wissensteilung, Wettbewerb und Pionierarbeit in Multimedia-Kunst. Oder einfach nur: WOW.
Viele Leute waren an der Szene beteiligt. Wirklich sehr viele. Und zwar weltweit. Wir waren es gewohnt, Disketten per Post auszutauschen, Dateien wurden über BBS verbreitet (das Kürzel steht für Bulletin Board System, das waren die Vorläufer der Netzwerke, die wir uns heute gewohnt sind).
Wir trafen uns zu Demo-Partys, wo wir unsere Intros, Demos oder Megademos präsentierten. Und wir hatten Wettbewerbe, bei denen das Publikum über die besten Werke abstimmte.
Eines der frühen Werke einer Demo-Gruppe, die sich Red Sector nannte, und 1989 für Aufsehen sorgte:
Stefania sagt dazu: «Die Megademo. Ein Meilenstein.»Video: YouTube/RetroDemoScene Wir haben Disketten-Magazine herausgegeben, mit Interviews bekannter Szene-Mitglieder und interessanten Artikeln, offizielle Charts mit den besten Codern, Grafikern, Musikern etc.
Der Wettbewerb war für die Egos, aber viele von uns, fast alle dachten auf die Hacker-Weise: Wissen ist kein Verbrechen. Es ging um den Austausch von Quellcode und Ideen, jeder konnte von jedem lernen. Eine wunderbare Lebensart.»
Daten wurden per «Snail Mail» verschickt.bild: stefania calcagno
Über ihren ersten Personal Computer
«Das hängt davon ab, was mit Personal Computer gemeint ist. Es gibt viele Diskussionen darüber, was in den 70er-Jahren als «Personal Computer» gedacht war. Manche Leute sagen, dass es der Altair 8800 im Jahr 1975 war, andere sagen der Apple 1 von 1976, wiederum andere finden, die Triade von 1977 – Commodore PET 2001, Apple 2 und Tandy Radioshack TRS 80 – waren die wirklichen ersten PCs.
Stefania Calcagno mit Uralt-Commodore.bild: zvg
Tatsächlich hatte ich zu Hause in den 70ern ein IBM/34-Terminal, das mit dem Computer-System im Unternehmen meines Vaters verbunden war. Dort begann auch meine Leidenschaft für die Informatik. Aber mein erster richtiger Heimcomputer war 1981 ein Vic 20. Dann besass ich einen Sinclair Spectrum, mit dem ich zu programmieren begann, und 1982 die erste Revolution: der Commodore 64.»
Wie sie Maschinensprache lernte
«Ich begann mit dem Programmieren in Assembler, als ich noch sehr jung war, etwa 1983, auf dem Commodore 64. Ich war es gewohnt, Programme in Basic auf dem Vic 20 und dem Sinclair Spectrum zu schreiben, aber meine Bereitschaft, Videospiele zu machen, zwang mich dazu, auf Assembler umzusteigen, weil diese Maschinen wirklich langsam waren und mit einer Interpreter-Sprache wie Basic war es fast unmöglich, Grafiken und Animationen zu erstellen.
Ich war damals sehr neugierig, und es gab nicht so viele Gelegenheiten, dass einem jemand Assembler-Programmierung beibrachte und es gab auch keine Informationen aus dem Internet. Deshalb habe ich auf meinem C64 ein Disassembler-Programm (in Basic) geschrieben, das eine
mnemonische Rekonstruktion des Maschinencodes direkt ab Diskette lieferte. Und so habe ich es gelernt.
Meine erste Assembler-Software entstand auf dem C64, als ich meinen Beitrag dazu leistete, einige Spiele wie «PacMan» und «Nibbler» für das italienische Piratenlabel Earth Software auf den C64 zu portieren. Dann, 1987, wechselte ich zu Motorola Assembler auf die Amiga-Plattform, die zweite Revolution. 32 Bits reine Macht. Man spürt einen Superhelden beim Spielen mit dem Motorola Assembler :) »
Amiga – Königin der Heimcomputer
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Amiga – Königin der Heimcomputer
Der Amiga 1000 war seiner Zeit weit voraus ...
Über ihre wilden Jahre als Crackerin
Auf die Frage, ob sie auch Software geknackt und/oder «Trainer» (für Games) geschrieben habe, antwortete sie:
«Es ist schon lange her, also kann ich heute etwas dazu sagen :) Ich hatte einige Spitznamen mehr zu jener Zeit, ein paar für das Legale (Demos, Magazine, Swapping usw.) und ein paar für das «fast Illegale» (BBS Phreaking, Cracking etc.). Ich habe nie Trainer geschrieben, aber ich habe Cracks gemacht, ja.»
So sah ein frühes Crack-Intro aus
Stefania kommentiert das Ackerlight-Werk wie folgt:
«Alte Schule. Ein Crack-/Trainer-Intro aus Frankreich. Wir sehen die alten Copper-Linien aus dem C64-Code, die ersten
Copper-Tricks (die blaue Linie und das wellenförmige Logo), die auf dem Amiga leicht zu machen waren sowie einen einfachen Scroller. Eine Demo an der Gabelung vom C64 zum Amiga. Ausserdem ist die Musik ein
Chiptune, ohne Samples.»
Warum wir alte Computer erhalten müssen
«Fast alle Menschen nutzen heute Technik. Aber nur wenige verstehen, wie sie wirklich funktioniert. Wer wissen will, wie Technik wirklich funktioniert, muss sich mit einem alten Computer und seiner Assemblersprache auseinandersetzen.
Moderne Software und CPU-Design sind zu komplex, um von Menschen ausgeführt zu werden. Hochsprachen sind sehr einfach zu schreiben, zu verstehen und zu pflegen, aber sie werden von einer Assembler-Software in verständlichen Prozessorcode übersetzt. Die gleiche Weise, wie moderne Designsoftware das Projekt im Auftrag eines Designerteams ausführt, das die hohen Anforderungen der Designer in komplexe Low-Level-Schaltungen übersetzt.
Also: Die wenigsten Programmierer von heute wissen, wie ein Computer wirklich funktioniert. Und auch der Computer- und CPU-Designer weiss nicht, was zu 100 Prozent in einem Prozessor steckt. Auf der Intel Xeon E5-Serie, zum Beispiel, gibt es mehr als eine Million (1'000'000) unbeabsichtigte
Opcodes, Anweisungen, die etwas ohne den Willen des Designers machen (um ehrlich zu sein, auch die
Mos 6502 und
Motorola 680x0 hatten unbeabsichtigte Opcodes, aber nur wenige ;))
Wir – Esocop, aber auch Vintagebytes sowie Vereinigungen und Museen auf der ganzen Welt – versuchen, der nächsten Generation die Geschichte (der Computer) zu erzählen. Um zu zeigen, wie wir hierhin gekommen sind. Um zu zeigen, dass 16 Bit ausreichen, um ein sehr lustiges Videospiel zu schreiben. Um zu zeigen, wie man mit 64 Kilobyte RAM zum Mond fliegen konnte. In einem Satz: Um Geschichte zu bewahren.»
Mehr zum Amiga
Für das Tech-Portal Ars Technica erzählt der Journalist und Buchautor Jeremy Reimer die faszinierende Geschichte des Commodore Amiga und der Menschen, die sich vom Heimcomputer inspirieren liessen. Die zehnteilige Serie mit dem Titel «A history of the Amiga» nimmt Fans und alle Tech-Interessierten auf eine Zeitreise. Verständlich und packend geschrieben, nicht nur für Nerds!
Bei YouTube sind glücklicherweise viele Demos und Megademos aus den 80ern und 90ern erhalten geblieben. Stefania verweist auf «weitere Meilensteine der Amiga-Szene»:
Phenomena – Enigma
Stefania meint dazu: «Eine Amiga-Demo aus den frühen 90er-Jahren :) Tolle Musik, ein paar Grafiken, Mathematik. 3D-Echtzeiteffekte und Landschaften. Cool.» Video: YouTube/RetroDemoScene Spaceballs – State of the Art (1992)
Spaceballs – 9 Fingers (1993)
Nexus 7 von Andromeda, veröffentlicht 1994, sei ihr Favorit, schrieb mir Stefania. «Und ich bin auch ein bisschen stolz auf einige unserer eigenen Demos wie ‹It can't be done› und ‹Massive Killing Capacity›»:
Ram Jam – It Can't Be Done (1994)
Ram Jam – Massive Killing Capacity (1996)
Die Demoszene hat sich nach den turbulenten 80er- und 90er-Jahren in den 00er-Jahren weiterentwickelt und es gibt bis heute einen weltweiten Austausch und Wettbewerbe.
«Amiga wird niemals sterben.»
Stefania Calcagno
Der Dokumentarfilm «Viva Amiga – The Story of a beautiful machine» (2016, 72 Minuten) ist online verfügbar.
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Und erst noch ohne Quote und trotz dem endfiesen Patriarchat ;)
So eine Community hab' ich das letzte Mal bei Second Life erlebt. Hab' dort viel über 3D-Programmierung gelernt und alles mit der Hilfe von netten Leuten im Forum, die z.T. seitenlange Erklärungen geschrieben haben.