Wenn der Winter naht, steigen sie in uns hoch, die bittersüssen Erinnerungen.
Was waren das für herrliche Zeiten! Und wer erinnert sich nicht ans erste eigene Handy?
Einige meiner Freunde hatten ein Nokia. Und konnten damit Nägel einschlagen.
Ich besass ein Motorola. Doch dann musste auch bei mir ein finnischer «Knochen» her. Natürlich nicht irgendein x-beliebiges Modell zum Aufklappen. Sondern genau das gleiche wie Keanu Reeves in «Matrix» (1999) hatte.
Da war die Welt noch in Ordnung. Es wandelten weder iPhone-Jünger noch Android-Fanboys auf dem Planeten. Bei der Hardware dominierte ein sympathisches Unternehmen aus dem hohen Norden, das aus Erdöl Gehäuse für Handys fabrizierte, und aus Kautschuk Gummistiefel.
Gleich geht's weiter mit dem Erinnerungs-Rant, vorher ein kurzer Werbe-Hinweis:
Und nun zurück zur Story ...
Wenn es kälter wird, kommen vor allem bei den Älteren vermehrt nostalgische Gefühle hoch. Und das macht durchaus Sinn: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass schöne Erinnerungen die (gefühlte) Temperatur erhöhen und unser Schmerzempfinden senken. Wir halten also mehr aus und frieren weniger.
So verwundert es auch niemanden, dass heutige Handy-Hersteller auf den Retro-Zug aufspringen und mit moderner Technik in altehrwürdigem Design punkten.
Aber war früher alles besser?
Zur Erinnerung (haha): Die Nostalgie hatte ursprünglich einen sehr schlechten Ruf. Ende des 17. Jahrhunderts prägte der Schweizer Mediziner Johannes Hofer den Begriff negativ. Er beschrieb damit die für ihn krankhaften Heimweh-Symptome der Schweizer Söldner im Dienste europäischer Königshäuser. Ein Militärarzt stellte die These auf, Schuld am Hang der Eidgenossen zur Nostalgie sei das ständige Klingen der Kuhglocken, das Ohren und Gehirn geschädigt habe.
300 Jahre später war das Gebimmel schlimmer denn je. Denn gehörschädigend und nervstrapazierend ging es auch in den Anfängen des Handy-Zeitalters zu und her.
Klingeltöne waren der ultimative Ausdruck von Individualität und wurden zum Bombengeschäft. Zudem kostete jeder Buchstabe bares Geld. Vor WhatsApp und Threema baten uns Diax und Co. sogar für Leerzeichen zur Kasse.
Richtig teuer wurden die auf 160 Zeichen begrenzten SMS im Ausland. Wobei die Roaming-Abzocke bei multimedialen Feriengrüssen besonders schlimm war. Sommer für Sommer servierten die Medien neue Horror-Geschichten über Handyrechnungen in vier- oder fünfstelliger Höhe.
Von einer stabilen Internetverbindung im Zug oder Tram konnten wir nur träumen. Statt Highspeed-Internet gab es WAP. Auf abgespeckten «Webseiten» ging es vor allem um Preisausschreiben und Wettbewerbe. Die Swisscom nannte ihr Mobilfunknetz Natel C. Und genau so langsam, wie es tönte, war es auch.
Was sich heutige User kaum mehr vorstellen können: Früher wurde das Handy tatsächlich zum Telefonieren benutzt. Und zwar überall. Ohne Rücksicht auf Mensch und Tier.
Stundenlang wurde mit dem Handy am Ohr geplaudert, selbstverständlich ohne Kopfhörer, bis beide Ohrmuscheln überhitzt waren und der Akku schlappmachte.
Womit wir bei der Combox sind. Kennt das heute noch jemand? Oder verschickt gar Sprachnachrichten!? 😱
Früher hatten wir Schutzhüllen – und heute Handyketten. (Wobei ich mir hier kein Urteil anmassen möchte, welches Betätigungsfeld in ästhetischer Hinsicht schlimmer ist ...).
Sicher ist: Die Schnappschüsse der damaligen Handys waren allesamt verpixelt und nur in Briefmarkengrösse verfügbar – passend zu den Schiessscharten-grossen Displays. Videos gab's hingegen nur auf VHS-Kassette.
Womit wir beim Thema Sex und Erotik wären. Statt Virtual-Reality-Pornos in 4K kursierte ASCII-«Kunst» ...
Mini-Games wie «Snake» verursachten Augenkrebs, während wir heute zu fast schon beängstigend realistischen Multiplayer-Battle-Royal-Schlachten antreten können.
Statt auf einem hochsensiblen Touch-Screen drückten wir mit unseren Wurstfingern die T9-Tasten.
Die älteren Generationen verschickten teure MMS-Nachrichten und tappten in SMS-Abofallen.
Ich könnte noch stundenlang mit Beispielen weiterfahren, denke aber, mein Standpunkt ist klar: Früher war vieles besser, aber verklären sollten wir die Wild-West-Zeiten des Mobilfunks nichts. Dafür war die Technik zu wenig benutzerfreundlich und die persönlichen Kosten waren zu hoch.
Wobei mich das schmerzlich an die aktuellen iPhone-Preise erinnert. Ach, vermisse ich meine alte «Banane». 😌
Das letzte Wort soll Daniel Rettig haben, Autor des Buches «Die guten alten Zeiten – warum Nostalgie uns glücklich macht»:
Was sind deine Erinnerungen an die guten alten Handy-Zeiten? Was vermisst du, was ist heute besser?
Als es noch keine Handys, Internet und Social Media gab, ja dann war die Zeit wirklich besser! Und das Beste: Ich war dabei! 😊