Würde man 100 Personen fragen, was künstliche Intelligenz (KI) ist, würde man vermutlich 110 Antworten erhalten. Informatiker, Mathematiker oder Philosophen würden ganz unterschiedliche Antworten geben. Kein Wunder. Der Begriff ist schwammig und schwierig zu definieren, da es bereits an einer genauen Definition von «Intelligenz» mangelt.
Umgangssprachlich verstehen wir unter KI meist Software, respektive Algorithmen, die etwas (Sinnvolles) tun, ohne dass die Anweisungen dafür fest einprogrammiert werden. Beispielsweise eine selbstlernende Software, die Tumore auf Röntgenbildern erkennt, die Texte in Fremdsprachen übersetzt oder Fahrzeuge autonom steuert.
Genau genommen handelt es sich dabei in der Regel um maschinelles Lernen, einen Teilbereich der künstlichen Intelligenz, bei dem Algorithmen anhand von Trainingsdaten lernen, Muster zu erkennen.
Von einer universellen künstlichen Intelligenz, die quasi alles kann, sind wir weit entfernt. Doch spezifische KI-Anwendungen, respektive maschinelles Lernen, stecken längst in unzähligen digitalen Alltagsprodukten: Beispielsweise in der Google-Suche, in Sprachassistenten (Alexa, Siri) oder automatisierten Empfehlungen von Musik (Spotify) und Serien (Netflix).
Solche hochspezialisierten KI-Anwendungen, die jeweils für spezifische Probleme trainiert wurden, haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt und sie krempeln unsere Gesellschaft gehörig um. Die folgenden Beispiele sollen dies verdeutlichen.
Ist die Rede von KI, machen oft fragwürdige Anwendungen für das Militär (autonome Kriegsdrohnen), die Polizei (Algorithmen sagen Verbrechen vorher) oder Tech-Konzerne (Facebooks Gesichtserkennung) Schlagzeilen. Ein Grossteil der KI-Forschung dreht sich aber darum, Menschenleben länger, leichter und gesünder zu machen. KI hilft etwa Krankheiten effizienter zu diagnostizieren, Medikamente schneller zu entwickeln, Behandlungen zu personalisieren oder Gene zu editieren.
KI wird in absehbarer Zeit keine Ärzte ersetzen, aber für medizinische Anwendungen trainierte KI-Modelle unterstützen Ärztinnen und Ärzte beispielsweise beim Krebs-Screening. Algorithmen finden Brustkrebs-Knötchen im schwarz-weissen Ultraschall zuverlässiger als menschliche Augen. Sieben der zehn grössten Kantons- und Unispitäler setzen daher schon heute standardmässig KI ein.
Die KI lernt selbstständig und wird mit jedem analysierten Patienten besser. Die Gefahr dabei: Im Fall einer unerkannten Fehldiagnose lernt die Software falsche Informationen. Auf eine Fehldiagnose würden weitere folgen. Der Einsatz solcher lernfähiger KI in der Medizin wird deshalb in der Schweiz noch nicht bewilligt. Stattdessen werden bislang starre, vorab trainierte KI-Produkte eingesetzt, die zwar nicht klüger, aber auch nicht dümmer werden.
Auch dank der jüngsten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz war es möglich, in Rekordzeit gleich mehrere Impfstoffe mit bisher für nicht möglich gehaltener Wirksamkeit gegen das Coronavirus zu entwickeln. Mithilfe eines KI-Modells von DeepMind – seit 2014 im Besitz von Google – gelang es, die Form von Proteinen mit grosser Genauigkeit vorherzusagen. Dies ist zentral, um Viren rasch zu untersuchen und wirksame Impfstoffe zu entwickeln.
KI unterstützt Wissenschaftler, Behörden, aber auch die Wirtschaft dabei, Klimaschäden einzudämmen, indem sie etwa hilft CO₂-Emissionen zu verringern.
Ein paar konkrete Beispiele:
Ganz allgemein kann KI die Klima- und Umweltpolitik unterstützen, indem sie mit immer genaueren Modellen bessere Prognosen und sinnvollere Klimaschutz-Massnahmen ermöglicht. KI soll zudem helfen, die Ressourcen der Erde effizienter einzusetzen. Das könnte uns helfen unseren Lebensstandard zu halten, ohne den Planeten zu zerstören.
Umgekehrt besteht die Gefahr, dass etwa Ölfirmen KI nutzen, um effizienter Ressourcen zu fördern. Kommt hinzu: KI-Anwendungen selbst sind aktuell noch sehr energiehungrig. Es gibt daher auch kritische Stimmen, die den Nutzen von KI für die Umwelt und den Klimaschutz relativieren.
Moderne Autos sind mit diversen Fahrassistenzsystemen ausgestattet, die das Fahren sicherer, komfortabler und umweltschonender machen. Der Computer hält die Spur, leitet Notbremsungen ein und überwacht mit Kameras und Sensoren jene Bereiche, die der Fahrer nicht wahrnehmen kann – abgesehen davon wird die KI auch nicht müde.
Hierzu nutzen die Fahrassistenten unter anderem Bild- und Objekterkennung, sprich trainierte KI-Modelle, um die Umgebung zu erkennen und beispielsweise zwischen Autos, Fussgängern und anderen Objekten zu unterscheiden.
Selbstlernende Fahrassistenzsysteme und dereinst autonom fahrende Autos dürften die Anzahl der Verkehrsopfer drastisch reduzieren. KI-gesteuerte Autos reduzierten zudem den Treibstoff-, respektive Energieverbrauch, da sie vorausschauender und regelmässiger als Menschen fahren.
Dass KI eine praktische Hilfe im Alltag ist, beweist seit 2017 der verblüffend gute Online-Übersetzungsdienst Deepl.com aus Deutschland. Frühere Online-Übersetzer produzierten kaum mehr als ein Kauderwelsch. Heute arbeiten Online-Übersetzer mit neuronalen Netzen, das heisst, die richtige Formulierung wird errechnet.
Auch DeepL nutzt hierfür ein trainiertes KI-Modell. Das Problem: Die KI kann zwar inzwischen sehr gut berechnen, wie der zu übersetzende Satz korrekt heissen muss, sie hat aber kein richtiges Sprachverstehen. Sie versteht den Kontext also nicht über den Satz hinaus.
Trotzdem gilt: Sprachbarrieren werden derzeit mit selbstlernenden, immer besseren Übersetzungsalgorithmen mit unglaublicher Geschwindigkeit eingerissen. Zu sehen ist dies auch in den sozialen Medien, wenn Posts in einer Fremdsprache automatisiert in der eigenen Sprache angezeigt werden.
Auf YouTube generiert Googles Spracherkennungs-KI seit einiger Zeit automatisiert Untertitel, bei Bedarf inklusive Übersetzung. Künftig werden wir solche Live-Untertitel immer häufiger auch andernorts sehen – für Gehörlose ein Segen, auch wenn die in Echtzeit erzeugten Untertitel derzeit oft noch nicht zufriedenstellend ausfallen.
Zwischen Kreditkartenanbietern und Online-Kriminellen herrscht seit Jahren ein Wettrüsten. Künstliche Intelligenz hilft neue Betrugstrends frühzeitig zu erkennen.
Die Algorithmen suchen etwa nach Auffälligkeiten, die Menschen normalerweise nicht machen, etwa mehrere Male hintereinander an Tankstellen zu bezahlen. Hierzu wird die KI mit den gelösten Betrugsfällen des Kreditkartenanbieters gefüttert. So soll sie Betrugsmuster aufdecken, betrügerische Transaktionen mit grösserer Wahrscheinlichkeit erkennen und irrtümliche Kartensperrungen minimieren.
Den Menschen ersetzen kann die KI bis auf Weiteres indes nicht. Wird ein Kunde Opfer eines Betrugs, möchten die meisten mit einem Mitarbeiter aus Fleisch und Blut sprechen – und nicht mit einem Chat-Roboter.
Moderne Smartphones lernen im Alltag hinzu. Die KI lernt beispielsweise, welche Apps wann häufig genutzt werden oder in welchen Situationen welche Display-Helligkeit ideal ist. Basierend auf dem Nutzungsverhalten werden im Hintergrund vom User nicht verwendete Apps geschlossen und der Prozessor sowie die Display-Helligkeit reguliert.
Die KI versucht also das Nutzungsverhalten des Users vorherzusagen, was schlussendlich den Akku schont.
Eine gut trainierte KI erkennt das Motiv, das wir fotografieren möchten, und wählt wie von Zauberhand die richtige Kamera-Einstellung. Oft unterstützt uns die KI aber auch, ohne dass wir es merken. Wenn das Smartphone das verwackelte Ferienvideo in ein ruhiges, fast perfektes Filmchen umwandelt, geschieht dies dank KI. Und wenn das Smartphone ein viel zu dunkles Foto automatisch aufhellt und gleich noch Farben und Kontrast optimiert, werkelt ebenfalls die KI.
KI unterstützt IT-Security-Teams bei der Erkennung von Cyberattacken sowie Phishing- und Malware-Wellen. Bei E-Mail-Anbietern beispielsweise kommen auf Spam und Phishing trainierte KI-Modelle zum Einsatz.
Der Haken daran: Die Kriminellen kehren den Spiess um und nutzen ebenfalls KI, um ihre Angriffe besser zu verschleiern und zu professionalisieren. Sie können mit KI beispielsweise viel schneller immer neue und glaubwürdigere Phishing-E-Mails erzeugen, auf die mehr Opfer hereinfallen.
KI kann somit im Kampf gegen Spam, Phishing oder Malware genutzt, aber auch für genau solche Angriffe missbraucht werden.
Auf KI basierende Bilderkennungsmethoden können Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems (Exoplaneten) aufspüren, die mit herkömmlichen Ansätzen unsichtbar bleiben.
Indem der KI-Algorithmus mit unzähligen Fotos gefüttert wird, lernt er für jedes Pixel eines Sternbildes zu erkennen, welches Objekt es darstellt – also beispielsweise eine Verfinsterung durch einen Planeten. Mit dieser Methode wurden etwa die beiden Exoplaneten Kepler-1705b und Kepler-1705c entdeckt.
Auf KI beruhende Bilderkennungsmethoden können somit mannigfach genutzt werden: Von der Gesichtserkennung im Handy über die Verkehrserkennung für Fahrassistenzsysteme im Auto bis zum Aufspüren von Exoplaneten. Die KI braucht aber aktuell noch, anders als ein Mensch, extrem viele Trainingsbilder, um beispielsweise eine Katze von einem Hund unterscheiden zu können.
Künstliche Intelligenz kann unser Leben erleichtern, verschönern und gleichzeitig erschweren oder zum Albtraum machen: KI kann schon heute ein klassisches Streichquartett oder eine selbsterfundene Jazzmelodie komponieren. Ein KI-Modell wird dafür mit Informationen über Noten, Rhythmus und Klangfarben gefüttert. Die KI erkennt Muster und beginnt selbständig neue Werke zu schaffen.
KI kann aber auch in der Kriegsführung, für den Aufbau omnipräsenter Überwachung oder die Unterdrückung von Minderheiten genutzt werden. In China etwa wird die muslimische Minderheit der Uiguren mithilfe einer intelligenten Software überwacht, die Gesichter und Gangart erkennen kann.
Chinas aktueller Fünfjahresplan stellt denn auch KI in den Mittelpunkt von Forschung und Entwicklung. Und Russlands Präsident Wladimir Putin sagte bereits 2017: «Wer immer in diesem Bereich die Oberhand hat, wird zum Herrscher der Welt werden.»
Bei KI geht es eben auch um Kontrolle, Effizienz und Profite. Dies zeigt:
KI ist per se weder gut noch böse, vorderhand ist sie, was wir daraus machen. Rein technisch betrachtet geht es bei KI um die Simulation intelligenten Verhaltens mit Mitteln der Mathematik und der Informatik. Man spricht deshalb auch von «schwacher» künstlicher Intelligenz, da sie nur eine sehr spezifische Aufgabe beherrscht:
Beispielsweise fährt Teslas KI auf Autobahnen statistisch gesehen sicherer als Menschen, aber der Autopilot kann keine Musik komponieren. Umgekehrt kann das auf Musik trainierte KI-Modell kein Auto steuern. Bisherige KI-Modelle können also immer nur eine sehr spezifische Sache, während Menschen unzählige Dinge beherrschen.
Eine umfassende oder «starke» KI, die wie Menschen eine flexible Intelligenz für ganz unterschiedliche Probleme an den Tag legt, dürfte hingegen noch für Jahrzehnte Zukunftsmusik bleiben. Und vielleicht ist das auch besser so: Eine KI, die Menschen nicht nur spezifisch, sondern allgemein überlegen ist, könnte uns dereinst zum Verhängnis werden.
Auflösung zum Hautflecken-Bild: Links das maligne Melanom (schwarzer Hautkrebs), rechts ein harmloses Muttermal.