Tag 14: Meine Grosshirnrinde schmerzt. Ich glaube zu spüren, wie die Neuronen durch mein Cerebrum rasen. Mit Lichtgeschwindigkeit. Ist es möglich? Kann es sein? Ist das ein Gehirn-Muskelkater?
Ein spontanes «Heureka» entflieht meinen Lippen. Dr. Kawashima, du hast mich gerettet! All die Nachmittage, die ich mit Sozialpornos auf deutschen Privatfernsehsendern verbracht habe. All die gescheiterten Versuche, den USB-Stick beim ersten Mal auf der richtigen Seite einzustecken. Vorbei!
Ich bin jetzt mit Intelligenz gesegnet. Mensa-Club, ich komme!
Tag 15: Vielleicht waren das gestern auch nur Kopfschmerzen. Ich habe gerade fünf Minuten lang mein Handy gesucht. Während ich telefonierte.
Oh, das Dschungelcamp läuft gerade. Geil.
Ja, doch. Es geht um Nintendos Intelligenz-Potenzierer «Dr. Kawashimas Gehirnjogging». Vor 14 Jahren ist die erste Version des Spieles erschienen, damals noch für den Nintendo DS. Nun ist eine Neuauflage erhältlich, konzipiert für den Nintendo Switch.
So weit die Theorie. Ich habe das Spiel getestet, um zu sehen, ob man damit wirklich intelligenter wird. Das Ergebnis war ziemlich ernüchternd.
Ich starte meinen Versuch mit der Lite-Version der Nintendo Switch. Beim Öffnen der Spielhülle gleich die erste Überraschung: Da hat's einen Stift drin. Sorry, einen Stylus. Damit soll man Wörter und Zahlen schreiben während verschiedener Übungen. Cool. Game-Chip in die Konsole schieben und los geht's.
Der kantige Pixelkopf von Dr. Kawashima begrüsst mich und erzählt gleich mal von meinem Gehirn. Kurzfassung seines Vortrags: Man wird nach dem 20. Altersjahr nur noch dümmer.
Motivieren kann er, der gute Kawashima.
Er erzählt mir, wie wichtig es deshalb sei, sein Gehirn fit zu halten und belegt seine Thesen mit wissenschaftlichen Studien. Ok, klingt einleuchtend (obwohl sich die Wissenschaft hier sehr uneinig ist). Schaden wird es ja wohl kaum.
Um ein persönliches Trainingsprogramm zusammenzustellen, muss der Doktor aber erst einmal mein geistiges Alter ermitteln. Dazu soll ich drei Mini-Games spielen.
Gleich zu Beginn das erste Ärgernis. Um Schere, Stein, Papier zu spielen, benötigt man die Joystick-Kamera des Nintendo Switch. Wer jedoch die Lite-Version der Konsole besitzt, hat keine solche Kamera. Eine alternative Spielform gibt's nicht. Das Game muss übersprungen werden.
Besitzt du also einen Nintendo Switch Lite, kannst du hier getrost aufhören zu lesen: Kauf dir das Spiel nicht. Viele der Mini-Games funktionieren nicht auf der Lite-Version, der Multiplayer überhaupt nicht.
Dann ermitteln wir mein geistiges Alter halt nur mit zwei Spielen. Erste Aufgabe: Kopfrechnen. Dazu soll ich die Switch vertikal ausrichten. Anfangs ein wenig ungewohnt, aber man gewöhnt sich schnell dran. Die Ergebnisse soll man mit dem Stylus auf den Bildschirm schreiben.
Funktioniert mehr schlecht als recht. Bei diesem Spiel steht man unter Zeitdruck, muss die Aufgaben möglichst schnell lösen. Dementsprechend leidet die Schönschrift darunter. Bei praktisch keiner Eingabe erkennt das Spiel meine Sauklaue. Wobei ich mir habe sagen lassen, dass die gar nicht so schlimm sei.
Leidet man also unter chronischer Ärzte-Handschrift, dänn guet Nacht am Sächsi.
Liebe Ärzte, hier ist der Artikel also auch für euch zu Ende. Euer Hirn sollte das ja sowieso nicht nötig haben.
Die ersten zwei Spiele sind gespielt, wie alt ist mein Hirn jetzt, Dr. Kawashima? Knackige 22? 23? Immerhin habe ich erst ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel.
80. Mein Denkvermögen befindet sich auf dem Niveau eines 80-Jährigen. Sagt der Doktor zumindest.
Das sass. Aber kein Problem: Blutdruckmedikamente einnehmen und weiter geht's. Bei meinem geistigen Alter vergesse ich eh bald, wie alt mein Gehirn ist.
Bei meinem geistigen Alter vergesse ich eh bald, wie alt mein Gehirn ist.
Ich kriege also einen Trainingsplan zusammengestellt, der aus drei Übungen täglich besteht. Am Anfang sind nur wenige der Übungen freigeschalten. Mit der Zeit hat man aber Zugriff auf alle 13 Übungen. Ja, ganze 13 Mini-Spiele sind es. Da hatten meine Gameboy-Color-Module noch mehr Spiele.
Um diese sehr schmale Auswahl auch wirklich spielen zu können, habe ich mir noch einen richtigen Nintendo Switch besorgt. Und siehe da: Einige Games machen richtig Spass. Vor allem im Multiplayer-Modus. Vögel zählen zum Beispiel. Klingt ein wenig stumpf, ich bin aber auch geistig schon 80.
Ein weiteres cooles Feature, jetzt da ich die richtige Switch besitze, ist die Joystick-Kamera. Schere, Stein, Papier darauf zu spielen funktioniert ziemlich gut. Manchmal zu gut, und ich habe gar keine Zeit, meine Hand aus dem Sichtfeld der Kamera zu nehmen, bevor die nächste Figur erscheint.
Das ist stark anzuzweifeln. Wahrscheinlich eher das Gegenteil. Denn das Spiel besitzt ein gewisses Aggressionspotenzial, weil viele der Games einfach nicht richtig funktionieren. Eigentlich alle, die mit dem Stylus gespielt werden müssen. Und Wutanfälle sind bestimmt nicht gut für die Gehirnzellen.
Der Test für das geistige Alter meinte nach zwei Wochen zwar, dass ich mittlerweile ein 49-jähriges Gehirn besitze, aber das liegt wohl eher daran, dass ich mich an die repetitiven Aufgaben gewöhnt habe. Und so habe ich gefühlt eher sechs IQ-Punkte verloren. Vielleicht auch sieben.
Dr. Kawashimas Gehirnjogging ist die knapp 40 Franken nicht wert. Spiele wie «Zeitung lesen», bei dem man tatsächlich einfach laut vorlesen muss, oder «Zählen», bei dem man laut und deutlich auf 120 zählen muss, sind unter jeglicher Kreativitätsgrenze. Das hätte man auch ein bisschen schmissiger produzieren können.
Apropos 40 Franken: Auf den Appstores von Apple und Android gibt es mittlerweile VIEL bessere Gehirn-Training-Apps, die mehr und abwechslungsreichere Spiele bieten und erst noch günstiger sind.
Sorry, Dr. Kawashima, aber das war nichts.