Der Sealion 7 des chinesischen Herstellers BYD (Build your dreams) kostet in der Schweiz in der günstigsten Version (Comfort) aktuell 49’990 Franken. Die Luxus-Version (Excellence), die ich eine Woche lang im Alltag testete, kriegt man für 62’000 Franken.
Das ist eine Menge Holz.
Das ist mindestens so viel Holz wie bei der nicht-chinesischen Konkurrenz von Tesla (Model Y), Skoda (Elroq und Enyaq), VW (ID.4 oder ID.5), Hyundai (IONIQ 5), BMW (iX1), Cupra (Tavascan), Mercedes (EQA), Honda (Ny1) und Toyota (bZ4x) für einen Wagen mit ungefähr vergleichbarer Klasse. Warum fehlen in der Aufzählung Volvo und Polestar? Weil diese Brands ebenfalls in chinesischem Besitz sind. Aber ja. Die Konkurrenz gibt es auch noch.
Und 50’000–62’000 Franken sind verdammt viel Holz, wenn man bedenkt, dass man den Sealion 7 in China für umgerechnet 24’000–32’000 Franken erhält. Also für rund die Hälfte.
Und was kriegen Herr und Frau Schweizer für 2 Jahre lang jeden Monat 2000–2500 Franken auf die Seite legen? Die kurze Antwort lautet: ein eigenartiges, aber faszinierendes Fahrzeug.
Und jetzt die lange Antwort: Der Sealion 7 hat verschiedene Qualitäten. Eine davon überstrahlt sie aber alle: Es ist das Interieur.
Es strahlt eine majestätische Ruhe aus. Nicht ein bisschen, sondern fast schon gewalttätig. Hier sinkt der Puls – und vermutlich auch der Blutdruck. Hier herrscht eine harmonische Atmosphäre – an diesem Ort entspannt man wie von selbst. Da kann da draussen noch so die Welt untergehen – im Sealion 7 fühle ich mich sicher.
Wenn ich einen Ort empfehlen müsste, um die Lösung für den Nahostkonflikt zu finden – es wäre in diesem Fahrzeug. Und dabei ist das Interieur nicht einmal spektakulär. Nein, es ist komplett unaufgeregt: Die Knöpfe sind, wo sie hingehören, Platz gibt es reichlich, einen grossen Beitrag zum Flair leistet das vegane Leder, mit dem grosse Flächen des Innenraums überzogen sind. Auf Kitsch, gekünstelten Futurismus oder dumme grelle Ziernähte wird komplett verzichtet. Schlicht ist es – aber nicht so forciert verzichtend wie bei Apple oder Tesla.
Der Sealion trifft den Sweetspot von einfacher Eleganz. Damit werde ich gewissermassen auf dem falschen Fuss erwischt. Denn bei der Schweizer Markeneinführung des mittlerweilen grössten Elektroautoherstellers der Welt sass ich auch im Top-End-Modell, dem Yangwang U8. Und dort fühlte ich mich absolut fremd. Der Innenraum des Sealions 7 ist hingegen sofort ein Klassiker.
Man kann die Bedeutung dieser Qualität nicht genug herausstreichen. Die souveräne Erhabenheit bereitet mich perfekt auf den Strassenverkehr vor – und beeinflusst mein Fahrverhalten: Kein Problem, Velokurier – geh' du nur mal vor. Du hast es eilig – dir mache ich von Herzen Platz.
Voilà.
Koexistenz ist eine Frage des Mindsets.
Doch dieses wird schon nach wenigen Minuten Fahrzeit zerstört.
Bei einer ersten leichten Geschwindigkeitsübertretung würgt mir der Seelöwe «Künstlerleben» von Johann Strauss II. ab, um mich unsubtil auf mein Vergehen hinzuweisen. Bimmelbimmel. Rechts erkennt der Wagen die Geschwindigkeitstafel einer Ausfahrt – bimmelbimmel. Ich gucke zu lange auf den grossen Screen (15,6 Zoll), bimmelbimmel. Ich gähne, bimmelbimmel. Nach 15 Minuten hat mir der Seelöwe den Spass am Fahren weggebimmelt. Ich nehme die Ausfahrt. Ein letztes Mal Cindy's Diner. Goodbye alte Tante. Wir werden dich vermissen.
Noch umfangreicher als die Burgerauswahl im Cindy's sind die Einstellungen im Sealion. Holy moly, was man da alles einstellen kann: wie hoch die Kofferraumtür aufgehen soll (extrem praktisch), die Entfernung des HUD (Head-up displays), die Ambientefarbe, wenn man in der Dunkelheit in den Wagen einsteigt … und gefühlt 100 Fahr- und Sicherheitsassistenten.
Irgendwann glaube ich, sämtliche Bimmels abgestellt zu haben. Kurz darauf läutet der Seelöwe Sturm, als drohte eine Meteoritenkatastrophe. Dabei will er mich nur daran erinnern, dass ich vielleicht ein Kind im Auto vergessen haben könnte. Auslöser war ich selbst. Ich sass im parkierten Wagen zu lange auf der Rückbank. Willkommen im Reich der Totalüberwachung.
Zum Glück lässt sich das alles ein- und vor allem auch ausschalten. Wenigstens vordergründig. Und trotz einer Flut von Einstellmöglichkeiten erhalte ich nur gerade zwei verschiedene Rekuperationsstufen ... C'mon! Kein One-pedal-drive? Ich kann auf die Sekunde genau definieren, wie lange die Scheinwerfer hinten und vorn noch leuchten sollen, wenn ich den Wagen verlasse – aber One-pedal-drive gibt es nicht? Und den HUD kann man zwar verschieben – aber nicht wirklich signifikant. Ich persönlich hätte ihn nämlich gerne einiges näher bei mir gehabt. Und wenn wir schon dabei sind, folgen jetzt die Flop- und Top-Listen:
Ich bin Fan davon – ausserdem würde es zur entschleunigten Erhabenheit des Fahrzeugs passen.
Die Reichweite ist mit 502 Kilometern (nach WLTP) mit einer 91,3 kWh-Batterie an der unteren Grenze.
Geht in den Bereich Reichweite. Man kann es ausrechnen: Laut WLTP verheizt der Sealion 18 kWh pro 100 Kilometer. Während unseres Tests bei frühlingshaften Temperaturen (mit allerdings ordentlich Autobahn- und ein paar kleineren Bergstrecken) knabberten wir an einem 24kWh-Schnitt. So fiel die Reichweite auf unter 400 Kilometer. Das ist im Jahr 2025 einfach zu ineffizient.
Das Fahrzeug schaukelt nach einem starken Bremsmanöver nach. Das letzte Mal spürte ich so etwas bei einem Renault Zoe (II) aus dem Jahr 2017. Und das kann ja nicht der Benchmark sein. Als Ursache vermute ich die 2,4-Tonnen der Excellence-Version. Erstaunlicherweise nimmt der Sealion dann aber die vielen Schwellen in Oerlikon recht direkt. Da hätte ich eine etwas sanftere Handhabe erwartet, die, dem Gewicht geschuldet, vermutlich nicht möglich ist.
Die verlegte Gummiwanne am Boden lässt sich mit dem Fuss beim Ein- und Ausstieg leicht verschieben. Meine Prognose: In den so entstehenden Spalten an den Abschlüssen werden sich Steinchen, Kaugummis und vielleicht das eine oder andere Kleintier einnisten.
Auf der Autobahn sind die Fahrtwindgeräusche lauter wahrnehmbar, als ich das zu dem Preis erwartet hätte.
Die Abstimmung des Fahrwerks stimmt grundsätzlich – wenn man sich zivilisiert und ruhig auf der Autobahn und auf Überlandstrassen bewegt –, wenn man das Fahrzeug dem Interieur entsprechend behandelt. Das Fahrverhalten ist angenehm. Das Gewicht des Fahrzeugs wird aber schnell spürbar, wenn man etwas ruppiger zur Sache geht. Dafür eignet sich der Sealion weniger – wobei ein so schweres und breites Fahrzeug auf den engen Bündner-Teststrassen und Test-Garagenhäusern sowieso nie die beste Figur macht.
Trotz 12 verbauten Lautsprechern überall im Fahrzeug liefert die Soundanlage von Dynaudio einen direkten und ehrlichen Klang von vorn – zu vergleichen mit Studiomonitoren. Ein solches Soundsetup erwarte ich in einem tiefergelegten Honda Civic, nicht aber im erhabenen Sealion. Ich will ja nicht mein neues Album abmischen, sondern nur genüsslich und ohne Gebimmel bisschen Musik hören. Deshalb hätte ich einen etwas weicheren und dafür wärmeren Sound bevorzugt. Und zwar so ausgeliefert, dass man das Gefühl hat, darin zu baden – und nicht von vorn hingeknallt zu bekommen. Natürlich liefert auch hier BYD sehr viele Einstellmöglichkeiten. An der beschriebenen Grundtendenz lässt sich aber nur bedingt rütteln. Mir persönlich grätschte der viel zu direkte Sound in die Stimmung ... aber dazu später mehr.
230 kW sind tipptopp. Am Kabel erhalte ich dann etwas über 100 – beschränkt durch den Andrang an den Ladeplätzen an der Raststätte in Thusis.
Die bereits lange besungene, top verarbeitete Inneneinrichtung ist DAS Highlight des Fahrzeugs.
Die Möglichkeit, den maximalen Radius der Kofferraumtür und damit die erreichte Höhe einzustellen. So lässt sich das Fahrzeug perfekt auf die heimische Garage oder das Vordach konfigurieren. Voll geil.
Funktioniert auch bei Frauen und Kindern – was man nicht von allen Herstellern behaupten kann.
Es dürfte in meinen Augen näher am Fahrer sein. Trotzdem erfüllt es seinen Zweck hervorragend – und schön, dass es das überhaupt gibt.
Hätte man jetzt auch anders lösen können, aber wieso auch nicht so.
Ja, man kriegt schon was fürs Geld.
Als ich vor ein paar Wochen Stella Li, die Nummer Zwei bei BYD, im Interview bat, mir drei Gründe zu nennen, weshalb ich mir einen BYD kaufen soll, war dies ihr dritter Punkt. Und sie hat recht. Die V2L-Funktionalität ist ein riesiges Plus dieses Autos.
Man stelle sich vor, es kommt zu einem Stromausfall – ich weiss, ein absurder Gedanke in Westeuropa /s. Und dann hat man einen Sealion 7 in der Garage. Das sind im besten Fall 90 kWh Saft – 3,3 kW kann er maximal liefern. Wer seinen Stromverbrauch regelmässig checkt, weiss: Das reicht, um mehrere Tage lang einen Haushalt ohne Einschränkungen zu beliefern, inklusive Kühlschränke, Herdplatten, Kaffee- und Waschmaschinen (wenn man nicht mit Wärmepumpe heizt).
In Spanien und Portugal dürfte dieses Feature in den Schaufenstern doppelt markiert sein.
Wirklich übersichtlich. Ein Mix aus dem, was man schon von anderen Herstellern kennt – aber es ist ein guter Mix.
Im Kofferraum (520 Liter) ist viel Platz. Im Frunk ebenfalls (58 Liter).
Das Unter-der-Mittelkonsole-Fach hat man etwas rustikaler auch schon beispielsweise beim Enyaq gesehen. Ideal für Handtaschen, die die Begleiterin dann nicht immer vor den Füssen lagern muss. Schade: Für eine Birkin ist das Fach zu klein.
Im Sealion 7 gibt es dermassen viele Stauräume, dass es mich nicht wundert, dass ich in einem davon bereits eine Sonnenbrille und in einem anderen eine Petflasche finde, die jemand vor meiner Testwoche darin verloren hat.
Auch in der Mittelkonsole und den Türen gibt es extrem grosszügigen Platz. Wo die Chinesen bei dieser Raumausnutzung die enorme 91,3 kWh-Batterie verbauen, bleibt mir ein Rätsel. Schön auch, dass eine stufenlose Fläche entsteht, wenn man die hintere Sitzbank umlegt.
Man erkennt es bereits an den Listenlängen. BYD macht mit dem Sealion 7 sehr vieles richtig. Ausgerechnet bei wichtigen Dingen (Effizienz und Reichweite) herrscht aber noch Aufholbedarf. Trotzdem wurde das verwendete Adjektiv im Titel bisher nicht begründet. Weshalb ist dieses Fahrzeug «eigenartig»?
Eine gute Köchin weiss, dass man nicht einfach den süssesten Apfel mit der schmackhaftesten Tomate und dem rezentesten Käse kombinieren kann, um eine leckere Mahlzeit zu erhalten. Die verschiedenen Zutaten müssen aufeinander abgestimmt sein.
Ein guter Maler weiss, dass man nicht einfach die grellsten Farben kombinieren kann, um ein eindrückliches Bild zu erschaffen. Die Farben müssen miteinander wirken.
Und ein guter Autobauer weiss, dass nicht die Summe der Einzelkomponenten zählt – erst das Zusammenspiel gibt dem Wagen den Charakter. Und da hapert es beim Sealion 7. Vielleicht bin es auch nur ich, aber ich verstehe das Zusammenspiel nicht. Die meisten Komponenten sind tipptopp, die lustige Dachblende, der drehende Bildschirm, das Interieur, der umfangreiche High-tech-Gugus. Aber alles zusammen? Das knackige Soundsystem passt nicht zum erhabenen Interieur – genauso wie das für mich schwer zu fassende Fahrwerk und die perverse Beschleunigung. Schräg in der Landschaft steht auch das kitschige LED-Ambientelicht.
Mir scheint, als hätten verschiedene Spezialistenteams im Labor wunderbare kleine Gadgets kreiert. Das aber, ohne sich vorher auf ein Gesamtkonzept zu einigen. Am Ende wurden möglichst viele Einzelkomponenten zu einem Fahrzeug zusammengenagelt, das wirklich gefällige Eigenschaften besitzt, in sich aber keine harmonische Einheit bildet.
Es ist bloss eine Vermutung: Aber so wie ich BYD bisher kennenlernte, herrscht ein enormer Innovationsdruck. Die Chinesen planen einen Personenwagen, von dem aus eine Drohne gestartet werden kann ... warum? Es gibt BYD-Prototypen, die über Bodenunebenheiten springen ... warum?
Der Sealion 7 verfügt über eine Vielzahl solcher kleinen Irrlichter. Warum kann ich jedes einzelne Fenster per Sprachsteuerung hoch- und runterlassen, für den Frunk vorn muss ich aber grob an einem fast schon vormittelalterlichen Hebel reissen ... warum? Nach einer Woche Testfahren verstehe ich dieses Auto (noch) nicht. Das ist durchaus interessant – und vielleicht liegt es auch nur an mir. Aber auf mich wirkt es eigenartig.
Und um den Elefanten im Raum am Ende doch noch anzusprechen: Produkten aus China hängt ein gewisses Vorurteil an. BYD muss dagegen ankämpfen – und tut das ziemlich erfolgreich. Die Verarbeitungsqualität des Fahrzeugs ist makellos – die seit Tesla berüchtigten Spaltmasse sind perfekt. Der Hersteller beweist, dass die Weltfabrik nicht nur billigen Mist, sondern auch Qualität und Innovation abliefern kann. Dafür muss China BYD dankbar sein. Denn das Imagesteuer herumzureissen ist nach der jahrzehntelangen Versorgung des konsumgeilen Westens mit Plastikschrott eine Herkulesaufgabe.
Gleichzeitig werden einige potenzielle Käufer den Sealion nur schon aufgrund politischer Bedenken nicht in Erwägung ziehen. Bei einem Preis von knapp 50’000 bis über 60’000 Franken für dieses Fahrzeug, so meine Prognose, wird es schwierig. Rasiert BYD den Preis um 10'000 Franken, dann sehe ich den Sealion 7 die Schweizer Strassen erobern wie einst das Model Y. Sollte China dann noch das Säbelrasseln in Richtung Taiwan aufgeben, dann steht dem Erfolg dieses Fahrzeugs endgültig nichts mehr im Weg. Ob nun eigenartig oder nicht.
Nachtrag: BYD hat angekündigt, bereits in wenigen Wochen in der Schweiz auch die günstigen Modelle Dolphin Surf und Atto 2 anzubieten. Der BYD-Zug rollt – es wird spannend.