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Darum geht Elon Musk gegen Forscher vor, die Hassrede auf X aufdecken

Imran Ahmed, CEO Center for Countering Digital Hate: «Elon Musks Vorgehen ist ein dreister Versuch, ehrliche Kritik und unabhängige Forschung zum Schweigen zu bringen.»
Imran Ahmed, CEO Center for Countering Digital Hate: «Elon Musks Vorgehen ist ein dreister Versuch, ehrliche Kritik und unabhängige Forschung zum Schweigen zu bringen.»bild: @Imi_Ahmed

«Er hat den offenen Krieg erklärt» – Forscher wehren sich gegen Elon Musks Drohung

Elon Musk klagt gegen eine Organisation, die Hassrede in sozialen Netzwerken aufspürt. Das ist «ein dreister Versuch, unabhängige Forschung zum Schweigen zu bringen», wehren sich die Betroffenen. Wie so oft geht es um viel Geld.
02.08.2023, 15:3302.08.2023, 18:06
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Elon Musk zündet die nächste Eskalationsstufe: Das von ihm in Eigenregie in X umbenannte Twitter zieht vor Gericht gegen kritische Online-Forscher, die Hassrede und Falschinformationen im Netz aufdecken und Twitters mangelhafte Inhalte-Moderation anprangern.

Die Forscher warnen:

«Dies ist eine noch nie dagewesene Eskalation eines Social-Media-Unternehmens gegen unabhängige Forscher. Musk hat gerade den offenen Krieg erklärt … Wenn es Musk gelingt, uns zum Schweigen zu bringen, sind andere Forscher als Nächstes dran.»
Imran Ahmed, Geschäftsführer des Center for Countering Digital Hateapnews

Was wirft Musk den Forschern vor?

Die X Corp. wirft dem britischen Zentrum zur Bekämpfung von digitalem Hass (CCDH) in der Klage vor, es habe widerrechtlich auf Tweets zugegriffen. Für X sei durch die Berichte der Forscher Schaden in der Höhe von «zig Millionen US-Dollar» entstanden, weil Werbekunden abgesprungen seien.

Für die eingereichte Klage suchte sich die X Corp. frühere Berichte des CCDH (Center for Countering Digital Hate) heraus, in denen es unter anderem um Falschinformationen zum Coronavirus und Klimawandel ging. Dem CCDH wird zum einen vorgeworfen, die gemeinnützige Organisation habe dafür unter Verletzung der Nutzungsregeln grössere Mengen von Tweets – die bekanntlich öffentlich sind – abgerufen. Zum anderen habe sie unrechtmässig auf Daten zugegriffen, die der Analysefirma Brandwatch zur Verfügung gestellt worden seien.

Mit Hilfe von Brandwatch können Unternehmen Online-Beiträge rund um ihre Marken nachverfolgen. X behauptet, das CCDH habe einen Kunden von Brandwatch dazu verleitet, der Organisation Zugangsdaten zu geben. Die Forscher hätten diese dann zur Recherche für ihre Berichte verwendet. Wer dieser Kunde gewesen sein soll, wisse X noch nicht.

X schreibt, das CCDH wolle dem Unternehmen «mit einer Angstkampagne» absichtlich schaden und werde von Konkurrenten oder ausländischen Regierungen finanziert, «um eine hintergründige Agenda zu unterstützen». Belege dafür legte X nicht vor. In einem Tweet nannte Musk den Leiter des CCDH eine «Ratte».

Das Zentrum zur Bekämpfung von digitalem Hass erklärte umgehend, dass es «keine Finanzierung von Technologieunternehmen, Regierungen oder deren Tochtergesellschaften» akzeptiere. Die Organisation berichtete in der Vergangenheit auch kritisch über Twitter-Rivale TikTok oder Google.

Die in der Nacht zum Dienstag eingereichte Klageschrift hat einen anderen Fokus als eine vorherige Klagedrohung von Musks Anwalt Alex Spiro an CCDH. In dem am Montag bekannt gewordenen Schreiben ging es um einen Bericht der Forscher von Juni. Die Studie kam zum Schluss, dass Twitter bei 99 Prozent der zahlenden Twitter-Blue-Konten (Abo-Kunden), welche die Forscher wegen Hass-Tweets gemeldet hatten, keine Massnahmen ergriffen habe. Musks Anwalt kritisierte die Untersuchung als unseriös.

Im Juli zeigten auch Recherchen der BBC, dass bezahlte Twitter-Blue-Konten zur Verbreitung von Falschinformationen zum Ukraine-Krieg genutzt werden.

So reagieren die Hassrede-Forscher

«Elon Musks Vorgehen ist ein dreister Versuch, ehrliche Kritik und unabhängige Forschung zum Schweigen zu bringen», trat Imran Ahmed, der Geschäftsführer des Center for Countering Digital Hate, in der «New York Times» (Paywall) den Vorwürfen entgegen. Hass und Desinformation verbreite sich auf der Plattform wie ein Lauffeuer, seit Musk die Kontrolle übernommen habe.

«Musk versucht den Boten zu erschiessen, der auf die toxischen Inhalte auf seiner Plattform hinweist, anstatt sich mit dem toxischen Umfeld zu befassen, das er geschaffen hat.»
Imran Ahmed, CEO Center for Countering Digital HateCCDH

Die Anwältin des Zentrums nannte den Brief «lächerlich» und warf X Corp. vor, Kritiker einschüchtern zu wollen. Sie verwies darauf, dass einige der angeprangerten Tweets eindeutig rassistisch, antisemitisch und homophob gewesen seien und damit gegen die Regeln von Twitter verstiessen. In den gemeldeten Posts hiess es unter anderem, die «schwarze Kultur» habe mehr Schaden als der rassistische Geheimbund Ku-Klux-Klan angerichtet, oder dass «die jüdische Mafia» alle ersetzen wolle. Vier Tage später seien die Tweets weiterhin verfügbar gewesen, betonte das CCDH.

CCDH-Anwältin Roberta Kaplan liess durchblicken, dass eine Klage für X auch nach hinten losgehen könne: So werde ihre Organisation dann sofort ausführliche Informationen zum Umgang mit Hassrede sowie zum Umsatz einfordern. Allerdings beziehen sich die juristischen Vorwürfe von X in der Klage nicht auf den Inhalt der CCDH-Berichte, sondern auf die Methoden, mit denen die Daten dafür gesammelt wurden. X fordert unter Verweis auf Einbussen bei den Anzeigenerlösen auch Schadenersatz.

Musk versuche mit der Klage «die Flut negativer Artikel einzudämmen und seine Beziehung zu den Werbekunden wiederherzustellen», erwiderte das CCDH.

Die für X wenig rühmlichen Ergebnisse der Forscher aus England und den USA werden unter anderem durch eine andere Analyse in Deutschland gestützt. Systematische Untersuchungen hätten gezeigt, dass «selbst bei offenkundigen Straftaten Löschungen die absolute Ausnahme» seien, kritisierte im Februar der deutsche IT-Rechtler Chan-jo Jun. Sogar Abbildungen von Kindesmissbrauch blieben teils stehen.

Apple macht Ausnahme für X

Unter Musk wurden Kontrollinstanzen gegen Hassrede bei X weitgehend aufgelöst und die Regeln zur Eindämmung von Fake News gelockert. Dies sowie die Zunahme von Werbung für Online-Glücksspiele dürfte viele seriöse Werbekunden vertrieben haben, spekuliert die NYT.

Einer der verbliebenen grossen Werbekunden ist Apple, das weiterhin intensiv auf X Anzeigen schaltet und sich auch sonst Musk-freundlich gibt.

Eigentlich werden App-Namen im App Store aus nur einem Zeichen nicht gestattet, für Elon Musk machte Apple eine Ausnahme.
Eigentlich werden App-Namen im App Store aus nur einem Zeichen nicht gestattet, für Elon Musk machte Apple eine Ausnahme.

Musk erhielt von Apple für die X-App eine Sondergenehmigung im App Store. Bislang erlaubte Apple App-Namen mit nur einem Zeichen nicht. «Dabei geht es um den sogenannten Marketing-Namen, der im App Store auftaucht – nicht die Bezeichnung auf dem Homescreen, die bereits ein Zeichen haben durfte», erläutert das deutsche Tech-Portal Heise.

Ein Grund für die Sonderbehandlung dürfte sein, dass Apple finanziell von der X-App profitiert, da 30 Prozent der Abo-Einnahmen an Apple fliessen. Künftig will Musk X in eine «App für alles» verwandeln, was potenziell neue Abonnenten, mehr Einnahmen und für Apple mehr App-Store-Abgaben verspricht.

Musk: Hassrede stark gesunken

Musk und die von ihm berufene Twitter-Chefin Linda Yaccarino behaupten, die Verbreitung von Hassrede sei stark gesunken. Sie verweisen ohne Beweise darauf, dass «99,99 Prozent» der angezeigten Beiträge «gesund» seien.

Musk erklärte diesen Traumwert so: Alles, was legal ist, darf behauptet werden – gleichzeitig könne die Verbreitung einiger Aussagen eingeschränkt werden.

In der Klage behauptete X nun, das CCDH wolle nicht Hassrede bekämpfen, sondern aus Online-Medien Ansichten verbannen, mit denen es nicht einverstanden sei. Dabei gehe es um Themen wie Klimawandel und Corona-Impfstoffe.

Musk selbst hatte Corona-Risiken heruntergespielt und Impfskeptikern eine Plattform gegeben. Er stellte in den vergangenen Monaten auch wiederholt rechtslibertäre politische Ansichten zur Schau und warf etwa US-Medien vor, «rassistisch» gegenüber Weissen zu sein. Am Wochenende durfte der Rapper Kanye West auf die Plattform zurückkehren, der wegen antisemitischer Äusserungen verbannt worden war. Und vergangene Woche wurde das Profil eines rechten Verschwörungserzählers wiederhergestellt, der zuvor zwei Bilder eines sexuell misshandelten Kleinkindes getwittert hatte.

Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA

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126 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aussie
02.08.2023 15:52registriert Mai 2014
Business vor Wahrheit? Ach, jetzt bin ich aber überrascht, nicht. Musk macht sich einfach noch unausstehlicher, als er es schon ist.
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mein Senf dazu
02.08.2023 16:05registriert März 2021
Jede halbwegs seriöse Unternehmung wird sich in Zukunft zweimal überlegen, mit dieser Plattform in Verbindung gebracht zu werden. Da würde ich mein Werbebudget wohl doch lieber anderweitig platzieren.
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Der Micha
02.08.2023 15:42registriert Februar 2021
Wenn es wirklich um die Aufdeckung von Hassreden und Falschinformationen geht, die mit Belegen untermauert werden können, müsste sich Musk mit diese Aktion ins eigene Knie schießen.

Wie so oft, wenn er was durchziehen möchte.
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