Fast eine Woche nach dem Militärputsch in Niger kehrt in dem zentralafrikanischen Staat keine Ruhe ein: Während erste europäische Länder mit dem Ausfliegen ihrer Staatsbürger beginnen wollen, setzen die afrikanischen Nachbarstaaten der neuen Militärjunta ein Ultimatum.
Wie geht es nun weiter, was bedeutet die Krise für Europa und Deutschland und welche Rolle spielt Russland? Wir beantwortet die wichtigsten Fragen:
Am Mittwoch in der vergangenen Woche hatte die Präsidentengarde das demokratisch gewählte Staatsoberhaupt Mohamed Bazoum festgesetzt und für entmachtet erklärt. Später schloss sich das gesamte Militär den Gardisten an. In einer Fernsehansprache kritisierten die Putschisten, dass sich unter der Herrschaft des Präsidenten die Sicherheitslage in dem Land verschlechtert habe.
Der Chef der Garde, General Omar Tchiani, ernannte sich am Freitag selbst zum neuen Machthaber. Es war der fünfte Militärputsch in Niger, seitdem das Land 1960 seine Unabhängigkeit erlangte.
Kurz nach seiner Machtübernahme als De-facto-Präsident setzten die Putschisten die Verfassung des westafrikanischen Landes ausser Kraft und lösten alle verfassungsmässigen Institutionen auf. Am Montag teilte die Partei von Bazoum mit, dass weitere Minister und hochrangige Politiker festgenommen wurden.
Kurzfristig sind die ersten Länder damit beschäftigt, ihre Staatsangehörigen aus dem Land zu holen. Entsprechende Evakuierungen sollen laut französischem Aussenministerium schon an diesem Dienstag beginnen. Auch andere Europäer dürfen an der französischen Rettungsmission teilnehmen. Italien hat ebenfalls eine Evakuierung angekündigt. Aus Deutschland ist bisher keine vergleichbare Aktion geplant. Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) empfahl deutschen Staatsbürgern, das Angebot aus Frankreich anzunehmen.
Mittelfristig wird befürchtet, dass der Putsch dazu führt, dass mehr irreguläre Migranten nach Europa gelangen. Denn Niger gilt als eines der Haupttransitländer für Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa wollen. Das Land grenzt im Norden an Libyen, von wo aus viele Migranten die riskante Überfahrt über das Mittelmeer starten. Die prowestliche Regierung von Bazoum hatte seit Jahren mit der EU kooperiert, wodurch die Flüchtlingszahlen reduziert wurden.
«Ohne Niger wird die Strategie zusammenbrechen», sagt Ulf Laessing, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali. Die EU hatte infolge des Putsches alle finanziellen Hilfen und Kooperationen mit Niger auf Eis gelegt. Laessing glaubt allerdings nicht, dass das die Militärjunta unter Druck setzen wird: «In Wahrheit sind die Europäer in einer eher schwachen Position.» Sollten die Putschisten die Flüchtlingsroute wieder öffnen, müsse die EU mit ihnen verhandeln.
Die Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hatten nach einem Treffen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja den Putsch verurteilt. Die Staatengemeinschaft, zu der auch Niger gehört, forderte nicht nur die umgehende Freilassung von Präsident Bazoum. Er müsse auch wieder als Präsident eingesetzt werden. Gleichzeitig wurden verschiedene Sanktionen verhängt: Dazu gehören etwa das Einfrieren von Vermögen von Putschisten, die Aussetzung von Handels- und Finanztransaktionen mit der Ecowas und die Sperrung von Land- und Luftverbindungen nach Niger.
Zudem setzte die Gemeinschaft ein Ultimatum: Sollte Niger nicht bis kommenden Sonntag seine vorherige staatliche Ordnung wiederherstellen, sei von der Ecowas auch die «Anwendung von Gewalt» möglich.
Aus den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso, in denen ebenfalls das Militär regiert, gab es dagegen Solidaritätsbekundungen. In einer gemeinsamen Erklärung warnten die beiden Übergangsregierungen davor, dass «jede militärische Intervention gegen Niger einer Kriegserklärung an Burkina Faso und Mali gleichkäme.» Gleichzeitig würde ein solches militärisches Eingreifen der Ecowas dazu führen, dass beide Staaten die Wirtschaftsgemeinschaft verlassen würden. Mali und Burkina Faso gehören der Gemeinschaft formal an. Seitdem in beiden Ländern das Militär an der Macht ist, sind sie allerdings suspendiert.
Ernst müsse man beide Drohungen nehmen, glaubt Christan Klatt. Er leitet das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali. Es sei deshalb aber noch nicht ausgemacht, dass sich aus der Situation tatsächlich ein grösserer Krieg entwickelt: «Ob sowohl Mali als auch Burkina Faso dazu die nötigen Ressourcen haben, ist eine andere Frage», sagte Klatt gegenüber t-online.
Die Gewaltandrohung der Ecowas hat aus seiner Sicht viele Beobachter überrascht. Allerdings halte er eine militärische Intervention der Staaten aktuell für unwahrscheinlich: «Es muss davon ausgegangen werden, dass dies vor allem zur Einschüchterung der nigrischen Putschisten zu sehen ist, an einer tatsächlichen Eskalation liegt der Ecowas nichts.»
Für Aufsehen sorgten zuletzt Demonstranten in der nigrischen Hauptstadt Niamey. Einige Protestler, die den Putsch feierten, zogen mit Russlandfahnen durch die Strassen und skandierten «Lang lebe Putin». Auch der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hatte den Umsturz in dem Land begrüsst: Er bezeichnete den Putsch am Donnerstag auf Telegram als gewöhnlichen Kampf der Menschen gegen die früheren Kolonialherren, die ihnen ihren Lebensstil aufzwingen wollten. Er warb für einen Einsatz der Wagner-Söldner in dem Land.
Von offizieller Seite gibt es allerdings keine Anzeichen, dass Russland den Putsch möglicherweise mit initiiert hat. Kremlsprecher Dmitri Peskow rief am Montag «alle Parteien» zur Zurückhaltung auf und plädierte dafür, dass die staatliche Ordnung wiederhergestellt werden müsse. Auch von der US-Regierung hiess es in der vergangenen Woche, man habe keine Anzeichen dafür, dass die russische Regierung oder die Wagner-Söldner an dem Umsturz beteiligt waren.
Gleichzeitig ist nicht auszuschliessen, dass Russland der neuen militärischen Führung seine Hilfe anbieten wird: «Selbstverständlich kann Russland von der politischen Instabilität im Land nun profitieren, wir haben dies in Mali und Burkina Faso gesehen», sagt Christian Klatt.
In beiden Staaten sind Wagner-Söldner mit Unterstützung der dortigen Militärregierungen aktiv. Das hatte in Mali unter anderem zum Rückzug von Soldaten aus westlichen Staaten geführt. Auch die Bundeswehr ist gerade dabei, ihre Beteiligung an der dortigen Blauhelm-Mission Minusma zu beenden.
Russland versucht laut Klatt eine Lücke zu füllen, wenn es zwischen afrikanischen Putschisten und westlichen Staaten einen Bruch gibt. «Bisher ist ihnen dies gut gelungen.» Die Wagner-Söldner sind neben Mali und Burkina Faso auch in weiteren afrikanischen Staaten aktiv: Zu den Kernländern zählen die Zentralafrikanische Republik und auch der Sudan. Das geht aus einer im Februar veröffentlichten Studie der Global Initiative Against Transnational Organized Crime hervor.
Hinzu kommt, dass die Wagner-Söldner auch über ihnen nahestehende Unternehmen am illegalen Abbau von Rohstoffen in Afrika beteiligt sein sollen. Niger ist vor allem bekannt für sein Vorkommen an Uran. Laut Zahlen der World Nuclear Association wurden dort im vergangenen Jahr rund 2'000 Tonnen abgebaut. Weltweit liegt das Land damit auf Rang sieben – noch vor China, Indien oder den USA.
Verwendete Quellen:
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