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Russische Hacker leakten Schweizer Bankgeschäfte mit Putin-Vertrauten

Die Schweiz profitiert trotz internationaler Sanktionen von Geschäftsbeziehungen mit reichen Russen. Nach jüngsten Enthüllungen rückt erneut der Finanzplatz ins Visier.
Die Schweiz profitiert trotz internationaler Sanktionen von Geschäftsbeziehungen mit reichen Russen. Nach neuen Enthüllungen rückt erneut der Finanzplatz ins Visier.Bild: Shutterstock
Analyse

Wie russische Hacker (ungewollt) Schweizer Bankgeschäfte von Putin-Vertrauten aufdeckten

Ausgerechnet russische Cyberkriminelle sorgten dafür, dass heikle Geschäftsbeziehungen von hohen russischen Beamten ans Licht kommen. Durch eine Ransomware-Attacke, die watson publik gemacht hat.
18.09.2023, 06:0319.09.2023, 09:46
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Der Schweiz drohten «Skandale wie beim Raubgold der Nazis», schrieb der «Tages-Anzeiger» in einem am Donnerstag veröffentlichten redaktionellen Kommentar. Grund sind die umfangreichen Recherchen, die ein internationales Team von Journalistinnen und Journalisten getätigt hat.

Demnach haben Schweizer Banken trotz Sanktionen und Geldwäscherei-Vorwürfen Geschäftsbeziehungen mit hohen russischen Beamten und Putin-Vertrauten geführt. Auch watson hat bereits zum #ZurichLeak berichtet.

Das Fazit des «Tages-Anzeigers»:

«Die Daten geben erstmals einen schmalen, aber ungeschönten Einblick, wie einzelne Schweizer Banken das Geschäft mit heiklen Russengeldern auch nach Ausbruch des Krieges im Februar 2022 ungestört weiterführten. Es zeigt sich, dass dies sogar ohne grosse Risiken möglich ist. Die seit Kriegsbeginn eingeführten und weitherum als streng gelesenen Regeln lassen viele Türen offen.»
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screenshot: tages-anzeiger.ch

Massgeblich an den Recherchen beteiligt war das Westschweizer Fernsehen RTS. Es berichtete am Donnerstagabend in der Sendung «Temps Présent» über das Datenleck und die weitreichenden Folgen für den hiesigen Finanzplatz.

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screenshot: rts.ch

Vorab erschien am Donnerstag auf rts.ch ein Bericht zu den Enthüllungen. Und darin wurde auch die Rolle von watson beim #ZurichLeak hervorgehoben: Dieses Newsportal hat den Hackerangriff publik gemacht, der die journalistischen Recherchen überhaupt erst ermöglichte.

Das Westschweizer Fernsehen schreibt:

«Für diese Untersuchung wurden knapp 400'000 Dokumente, darunter 284'000 interne E-Mails des Unternehmens Finaport, analysiert. Diese Daten sind aktuell und umfassen einen Zeitraum von 2004 bis Anfang 2023. Diese Untersuchung wurde in Zusammenarbeit mit Tamedia, ‹Le Monde›, ‹Der Spiegel›, ZDF und dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) durchgeführt.»
quelle: rts.ch

Wer steckt dahinter?

Was bei der Berichterstattung der an den Recherchen beteiligten Schweizer Medienhäuser auffällt: RTS nennt zwar die betroffene Finanzdienstleiterin, verschweigt aber, welche Bande von Cyberkriminellen hinter dem Leak steckt.

Die Begründung von RTS:

«Da die Dokumente aus einem Datendiebstahl durch eine Gruppe von Cyberkriminellen stammen, werden heute nur Namen und Informationen veröffentlicht, die im öffentlichen Interesse liegen.»
quelle: rts.ch

Anders der «Tages-Anzeiger»: Hier wird im Bericht bestätigt, dass die Firma von der Ransomware-Gruppe ALPHV angegriffen wurde, die «im Anschluss die Daten vorübergehend im Darknet veröffentlichte». Hingegen ist nur von einem «Datenleck eines Zürcher Vermögensverwalters» die Rede, ohne den Namen des Unternehmens zu erwähnen.

Der «Tages-Anzeiger» begründet:

«Wie schon bei den Ransomware-Daten rund um die Schweizer Firma Xplain entschied sich die Redaktion, nur einzelne ausgewählte Aspekte der Daten zu veröffentlichen, die von besonderem öffentlichem Interesse sind.»
quelle: tages-anzeiger.ch

Dass in beiden Berichten nicht weiter auf die berüchtigte Ransomware-Bande eingegangen wird, die die ganzen Enthüllungen überhaupt erst ermöglicht hat, ist mit medienethischen Überlegungen zu erklären. Bekanntlich hoffen die Erpresser mit ihren Drohschreiben im Darknet, ihre Opfer zusätzlich unter Druck zu setzen und sie zum Bezahlen der geforderten Summen zu bringen. Jegliche Publizität könnte den Cyberkriminellen bei ihrem Tun helfen.

Als watson die Ransomware-Attacke und den Datenklau im vergangenen Februar publik machte, wurde bewusst auf eine detaillierte Berichterstattung zum Leak verzicht und das Ausmass des Datendiebstahls nur skizziert.

Weil es sich bei ALPHV aber um eine der weltweit gefährlichsten Ransomware-Banden handelt, galt es, potenziell Betroffene auf das entsprechend hohe Schadenspotenzial hinzuweisen. Insbesondere waren Folgeattacken aufgrund der von den Hackern geleakten Kundendaten zu befürchten.

RTS und die Partner des internationalen Medienkonsortiums haben sich in der Folge entschieden, die geleakten Daten zu sichern und zu analysieren, da ein öffentliches Interesse daran bestehe, zu erfahren, was sie enthalten.

Dann besorgten sich die Rechercheure Gerichtsakten, durchsuchten kommerzielle Datenbanken und befragten Experten für Geldwäschebekämpfung, Akademiker und Aktivisten, um die durchgesickerten Daten zu bestätigen und zu interpretieren und die Hintergründe der problematischen russischen Bankkundinnen und Bankkunden zu bestätigen.

Offenbar mit durchschlagendem Erfolg, wie auch das Westschweizer Fernsehen bestätigte:

«In noch nie dagewesener Weise ermöglicht dieses Datenleck, den Schleier über den Praktiken des Schweizer Finanzplatzes zu lüften und detailliert darzulegen, wie die vermögende russische Kundschaft nach 2014 und der Annexion der Krim und sogar nach der Invasion der Ukraine im Jahr 2022 weiterhin bedient und beraten wurde.»
quelle: rts.ch

Ironie der Geschichte: Mit ALPHV ist ausgerechnet eine russischsprachige Bande, deren Verantwortliche in der Russischen Föderation vermutet werden, schuld, dass fragwürdige Bankverbindungen reicher Russen publik wurden.

Einige watson-User dürften die Bande kennen, sie zeichnete unter anderem für einen verheerenden Cyberangriff auf das österreichische Bundesland Kärnten verantwortlich, wie auch für eine Attacke gegen die Flughafen-Dienstleisterin Swissport. Und auch der unlängst erfolgte Angriff auf die Casino- und Hotelkette MGM Resorts wird ihr zugeschrieben.

Welche Folgen haben die Enthüllungen zum Schweizer Finanzplatz?

Das ist nicht absehbar.

Der österreichische IT-Sicherheitsberater Florian Schweitzer fragte nach dem Bekanntwerden der jüngsten Enthüllungen bei X: «Dürfen Journalisten ‹Erpressungsmaterial› von Ransomware-Gruppen veröffentlichen und damit indirekt den Anreiz zur Zahlung von Lösegeld erhöhen?»

Und dann vermutete er:

In diesem konkreten Fall dürften sowohl Täter als auch Opfer aus Russland stammen, was durchaus auch den Druck auf russische Behörden erhöhen könnte, den Spielraum der Ransomware Gangs einzuschränken.
quelle: twitter.com

Auf politischer Ebene haben die Enthüllungen die Diskussionen der nationalen und internationalen Politik angefacht. Schon länger wird kritisiert, die Schweiz unternehme zu wenig bei der Durchsetzung der Russland-Sanktionen und Sicherstellung von versteckten Oligarchenvermögen.

Das Nachrichtenmagazin «Spiegel» kommentiert:

«Schon lange muss sich die Schweiz vorwerfen lassen, es dubiosen Geschäftsleuten viel zu einfach zu machen. Jüngst hatten US-Politiker das Land eine ‹Schwachstelle westlicher Sanktionen gegen Russland› genannt. Schweizer Banken gelten als flexibel, wenn es ums Geldverdienen geht.»
quelle: spiegel.de

Das Basel Institute on Governance ist eine unabhängige, internationale Non-Profit-Organisation, die sich der Prävention und Bekämpfung von Korruption und anderer Finanzkriminalität und der Stärkung der Regierungsführung weltweit verschrieben hat. Die Organisation hilft unter anderem auch der Ukraine, illegale Vermögen weltweit aufzuspüren und zu beschlagnahmen. Deren Direktorin Gretta Fenner wählte gegenüber dem «Tages-Anzeiger» deutliche Worte:

«Es lässt sich nicht sagen, ob die Banken bei uns in manchen Fällen einfach blauäugig und nachlässig sind oder ob dahinter ein System steckt.

Aber aufgrund dessen, was in der Öffentlichkeit bekannt ist, oder wenn man solche Fälle anschaut, kann man schon den Eindruck bekommen, dass eher weniger als mehr gemacht wird. Und dass man vor allem auf Druck von aussen und weniger aus Eigenantrieb handelt.»

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bestätigte laut RTS-Bericht, man habe bislang 30 Strafverfahren wegen des Verdachts der Umgehung von Sanktionen durch Schweizer Unternehmen eröffnet und 22 unabhängige Beschlagnahmungen im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland durchgeführt. Bis heute seien 7,5 Milliarden an russischen Guthaben vom Bund eingefroren worden. Die internationale Gemeinschaft bemängelt allerdings, dies sei nur ein Bruchteil der russischen Vermögen hierzulande.

Quellen

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA

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60 Kommentare
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team eberhofer-birkenberger
16.09.2023 22:49registriert Dezember 2020
es ist zum 🤮
diese verdammte heuchelei mit "wir tun was möglich ist" und das klägliche neutralitätsgeschwurbel geht mir unendlich auf den keks.
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banda69
16.09.2023 20:01registriert Januar 2020
"Massgeblich an den Recherchen beteiligt war das Westschweizer Fernsehen RTS."

Nur schon dafür bezahle ich gerne Fernsehgebüren. Und die demokratiefeindlichen Putinisten von SVP, die bekämpfen das.
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Repplyfire
16.09.2023 20:16registriert August 2015
Ich hoffe auf genügend internationalen Druck auf unseren Finanzplatz und unsere Regierung. Das ist der einzige Weg, wie sich hier in diesem Bereich etwas bewegt. War beim Nazigold, Nachrichtenlosen Vermögen, Bankgeheimnis und Steuerhinterziehungshilfen etc. schon so.
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