Das Swisscom-Netz hat die Feuertaufe nicht bestanden. Am Tag, an dem der Bundesrat den Notstand ausrief, ging das Swisscom-Netz in die Knie. Bereits am Montagmorgen waren bei einem Teil der Swisscom-Kunden die Gespräche via Festnetz- oder Mobiltelefone unterbrochen. Auch am Dienstagmorgen, heute waren nochmals weit mehr Menschen im Home Office, klagten Nutzer, dass etwa Konferenz-Gespräche kaum möglich sind. Immer wieder würden Teilnehmer aus der Leitung fliegen.
Swisscom sagt auf Anfrage, dass «eine punktuelle Überlast in dieser ausserordentlichen Lage zurzeit grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann.» Die Begründung: «Das Telekommunikations-Verhalten unserer Kunden ist aktuell nicht (wie sonst jeweils) vorherseh- und planbar.» Man überwache das Netz daher noch viel enger als sonst und treffe laufend Massnahmen. «Wir gehen davon aus, dass die Menschen in der Schweiz wegen der ausserordentlichen und sich laufend ändernden Lage ein deutlich erhöhtes Austauschbedürfnis haben. Sie telefonieren deutlich mehr und auch länger – über Mobile und Festnetz», sagt Swisscom.
Klar ist: Beim grössten Schweizer Telekommunikationsanbieter ist das Netz am Anschlag. Swisscom-Chef Urs Schaeppi appelliert gar in einem Video an die Nutzer, die Infrastruktur rücksichtsvoll zu nutzen. Gemeint ist das Mobil- und Festnetz – und weniger der Datenverkehr.
Die Probleme betreffen primär Anrufe zwischen Mobil- und Geschäftsfestnetznummern. Bei einem Anruf vom Mobil- ins Mobilnetz ist die Chance für einen Verbindungsaufbau grösser. «Trotz dem Kapazitätsausbau, kann es nach wie vor punktuell zur Überlastung kommen – entscheidend ist das Verhalten der Bevölkerung», lässt Swisscom wissen.
Kapazitätsengpässe gebe es nur bei der Telefonie (Mobil- und Festnetz), kaum aber beim Datenverkehr. Wenn also ein normaler Voice-Anruf nicht klappt, lohnt es sich einen Anruf über das Internet (Facetime, Threema, Skype etc.) zu versuchen. Videocalls werden rein über Daten geführt und sollten momentan besser funktionieren.
Mehrere Medien haben in den letzten Tagen berichtet, dass der zusätzliche Datenverkehr durch Home Office, Netflix-Gucker oder Schüler, die nun den ganzen Tag zu Hause sitzen und allenfalls lieber gamen statt zu büffeln, das Internet ausbremsen könnten.
Hier ist zunächst zu differenzieren: Home Office belastet zwar das Telefonnetz bzw. den Voice-Bereich, aber kaum das Datennetz. Swisscom sagt dazu: «Im Daten-Bereich sehen wir bisher kaum eine Änderung bei der Netzlast. Denn: Homeoffice-Anwendungen benötigen im Vergleich zu Streaming-Anwendungen wie Swisscom TV und Netflix nur einen kleinen Anteil des Gesamtverkehrs, im tiefen einstelligen Prozentbereich der ganzen Netzlast.» Nicht Home Office an sich, sondern vor allem Streaming (YouTube, Internet-TV etc.) und Online-Games verbrauchen also viel Bandbreite. Zur Einordnung: Gestern Montag wurde etwa gleich viel gestreamt wie an einem normalen Sonntag. Von einem Internet-Kollaps sind wir also weit entfernt. Denn beim Daten-Bereich sieht Swisscom «noch genügend Kapazität».
IT-Unternehmer Fredy Künzler, Chef des rivalisierenden Providers Init7, sieht dies gleich: Dass mit dem faktischen Stillstand in der Schweiz nebst Home Office auch die Nutzung von Netflix, Youtube und Online-Gaming zunehme, «sei unproblematisch», sagte er gegenüber CH Media.
Trotzdem spukt das Gespenst herum, Provider könnten bald Streaming-Dienste wie Netflix während den Bürozeiten drosseln oder blockieren, um mehr Bandbreite für Home-Office-Tätige freizuschaufeln.
Theoretisch wäre das möglich. «Der Bundesrat droht als Ultima Ratio mit einer Blockade von Video-Streaming», schreibt die NZZ. Auf Basis des Epidemien Gesetzes haben wir aktuell in der Schweiz eine ausserordentliche Lage. Dem Bund geht es darum, die Ressourcen für die wichtigen, sprich geschäftlichen Dienste freizuhalten. Netflix gucken gehört da eher nicht dazu. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) sagt laut NZZ: «Sollten gravierende Engpässe entstehen, hat der Bund die Möglichkeit, nicht versorgungsrelevante Dienste einzuschränken oder zu blockieren.» Darunter würden also Streamingdienste fallen. Swisscom sagt hierzu nur: «Aufgrund behördlicher Massnahmen könnten wir wie auch andere Provider angehalten werden, die Netzstabilität mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.» Im Klartext: Im Fall der Fälle müssten Swisscom und Co. Video-Streamingdienste drosseln. In der Praxis ist das aber unwahrscheinlich.
Die einfache Begründung: Der Peak bei der Datennutzung wird jeweils am Sonntagabend erreicht, wenn die halbe Schweiz auf dem Sofa liegt und via Swisscom TV, Netflix oder YouTube aus allen Rohren streamt. Und selbst dann haben weder grosse noch kleine Provider Engpässe. Auch wenn nun wegen des Lockdowns die Hälfte der Schweiz im Home Office sitzt und statt zu arbeiten Netflix gucken würde, wäre dies für die Provider kein grösseres Problem. Die Auslastung wäre kaum grösser als an einem normalen Sonntag.
Statt Netflix oder Internet-TV-Dienste zu blockieren, und so den Zorn der Kunden auf sich ziehen, würden die Provider viel eher ihre Kapazitäten ausbauen. Und auch der Bund hat kaum ein Interesse an diesem Szenario, halten TV und Streaming-Dienste die Bevölkerung doch gerade in der Wohnung.
Und wie gesagt, vorerst gilt: Der Engpass besteht im Voice-Bereich, nicht beim Daten-Bereich.
Ab und zu ins Stocken geraten kann der Internet-Datenverkehr trotzdem, aber das muss nicht zwingend am Provider liegen. Aktuell gibt es auch Probleme, wenn Unternehmen ihre Systeme nicht auf ein verstärktes Zugreifen aus dem Home Office ausgerüstet haben, sprich die Internet-Leitung des Arbeitgebers zu wenig Kapazität für die vermehrten VPN-Verbindungen von zuhause hat. Auch so kann es zu Engpässen kommen.
Ein weiterer Flaschenhals kann der private Internet-Anschluss sein. UPC hat am Dienstag reagiert und erhöht für sechs Wochen die Internetgeschwindigkeit auf 100 Mbit/s bei allen Kunden, die momentan über ein Abo mit weniger als 100 Mbit/s verfügen. Das geschehe automatisch und ohne Kosten. 165'000 Kunden würden davon profitieren. Gut möglich, dass andere Provider diesem Beispiel schnell folgen werden.
- Mobil und Festnetzgespräche belasten die Infrastruktur so extrem (weniger als Daten)? Und das obwohl in den letzten Jahren alles auf VoIP umgestellt wurde, unter genau dem Vorwand, dass dann alles digital läuft und nur noch Pakete rumschwirren anstatt dass echte Leitungen geschalten werden müssen?
- "Marktführer" Swisscom kriegts nicht gebacken während UPC in schon "knappen" Zeiten die Bandbreite sogar noch erhöht?
- Online-Gaming braucht viel Bandbreite??? Cloud Gaming und neue Spiele runterladen vielleicht, aber sicher nicht Standard-Multiplayer. Dafür reichen Kilobits/s aus.