Bei den ersten Kommunalwahlen in Tunesien nach der Revolution 2011 sind Hoffnungen auf eine rege Beteiligung enttäuscht worden. Unabhängige Beobachter und Parteien berichteten zudem von Zwischenfällen und stellten gar die Legitimität der Wahlen in Frage.
Tunesien gilt als Ursprungsland des sogenannten Arabischen Frühlings. Die Kommunalwahlen sind Teil der Dezentralisierung und der politischen Reform des Landes. Die Kommunen sollen dadurch mehr Macht von der Hauptstadt Tunis bekommen. Die Wahlen gelten somit als wichtiger Schritt der Demokratisierung. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind 2019 geplant.
In vielen Gemeinden waren unabhängige Listen gegen die etablierten Parteien angetreten. Erste Umfragen sehen die islamisch-konservative Ennahda vorn. Die Partei von Rached Ghannouchi habe laut Umfragen landesweit etwa 27,5 Prozent der Stimmen bekommen.
Nidaa Tounes, die Partei von Staatspräsident Beji Caid Essebsi und Regierungschef Youssef Chahed, folge demnach mit 22,5 Prozent dahinter. Das staatliche tunesische Fernsehen veröffentlichte am Sonntagabend die Umfragen des Meinungsforschungsbüros Sigma Conseil. Auf Landesebene sind beide Parteien an der Regierung beteiligt.
Die Unzufriedenheit mit der Politik ist gross. Dies zeigte sich auch in der Wahlbeteiligung: Diese lag der Wahlbehörde zufolge mit 33,7 Prozent sehr niedrig. Ministerpräsident Youssef Chahed wertete die niedrige Wahlbeteiligung am Sonntag als «negatives Zeichen» und eine «deutliche Botschaft an die politisch Verantwortlichen».
Trotz demokratischer Reformen kämpft das nordafrikanische Land mit wirtschaftlichen Problemen. Anfang des Jahres kam es zu landesweiten Protesten und Ausschreitungen. Seit einer Serie islamistischer Anschläge 2015, die dem Tourismus schwer geschadet haben, gilt in Tunesien der Ausnahmezustand.
Die Regierungspartei Nidaa Tounes veröffentlichte auf ihrer Facebookseite noch vor Schliessung der Wahllokale eine Stellungnahme, wonach Beobachter der Partei gravierende Unregelmässigkeiten in mehreren Wahlbüros festgestellt hätten.
Die Glaubwürdigkeit und Legitimität des Wahlprozesses sei dadurch direkt negativ beeinflusst. Auch die Partei Machroua Tounes kritisierte «fundamentale Verletzungen» bei der Wahl.
Die zivilgesellschaftliche Organisation Mourakiboun (Beobachter) sprach von Einzelfällen. Sie war in zahlreichen Wahllokalen mit eigenen Beobachtern präsent.
Sie berichtete am Sonntag von zwei Vorfällen in der Region Gafsa, bei denen Wahlbüros gestürmt und die Wahlurnen zerbrochen worden seien. Sie veröffentlichte auf ihrer Facebookseite ein Foto einer auf den Boden geworfenen Wahlurne mit aufgerissener Seite und auf dem Boden verteilten Wahlzetteln.
Aus Kreisen der EU-Beobachtermission, die mit 124 Beobachtern in Tunesien unterwegs war, hiess es, dass keine grösseren Unregelmässigkeiten festgestellt werden konnten.
Rund 5,4 Millionen der etwa 11,4 Millionen Tunesier waren für die Wahlen registriert. Offizielle Ergebnisse werden erst in den kommenden Tagen erwartet. Mehr als 53'000 Kandidaten hatten sich für die Gemeindesitze in den 350 tunesischen Kommunen aufstellen lassen. Etwa 60'000 Polizisten und Soldaten sicherten den Urnengang in dem nordafrikanischen Land ab.
Viele Gemeinden und Orte abseits der Küstengebiete und Wirtschaftszentren fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. In einem Wahllokal in der südlichen Sahara-Stadt Borj el-Khadra war nach Angaben der Wahlkommission kein einziger Wähler erschienen. (sar/sda/dpa/afp)