Und schon wieder ist die Welt untergegangen. Dieses Mal ist aber keine Atombombe wie etwa in «Far Cry New Dawn» oder «Metro: Exodus» für den totalen Kollaps verantwortlich, sondern angeblich «nur» eine Pandemie. Durch eine mysteriöse Krankheit ist also alles den Bach runter gegangen. Menschen wurden entweder zu gewaltbereiten Egoisten oder zu sogenannten Freakers. Das sind besonders aggressive, sehr flinke und hungrige Zeitgenossen, die gerne Menschenfleisch verspeisen.
Inmitten dieser postapokalyptischen Welt schlüpfen wir in die Rolle des Bikers und Kopfgeldjägers Deacon, der zusammen mit Boozer in einem kleinen Camp im amerikanischen Nordwesten haust. Weil sie sich keiner grösseren Gruppe anschliessen wollen, haben sich die beiden für einen Alleingang entschieden. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Schrottteilen, Munition, Benzin und sonstigen Utensilien, die man zum Überleben braucht.
Doch Deacon ist mit seinen Gedanken stets woanders. Ehefrau Sarah ist seit dem Ausbruch vor zwei Jahren verschwunden. Der Held in spe hat sie damals in einen Rettungshubschrauber gesetzt, der sie aus der Gefahrenzone gebracht hat, während er mit dem verletzten Boozer in der Hölle zurückblieb. Nun sind zwei Jahre vergangen. Und noch immer schwebt die Ungewissheit im Raum, ob Sarah überhaupt noch lebt. Deacon will schliesslich nach Norden fahren, um dort einen Neustart zu beginnen. Doch bis es so weit ist, muss das Motorrad für die Reise richtig fit gemacht werden.
Wer schon immer mal so lässig und cool wie Daryl Dixon in der TV-Serie «The Walking Dead» auf einem Motorrad mit Armbrust durch eine verwüstete Gegend brausen möchte, bekommt jetzt die Gelegenheit dazu. Das Bike ist aber nicht nur ein simples Vehikel, um von A nach B zu kommen, sondern schlicht überlebenswichtig, um vor den Freakers und anderen üblen Wegelagerern zu flüchten.
Doch der fahrbare Untersatz will auch gepflegt werden. Regelmässig muss man Schrottteile einsammeln, um das Motorrad zu reparieren. Auch Benzin muss oft (manchmal etwas sehr oft) nachgefüllt werden und durch verdiente Credits darf man im Verlaufe des Spiels das Gefährt technisch als auch optisch aufmotzen.
Die Ausgangslage stimmt: Die Geschichte beginnt spannend, viele Fragen wollen geklärt werden und das Herumfahren mit dem Motorrad macht Laune. Fast fühlt man sich wie bei «Red Dead Redemption 2», wenn man mit seinem Pferd die Welt erkundet. Doch schnell spürt man, dass da in «Days Gone» die Tiefe fehlt. In der offenen Spielwelt, jenseits der Camps, gibt es zwar die einen oder anderen Schauplätze, die entdeckt und geplündert werden wollen, doch richtige Minidramen sind selten aufzufinden.
Auch die einzelnen Lager, wo sich Menschen nach der Pandemie zusammengefunden haben, wirken leblos, obschon viele Überlebende durchaus vorhanden sind. Man kann aber mit fast keinem Menschen interagieren. Über einzelne Schicksale erfährt man nichts. Die Figuren sind reine Statisten, die nichts zu sagen haben.
Nur die Hauptfiguren lassen in den Zwischensequenzen etwas tiefer blicken. Der Fokus bleibt jederzeit klar auf Deacon und seiner verzweifelten Suche nach seiner Ehefrau. Zwar trifft auch er auf diverse arg gebeutelte Personen, die beschützt oder gerettet werden müssen, aber auch hier wird meistens nur die dramaturgische Oberfläche angekratzt. Das ist sehr schade, hat doch diese fantastisch animierte postapokalyptische Welt eigentlich doch so einiges zu erzählen, möchte man meinen.
So quält man sich doch etwas durch die ersten Stunden und geht den Dingen nach, die man in einem Endzeit-Game halt machen muss. Man muss Munition und Schrott sammeln, stets schauen, dass man einen Benzinkanister findet, und Verbandsmaterial horten. Als Kopfgeldjäger erledigt man die üblichen Aufträge, rettet Menschen oder macht Jagd auf Drogendealer, um jemandem im Camp einen Gefallen zu tun. Oder man räumt mit diversen Waffen oder selbstgebastelten Bomben die Freakers-Nester aus, um die Gegend etwas sicherer zu machen. Und natürlich bekommt man dadurch viele Erfahrungspunkte, mit denen man sich neue Fähigkeiten freischalten darf.
Erst nachdem man ein paar der üblichen Genre-Klischees erledigt hat, kommt langsam Spannung auf. Vor allem wenn man mit liebevollen Rückblenden erfährt, wie man seine geliebte Frau Sarah kennenlernen durfte und was die zwei alles so erlebt haben. Solche Szenen sind Highlights und tun der ansonsten sehr bedrückenden Stimmung sehr gut.
Spannend wird es auch, wenn man auf Mitglieder einer mysteriösen Regierungseinheit stösst und mehr zu den Hintergründen der Pandemie erfährt. Doch wird man mittels Dialog oder mit einer Cutscene endlich belohnt und erfährt mehr Hintergrundwissen, wird man schon wieder in die Spielwelt geworfen und muss sich den normalen Aufgaben stellen. Hungrig wird man zurückgelassen und wartet sehnsüchtig auf den nächsten Storyhappen.
So schön die heruntergekommene Welt präsentiert wird, so schön die Wettereffekte die triste Stimmung wiedergeben, so unschön wirkt stellenweise die Technik. Aufploppende Objekte und Figuren sind verkraftbar. Auch wenn einem das Motorrad plötzlich willkürlich meterweit wegfliegt, kann man darüber noch lachen …
Wenn aber plötzlich sämtliche Soundeffekte einfach verschwinden und man quasi ein stummes Spiel spielen muss, vergeht einem die Lust. In solchen Situationen muss dann das Spiel komplett heruntergefahren werden, damit die Soundeffekte nach einem Neustart wieder da sind. Ein nötiger Patch zum Release wird das Problem hoffentlich beheben. Oder es handelt sich hier nur um ein Problem des Testmusters. Man weiss es nicht genau …
Jenseits der technischen Mängel und der unbefriedigenden Story-Balance hat «Days Gone» aber auch sehr starke Momente: Wenn man etwa in der Wildnis oder während einer Mission von einer Horde Freakers überrascht wird, die aus dem Dickicht kommen, gefriert einem das Blut in den Adern. Und wenn man in einem dunklen Tunnel, der mit Autos und Leichen vollgestopft ist, die Monster schon kreischen hört, möchte man am liebsten wieder umkehren.
Es herrscht allgemein eine düstere, sehr morbide Stimmung in dieser Endzeitwelt: Eine Kultbewegung foltert regelmässig ihre Neumitglieder, Menschen werden geschändet und in den Nestern der Freakers kann man den Dreck fast schon riechen. Die Gesellschaft ist nach der Pandemie definitiv kaputt. In dieser heruntergekommenen Welt möchte man wirklich nicht leben.
Fazit: «Days Gone» hat eine sehr dichte, glaubwürdige Atmosphäre, die vor allem zusätzlich noch mit einem sehr stimmigen Soundtrack untermalt wird. Die verzweifelte Suche nach der vermissten Ehefrau wird plausibel erzählt und man muss einfach bis zum spannenden Finale ausharren, um endlich Antworten zu erhalten.
Doch bis es so weit ist, wird das Spiel manchmal leider zu einer Qual. Die schlechte Balance zwischen Story und aktivem Spielpart wirkt sich auf die Motivation negativ aus. Immer wenn es richtig spannend wird, wird man wieder in die Spielwelt zurückgeworfen und muss sich mit Endzeit-Klischees begnügen.
So verkommt «Days Gone» oft zur reinen Arbeit, um seichte Missionen am Stapel zu erfüllen, bis man endlich wieder mit einer inhaltsvollen Zwischensequenz belohnt wird. Stellenweise muss man sich richtig zwingen, um durchzuhalten. Doch der ganze Aufwand lohnt sich dann schlussendlich trotzdem.
Simi. Du hast in den meisten Punkten recht.
«Days Gone» bietet auf den ersten Blick nicht viele Höhepunkte: Die Story, das Storytelling und die Stimmung sind okay – aber eben nicht so herausragend wie zum Beispiel bei «The Last of Us». Die Grafik, die Spielwelt und Interaktionsmöglichkeiten sind okay – aber eben nicht so herausragend wie bei «Red Dead Redemption 2». Das Motorrad als Gadget ist nett. Aber nett ist auch ein Schwatz mit dem Nachbarn.
Wenn du nicht gerade in Euphorie ausbrichst, Simi, dann verstehe ich das. Ich verstehe auch, dass du das Game fast nicht zu Ende gespielt hättest. Aber du musstest es durchspielen. Für diesen Testbericht. Und genau dort liegt eventuell das Problem.
Ich habe jetzt etwa 20 Stunden auf der Spieluhr und bin noch nicht einmal in der Hälfte. Mir gefällt «Days Gone» wahnsinnig gut. Aber ich wurde auch nicht zur Eile gezwungen.
Was braucht es, damit mir ein Game wahnsinnig gut gefällt? Eigentlich nicht viel.
Manchmal reicht eine brillante Idee («Tetris», «Populous») oder eine brillante Eigenheit (das unerreichte Fahrgefühl bei Mario Kart). «Days Gone» hat so ein herausragendes Feature – und du, Simi, verschweigst es uns: Es ist das Gameplay.
Vielleicht ist es ein Glückstreffer. Vielleicht hat das Studio Bend statt in den Bartwuchs des Helden einfach viel Zeit in den Feinschliff der Spieldynamik und das Leveldesign gesteckt. Vielleicht halfen die Erfahrungen der Entwickler mit der «Syphon-Filter»-Serie. Mir ist es eigentlich schnuppe.
Wenn du also schreibst: «So verkommt «Days Gone» oft zur reinen Arbeit, um seichte Missionen am Stapel zu erfüllen … », dann muss ich dir widersprechen.
Nein. Mit Arbeit hat das nichts zu tun. Es ist Musse. Gleich ab der ersten Mission («Deacon! Besorg uns Benzin!») weckt «Days Gone» den besorgniserregenden Ehrgeiz, die Welt mit möglichst stilvollen Kills zu retten. Ah, Shit, der Treffer sass nicht optimal. Reload. Argl, ich wurde entdeckt. Reload. Mission unsauber beendet. Reload.
Die Menukarte der Überlebensstrategien bei «Days Gone» ist vielseitig: Nahkampf, gedeckt-getarnt, aus der Ferne, auf dem Motorrad, mit Brandbomben, einzeln ausknipsen oder vielleicht halt doch ein ganzes Grüppchen in die Luft jagen, fliehen, ja wieso auch nicht mal fliehen – jede Köstlichkeit, welche die verdorbene Spielerseele begehrt, wird serviert. Auf dem goldenen Tablett.
Ich behaupte jetzt einfach mal, dass «Days Gone» eine fast unerreichte Auswahl an tatsächlich nützlichen Kampftaktiken bietet. Andere Games ziehen anzahlmässig mit, die Magie liegt aber in der Balance. Und «Days Gone» liefert auch Desserts: Mit etwas Geschick lassen sich ganze Horden von Freakern «steuern» – zum Beispiel in Camps von Wegelagerern. Es braucht zwar etwas Geduld, aber der Jubel wird so laut sein wie das Geschrei des Gemetzels.
Weshalb man das tun soll? Wegen Fun. Das Gameplay von «Days Gone» genügt sich selbst. Und das ist eine der grössten Stärken, die ein Spiel haben kann.
Zugegeben: «Days Gone» erfindet auch hier das Rad nicht neu, bedient sich aber geschickt bei den Stärken bekannter Titel – und lässt die Schwächen fast komplett aus. Deacon verfügt über eine angenehme Laufgeschwindigkeit, das Schnellspeichersystem ist wirklich schnell, die Steuerung ist responsiv und wer sich im Motorradsattel nicht die Jeans durchscheuern will, dem gefällt das Schnellreisesystem. Auf der heiklen Gratwanderung zwischen Herausforderung und Schikane wählt Studio Bend stets die Herausforderung. Bravo.
Ja, man kann die Missionen auch schnörkellos und ohne Ansprüche auf Stil hinter sich bringen. Der Schwierigkeitsgrad und die Dummheit der AI lassen das (leider) zu – dies als kleiner Wermutstropfen. Deshalb der Tipp: Gleich im Schwierigkeitsgrad «Hard» beginnen. Not macht bekanntlich erfinderisch.
Ich würde mich nie getrauen, dir, Simi, das Attribut «verspielt» abzuerkennen – oder dich gar stillos zu nennen 😁. Als professioneller Spieletester muss du ein Spiel vor dem Testbericht zu Ende spielen. Der damit einhergehende Zeitdruck fördert die Verspieltheit nicht. Genau da aber liegt die Stärke dieses Games.
Wer eine Open-World-Saga sucht, wird enttäuscht (und ist vermutlich mit «Red Dead Redemption 2» besser bedient). Wer sich aber gerne damit beschäftigt, ganze Horden von Fieslingen möglichst elegant und variantenreich zu zerpflücken, der wird mit «Days Gone» eine lange Zeit glücklich werden.
«Days Gone» ist ab dem 26. April exklusiv erhältlich für die Playstation 4 und freigegeben ab 18 Jahren.
Freut ihr euch auf «Days Gone» oder seid ihr mit Endzeit-Games bedient? Die Kommentarspalte ist geöffnet!
Coole Landschaft.
Aber es hat für meinen Geschmack einfach zu viele Zombies. Kann es nicht einfach ein Endzeit-Spiel ohne diesem ultra Zombie-Aufmarsch geben? Fallout hat m.M.n. eine gute Mischung. Dort kann man ggf. eigene Wege gehen.