Wer durch den Kiefernwald von Grünheide läuft, dessen Füsse sinken ein wenig im feuchten Moos ein. Weich fühlt sich das an, sodass alles ein wenig gedämpft wirkt, auch wenn Dutzende Leute herumwuseln. Seit rund zwei Wochen besetzen rund 80 Personen den Wald südöstlich von Berlin; einige leben in Baumhäusern, andere in Zelten.
Ihr Gegner könnte kaum bekannter sein: Es ist der amerikanische Unternehmer Elon Musk, dessen Autobauer Tesla hier das Gelände seiner sogenannten Gigafactory erweitern will. «Water is a human right», heisst es auf einem Transparent der Besetzer, «Wasser ist ein Menschenrecht». Schon jetzt, so meinen sie, müssten die Bürger in der Umgebung mit Wasser-Rationierungen leben. Im Winter mag das Moos feucht sein, doch befinden wir uns in einer niederschlagsarmen Region.
«Tesla den Hahn abdrehen ist Handarbeit», lautet ein Slogan der Aktivisten. Anfang letzter Woche wurde dem Konzern erst einmal der Strom abgedreht: Ein Anschlag auf einen Hochspannungsmast führte zu einem Ausfall; bis Montagabend standen die Bänder still. Der Autobauer sprach von einem Schaden in neunstelliger Höhe. Zu dem Attentat bekannt haben sich die linksextremen «Vulkangruppen», die auch schon Anschläge auf die Infrastruktur der Deutschen Bahn verübt haben. «Gemeinsam zwingen wir Tesla in die Knie», hiess es in ihrem Bekennerschreiben.
Von der Explosion, so sagen die Waldbesetzer, hätten sie aus den Medien erfahren. Die Aktivisten gehören dem linken Spektrum an. Einige haben ihre Gesichter schwarz vermummt, wie man es von der autonomen Bewegung kennt. Offenkundig bewegt sie nicht nur das Schicksal des Waldes: Auf einem Transparent wird ein Waffenstillstand in Gaza gefordert; auf einem Wochenplan, der im Camp aushängt, ist ein Gesprächskreis über «Kritische Männlichkeit» angekündigt.
Derartige Anliegen dürften den meisten Einwohnern einer brandenburgischen Kleinstadt eher fremd sein. Trotzdem scheinen die Besetzer in der Bevölkerung von Grünheide einigen Rückhalt zu geniessen. Für manche sind sie so etwas wie Vollstrecker des Volkswillens: Bei einer Einwohnerbefragung im Februar haben sich fast 60 Prozent gegen Teslas Bebauungsplan entschieden; die Beteiligung lag über 70 Prozent. Bindend ist das Votum allerdings nicht: Der Gemeinderat des 9000-Einwohner-Ortes hat entschieden, den Wald an Tesla zu verkaufen.
Als Mitglieder der Bürgerinitiative Grünheide sind Manuela Hoyer und Steffen Schorcht eine Art Bindeglied zwischen der lokalen Bevölkerung und den Aktivisten. Vom Alter her könnten die beiden deren Grosseltern sein. Anfangs, so sagt Hoyer, sei ihre Initiative in die rechte Ecke gerückt worden, weil auch AfD-Leute bei ihren Kundgebungen mitgelaufen seien. «Wir waren für viele im Ort die Blöden und die Dummen», erinnert sich Schorcht. Dietmar Woidke, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Brandenburg, habe gesagt, man müsse Teslas Pläne besser erklären. «Was für eine arrogante Haltung», meint Schorcht.
Als Kapitalismuskritiker versteht sich Schorcht, der für ein Pharmaunternehmen mit Hauptsitz im tessinischen Mendrisio arbeitet, nicht: «Ich habe ja in der DDR gelebt.» Die Jüngeren sehen das anders: «Im Kapitalismus sind niemals gute Arbeitsbedingungen möglich», sagt Caro Weber von der Initiative «Tesla stoppen». Saubere E-Autos seien «eine dreckige Lüge», meint die sehr ernst wirkende junge Frau. Dabei geht ihr Blick über den deutschen Wald hinaus: Beim Kobalt-Abbau im Kongo gebe es Kinderarbeit. Tesla betreibe «neokoloniale Ausbeutung».
In Deutschland, so monieren die Aktivisten, zahle der Konzern niedrige Löhne; der Krankenstand sei hoch und im Werk gebe es viele Unfälle. «Die Arbeitsbedingungen sind unterirdisch», sagt Paul Eisfeld von der Initiative «Tesla stoppen». Auch er wirkt sehr ernst. «Elon Musk ist kein Demokrat, er ist weit rechts zu verorten», meint Eisfeld.
Einig sind sich die jungen Aktivisten und die Älteren von der Bürgerinitiative nicht immer: Lou Winters, eine junge, blonde Frau, deren Fröhlichkeit sie von den meisten ihrer Mitstreiter unterscheidet, ist nicht nur gegen die Erweiterung, sondern fordert auch einen «Rückbau» des Werkes. «Rückbau», das sei «blöd ausgedrückt», wendet Manuela Hoyer ein. Winters schwächt ab: Das Werk, so meint sie, könne doch umstellen - auf den Bau von E-Bussen oder Trams. Individualverkehr sei das eigentliche Problem, egal ob elektrisch oder mit Verbrennungsmotor.
Beim «Waldgang» der Bürgerinitiative ist der Altersdurchschnitt deutlich höher als unter den Aktivisten. Viele Leute aus dem Ort marschieren mit. Als die Gruppe den Zaun erreicht, der das Werk vom Wald trennt, wird sie beobachtet: Auf der anderen Seite steht ein Tesla, in dem zwei Werksangehörige oder Sicherheitsleute sitzen. Hoyer beendet den Spaziergang mit einer kurzen Ansprache: «Wir kämpfen so lange, bis der Gemeinderat mit Nein stimmt», ruft sie unter lang anhaltendem Beifall.
Einen Güterbahnhof, Lagerhallen und eine Kindertagesstätte will Tesla auf dem Gelände errichten. Damit sind die Ausbaupläne des Konzerns aber noch längst nicht erschöpft: Längerfristig soll die Produktion von derzeit 500'000 Fahrzeugen auf eine Million hochgefahren werden. Auch die Zahl der Mitarbeiter, die derzeit bei 12'000 liegt, soll deutlich steigen.
Grünheide profitiert von den Steuereinnahmen, die Teslas einziges Werk in Europa der Gemeinde bringt. Die meisten Arbeiter kommen aber als Pendler von ausserhalb. Das mag eine Erklärung dafür sein, warum viele hier Tesla kritisch sehen. Ein anderer dürfte in der Art liegen, wie sich der Konzern erklärt: Für Musk scheint Kommunikation vor allem darin zu bestehen, flotte Sprüche auf seinem sozialen Netzwerk X abzulassen. Damit gewinnt er Likes in sechsstelliger Zahl, doch die Anwohner in Grünheide überzeugt er auf diese Weise nicht. Presseanfragen zu seinen Plänen in Brandenburg lässt Tesla unbeantwortet.
Einige in Grünheide fühlen sich von dem Konzern regelrecht überfahren: Zwischen der Ankündigung des Baus und dem Produktionsstart im März 2022 vergingen keine drei Jahre. Im bürokratischen Deutschland ist das ein ausserordentliches Tempo. Die Politik liess sich gerne überwältigen: Die Werkseröffnung feierte Musk mit Kanzler Olaf Scholz und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck. E-Mobilität schien zu den ambitionierten Klimazielen der deutschen Regierung zu passen.
Die Anwohner klagen derweil über Pläne, die sich ständig änderten, vorschnelle Genehmigungen und zahlreiche Regelverstösse beim Bau. Das Werk, in dem sowohl Autos als auch Batterien produziert werden, habe schlicht den falschen Standort, sagt Schorcht: «Es hat den Charakter einer Chemiefabrik, befindet sich aber in einem Wasserschutzgebiet.» Die «Gigafactory», so meint er, brauche so viel Wasser wie 40'000 Bürger.
Am Mittwoch schaut Elon Musk überraschend in Grünheide vorbei. Allerdings nur in seinem Werk, nicht im Ort. Den Arbeitern verspricht er jährliche Lohnerhöhungen. «Giga - We are the future», steht auf dem T-Shirt, das der Unternehmer trägt. Gut zwei Stunden hält er sich in Brandenburg auf; am Nachmittag fliegt er in seinem Privatjet weiter nach Paris.
Das Verhältnis zwischen Tesla-Arbeitern und Aktivisten ist kompliziert. Man rede miteinander, erklärt Paul Eisfeld, doch allzu häufig seien die Kontakte nicht. Nach dem Anschlag haben einige hundert Tesla-Angestellte für ihren Arbeitgeber demonstriert, und bei seinem Werksbesuch wird Musk bejubelt. «Wir müssen eine kollektive Lösung finden, bei der alle Menschen mitgenommen werden», sagt Eisfeld, ohne zu erläutern, wie diese aussehen könnte.
Die Behörden wollen die Besetzung bis Mitte nächster Woche dulden; sollten die Baumhaus-Bewohner dann nicht aufgeben, könnte es zu einer zwangsweisen Räumung kommen - womöglich mit Szenen wie letztes Jahr im westdeutschen Lützerath, wo Aktivisten die Erweiterung eines Braunkohle-Tagebaus verhindern wollten und schliesslich mit Wasserwerfern und Schlagstöcken vertrieben wurden.
Die Gemeinde scheint eine solche Eskalation zu fürchten: Statt der ursprünglich geplanten 100 Hektar Wald sollten nur noch 50 fallen, gab der Bürgermeister am Donnerstag bekannt. Einige Aktivisten wollen dennoch so lange bleiben, bis die Politik und Tesla vollständig nachgeben. Ob sie auch in fünf Jahren noch hier sein könnten, fragt eine Journalistin. René Sander, einer der Sprecher des Camps, zuckt mit den Schultern. «Wir bleiben so lange wie nötig», sagt er. Noch sei der Wald nicht verkauft. (aargauerzeitung.ch)
Irgendwie ist Logik nichts mehr in Deutschland. Und alles nur aufgrund "Social Media" - die Abrissbirne jeglicher Zivilisation, Bildung und Kultur. Weltweit.