Ein Anzeichen für irrationalen Überschwang sind besonders extrem bewertete Unternehmen. Aktuell erfüllt der Elektroautohersteller Tesla dieses Kriterium auf spektakuläre Weise. Laut einem Analysten von JPMorgan-Analysten hat die Aktie «den Bezug zu den Fundamentaldaten völlig verloren».
Der Hersteller von Elektroautos ist seit langem besonders hoch bewertet gemessen an seinen Gewinnen. Früher stimmte zumindest der Trend, es ging steil bergauf mit Tesla. Dem ist nicht mehr so. Die letzten Gewinnzahlen waren laut einem Analysten «schrecklich». Dennoch ging der Kurs zunächst weiter in die Höhe.
Doch dann setzte die Schwerkraft ein und Tesla fiel tief. Nach einem Hoch im Dezember verlor die Aktie mehr als ein Viertel ihres Wertes und um die 400 Milliarden Dollar an Börsenwert. Zuvor hatte die Börse darauf gewettet, dass Tesla dank Musks Nähe zu Donald Trump noch höher fliegen würde.
Seither überwiegen die Zweifel. Wie wird Tesla dastehen, wenn Trump seine Ankündigungen wahr macht und staatliche Hilfen für Elektroautos streicht? Laut Finanznachrichtendienst Bloomberg könnte der Autobauer bis zu 40 Prozent weniger Gewinn schreiben.
Das sollte auch Musk beschäftigen. Sein Status als reichster Mann der Welt steht und fällt mit Tesla: Die Aktie macht ungefähr die Hälfte seines Vermögens aus. Tesla wiederum steht und fällt mit seinen Elektroautos. Musk hat zwar grosse Versprechungen gemacht zu Robotern, selbstfahrenden Autos und künstlicher Intelligenz – aber das Geld bringen die Elektroautos.
Doch Tesla ist noch immer so hoch bewertet, dass die Aktie viele Analysten verzweifeln lässt, wie Bloomberg schreibt. Sie wissen nicht mehr, wie sie Tesla einschätzen sollen. Einer schimpft sinngemäss, schnöde Gewinnzahlen würden nicht mehr interessieren, wenn Musk das Narrativ um Tesla herum so komplett beherrsche. Ein anderer sagt, diese Erzählung sei «voller Träume und Hoffnungen für Musks Visionen».
Mit Musks Visionen ist Tesla wohl das extremste, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel an der US-Börse. Ein Analyst sagt: «Es ist ein Markt, in dem fundamentale Daten keine Rolle mehr spielen. Die Leute kaufen Vermögenswerte, die offensichtlich keinen inneren Wert haben, wie die Kryptowährung Fartcoin (Furz-Münze).»
Aktien sind in den USA im historischen Vergleich insgesamt sehr teuer. Das lässt sich an einem Indikator ablesen, der schon während der Dotcom-Blase die Crash-Gefahr signalisierte und jetzt wieder sehr hoch ist: das Verhältnis von Aktienkurs zu Gewinn. Je höher es ist, desto teurer sind Aktien und umso grösser die Gefahr eines Crashs.
Wie der britische «Economist» schreibt, waren Aktien in den vergangenen 120 Jahren nur ganz selten derart teuer wie heute. Beispielsweise lag das Verhältnis von Aktienkurs zu Gewinn vor dem Börsencrash von 1929 bei 33. In einem kurzen Zwischenhoch im Jahr 2021 waren es 39. Während der Dotcom-Blase wurde der bisherige Rekordwert von 44 erreicht. Aktuell liegt es bei 38.
Die hohe Absturzgefahr in den USA ist auch für die Schweizer Börse eine Bedrohung. Die globale Finanzkrise begann ab 2007 in den USA, erfasste die Schweiz und brachte die Grossbank UBS in Schieflage. Als im Jahr 2000 in den USA die Dotcom-Blase platzte, knallte es auch in der Schweiz und der Swiss Market Index (SMI) stürzte ab.
Vor allem Tech-Firmen litten hierzulande stark, wie Analyst Michael Inauen von der Zürcher Kantonalbank sagt. Einigen stürzte der Aktienkurs ab, andere gingen später in Konkurs und ein ganzes Börsensegment verschwand für immer, der Swiss New Market.
Kriselt die Börse in den USA, dann auch die in der Schweiz – das dürfte auch beim nächsten Crash wieder gelten.
Inauen rechnet damit, dass ein Einbruch der amerikanischen Tech-Aktien höchstwahrscheinlich auch Tech-Aktien in Europa und der Schweiz in Mitleidenschaft zieht. Und zwar mehr oder weniger alle. Es spielt dann keine Rolle, ob ein Unternehmen beispielsweise wichtige Kunden in den USA hat oder nicht. «Die Marktpsychologie drückt die Bewertungen generell nach unten.»
Doch natürlich wird nicht alles gleich ablaufen wie damals. Allein schon deshalb, weil heute einiges anders ist, in der Schweiz wie auch in den USA.
Damals habe es in der Schweiz viele Technologieaktien gegeben, die noch unbekannte Grössen waren, wie Inauen sagt. Sie waren frisch an der Börse, hatten neuartige Geschäftsmodelle und teilweise noch keinen Gewinn erzielt. Inauen sagt: «Wenn Blasen platzen, sind solche Aktien immer anfällig.»
Heute sei dies anders, so Inauen weiter. Die klassischen Schweizer Tech-Aktien hätten meist stabile Geschäftsmodelle, bereits seit Jahren gute Gewinne und einen sehr gut etablierten Stand bei den Investoren. Mit anderen Worten: Die Börse muss nicht beim ersten Knall gleich alles infrage stellen.
Auch in den USA ist manches anders, aber nicht unbedingt besser. Wie Investmentbank Goldman Sachs berechnet hat, hängt sehr viel von sehr wenigen Konzernen ab: vor allem von Meta und Google, Tesla und Apple, Nvidia, Amazon und Microsoft. Ihre Aktien sind sehr teuer gemessen an ihren Gewinnen, etwa anderthalbmal so teuer wie durchschnittlich bei allen anderen Unternehmen. Es ist ein Versprechen auf künftige Gewinne.
Denn von diesen Giganten erhofft sich die Börse besonders grosse Taten. Künstliche Intelligenz (KI) soll gerade ihnen helfen, noch höhere Gewinne zu schreiben. Der Hype um KI ist vor allem ein Hype um diese Giganten – und nirgends ist dieser Hype grösser als um Tesla.
Bei Meta, Google, Apple, Nvidia, Amazon und Microsoft bezahlen Investoren das 35-Fache des Gewinns. Bei Tesla hingegen fordert Musk das 136-Fache. Investoren bezahlen bei Tesla also fast viermal so viel wie bei den restlichen Börsengiganten. Musk hat viel versprochen. Und muss nun viel liefern.
Verliert die Börse irgendwann den Glauben in Musks Versprechen, wird dies auch andere Hoffnungsträger und die gesamte Börse ins Wanken bringen. Es muss nicht wieder wie im Jahr 2000 mit einem Crash enden. Möglich sind auch Jahre der Stagnation – ohne Hype, ohne grosse Versprechen, ohne Börsenrekorde. (aargauerzeitung.ch)