Kairo platzt aus allen Nähten.
Die Megastadt am Nil zählt mit einer Bevölkerungsdichte von 15'000 Menschen pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Städten der Welt.
Alleine im Stadtzentrum wohnen mehr Menschen als in der Schweiz – 9,5 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 606 Quadratkilometern.
Im gesamten Ballungsgebiet sind rund ein Fünftel der ägyptischen Bevölkerung untergebracht – insgesamt rund 19,3 Millionen Menschen.
Das Leben in Kairo bringt die Menschen an die Grenzen der nervlichen Belastung. Autos und Menschen drängen sich täglich durch die Strassen, die am Verkehr erstickt. Lärm dröhnt bis in die verwinkelten Gassen, in denen sich Abfall und Müll zu Pyramiden stapeln. Es mangelt an einem effizienten Müllsammelsystem und die Feinstaubbelastung überschreitet jährlich den kritischen Schwellenwert. Die Liste an Problemen reicht bis zu Nut – der ägyptischen Göttin des Himmels.
Seit den 60er Jahren ist die Bevölkerung in Kairo überproportional gewachsen. Damals waren es noch 3,5 Millionen Menschen, bis 2050 sollen es 24 Millionen sein.
Und trotz dieser Kalamität breitet sich die Krake von Stadt immer weiter aus.
Zahlreiche Stadtgebiete wachsen schon jetzt täglich weiter, aber nicht nur in die Breite, sondern auch in die Höhe. In den Armenvierteln richten sich Familien ihr Zuhause auf den Dächern ein, da es an bezahlbaren Wohnungen fehlt. Oder weil die zahlreichen verwahrlosten Siedlungen der Stadt, die unweit des Nils im sumpfigen Uferland liegen, in sich zusammensacken.
Es entsteht eine Art Stadt über der Stadt.
Zu viele Menschen, zu wenig Platz – Kairo hat als Hauptstadt ausgedient.
Dies muss sich wohl Präsident Abdel Fattah al-Sisi gedacht haben, als er 2015 verkündete, dass er eine neue Verwaltungsstadt aus dem Boden stampfen wolle. Eine Stadt der Superlative sollte es werden – mit den höchsten Wolkenkratzern des Landes und einer der grössten Moscheen der Welt. Ganz nach den Vorbildern am persischen Golf.
Al-Sisi begründete sein Vorhaben im Staatsfernsehen:
Seit der Ankündigung befindet sich inmitten der Wüste, 35 Kilometer östlich von Kairo, eine gigantische Baustelle.
In Kairos künftiger Hauptstadt sollen einmal 6,5 Millionen Menschen leben, sie soll flächenmässig etwa so gross werden wie Singapur. 50'000 neue Arbeitsplätze sollen dort geschaffen werden.
Geplant sind 1,1 Millionen (Luxus-)Wohnungen, 2000 Schulen, 600 Spitäler, 1200 Moscheen, sechs Universitäten, ein künstlich angelegter Fluss sowie ein internationaler Flughafen. Dazu ein Freizeitpark, der viermal so gross werden soll wie das Disneyland, eine Parkanlage, die doppelt so gross werden soll wie der Central Park in New York und ein Turm (Iconic Tower), der Dubais Wolkenkratzer Burj Khalifa um mehr als 120 Meter übertreffen und zum höchsten Gebäude der Welt aufsteigen soll.
Damit nicht genug.
Weiter aus dem Boden gestampft wird eine Kristallpyramide (Diamond Tower), die nicht ganz so hoch werden soll wie der Iconic Tower, aber immerhin das höchste Gebäude Afrikas. Auch al-Sisi höchstpersönlich wird einst in die Hauptstadt ziehen, für ihn wird ein Palast errichtet.
Soweit der Plan. Fertig gebaut sind bislang einige Wohnhäuser – so auch das Regierungsgebäude. 500 Regierungsmitarbeitende werden ab Januar in den Hochhauskomplex einziehen, der mit seiner Grösse mit keinem anderen Regierungsgebäude in der Region verglichen werden kann.
Auch eine der weltweit grössten Moscheen, die Al-Fattah Al-Aleem Moschee, ist nicht bloss eine Fata Morgana geblieben. 2019 hat der Präsident die grösste Moschee des Landes mit einer Fläche von 450'000 Quadratmeter eingeweiht.
Für alle anderen werden die Tore vor den Toren Kairos ab 2023 schrittweise geöffnet.
Was der Stadt bislang noch fehlt: ein Name.
2019 konnte die Bevölkerung Vorschläge einreichen. Unter drei Bedienungen: Der Name muss die ägyptische Identität ausdrücken, aus nur zwei Wörtern bestehen und darf sich nicht auf Politik oder Religion beziehen. Bislang hat die Regierung noch keinen Namen bekannt gegeben.
Auf der Agenda des Bauprojekts steht auch das Thema Nachhaltigkeit und Sicherheit. Die Gebäude sollen künftig nur die Energie verbrauchen, welche sie selbst durch Photovoltaik und Windräder produziert. Zudem soll die Stadt frei von Kriminalität sein – dafür soll ein stadtweites Überwachungssystem sorgen.
Doch die Realität sieht bezüglich Nachhaltigkeit etwas anders aus.
Ägypten leidet bereits jetzt unter Wasserarmut. Das Land ist komplett vom Wasser des Nils abhängig. Das Gewässer deckt 97 Prozent des ägyptischen Wasserverbrauches. Durch den steigenden Bedarf der stark wachsenden Bevölkerung, den Klimawandel und die Inbetriebnahme des äthiopischen GERD Staudammes verschärft sich die Situation weiter. Auch für das Mega-Projekt wird Wasser aus dem bereits erschöpften Nil gepumpt. Durch einen neu errichteten Fluss soll das Wasser in die Stadt gelangen.
Genauso wie andere Megastädte, die aus dem Nichts entstanden sind, will Ägyptens Regierung ... Überraschung ... unter anderem einen grossen Sportevent ins Land – respektive in die neue Hauptstadt – holen. Als erstes afrikanisches Land möchte das Land der Pharaonen die Olympischen Spiele 2036 ausrichten.
Geplant sind entsprechende Stadien, olympische Schwimmhallen, Tennisplätze und weitere Sportstätten.
Doch mit der neuen Stadt will sich Ägypten nicht nur den Sportevent sichern. Die künftige Hauptstadt ist Teil des Projekts «Egypt Vision 2030», das die wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens vorantreiben soll. Geschätzt werden die Kosten der neuen Hauptstadt auf 59 Milliarden US-Dollar. Finanziert wird das Projekt hauptsächlich aus Krediten, die Kritiker für eher undurchsichtig halten.
Eine der grössten Sponsoren ist China. Denn: Die geografische Lage der Hauptstadt ist für China nicht unbedeutend. Die Hauptstadt liegt unweit des Suezkanals, einer der wichtigsten Wasserstrassen der Welt, welche das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet und den Schiffen zwischen Nordatlantik und Indischem Ozean den Weg um Afrika erspart.
Das Reich der Mitte stellte dem Land einen Kredit in der Höhe von drei Milliarden US-Dollar bereit. Das grösste chinesische Bauunternehmen, China State Construction Engineering, übernahm die Bauarbeiten. Für weitere 1,2 Milliarden US-Dollar finanzierte China die Einschienenbahn, welche Kairo mit der neuen Verwaltungsstadt verbindet.
Die Zusammenarbeit fand im Rahmen der «Belt and Road» (Neue Seidenstrasse) Initiative statt, eine von China initiierte Strategie, die darauf abzielt, Asien mit Afrika und Europa über Land- und Seenetze zu verbinden. Auch der Suezkanal ist Teil der Seidenstrasse.
Und wer soll da bald wohnen? Das ist noch nicht kommuniziert worden. Fest steht: Die Wohnungen werden zu sehr hohen Preisen angeboten. Eine Zweizimmerwohnung kostet im Durchschnitt um die 50'000 Dollar – und dies in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt.
Gegenüber der «New York Times» sagte der ägyptische Politologe Maged Mandour, welcher über Angelegenheiten der arabischen Welt, mit besonderem Schwerpunkt auf dem sozialen Wandel im Nahen Osten, schreibt:
Die neue Stadt soll dereinst ein Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs sein. Eine Stadt der Superlative. Gut möglich, dass sie auch zu einem weiteren Symbol für die Kluft zwischen Arm und Reich in Ägypten werden wird.
honesty_is_the_key
Antinatalist
dmark
Desweiteren werden sich um diese Stadt auch wieder Siedlungen bilden und in nochmals 10 Jahren sieht diese Stadt genauso aus, wie heute Kairo... Wetten?