Kämpfer der russischen Söldner-Firma Wagner waren bisher wirksame Instrumente russischer Machtpolitik im Nahen Osten: Sie richteten Deserteure in Syrien hin und legten Landminen in Libyen. Sie kämpften für Moskauer Interessen und verübten Verbrechen im russischen Auftrag, doch der Kreml konnte sich immer von ihnen distanzieren, weil sie nicht zur russischen Armee gehörten.
Nach dem Wagner-Aufstand vom Wochenende funktioniert dieses Modell nicht mehr. Die Konfrontation zwischen Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin und der Moskauer Führung erschüttert Russlands Rolle als Nahost-Macht.
Wagner-Truppen werden im russischen Auftrag in mehreren Nahost-Krisenstaaten eingesetzt. In Libyen unterstützen sie den Rebellengeneral Khalifa Haftar im Kampf gegen die international anerkannte Regierung in Tripolis. Die russische Regierung sichert sich damit Einfluss in Libyen, ohne Bodentruppen ihrer Armee aufbieten zu müssen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten, die auch auf Haftars Seite stehen, arbeiten ebenfalls mit Wagner zusammen. Für Haftar sind die kampferprobten Wagner-Kämpfer eine willkommene Hilfe.
Obwohl Moskau stets dementiert, dass die Söldner vom Kreml gelenkt werden, lassen sich die engen Verbindungen zwischen der russischen Regierung und Wagner nicht verheimlichen. Als Hunderte Wagner-Söldner in Libyen nach einem gescheiterten Angriff auf die Hauptstadt Tripolis im Jahr 2020 in der Falle sassen, weil ihnen der Rückweg versperrt war, nutzte der Kreml seinen guten Draht zur Türkei, die in Libyen die Gegenseite unterstützt. Die Wagner-Söldner durften unbeschadet abziehen.
In Syrien helfen Wagner-Truppen nicht nur der Regierung von Präsident Baschar al-Assad gegen die Rebellen. Sie greifen auch amerikanische Stützpunkte im Osten des Bürgerkriegslandes an. Im Februar 2018 schlugen die Amerikaner den bisher grössten dieser Vorstösse zurück und töteten bis zu 300 Angreifer.
Den Sudan nutzen die russischen Söldner seit 2017 für die Finanzierung ihrer Truppe und die Umgehung westlicher Sanktionen. Die Söldnerfirma erhielt von den sudanesischen Militärs die Genehmigung, Goldminen im Norden des Landes auszubeuten. Russland konnte nach US-Einschätzung mit einem Teil des Goldes seine Staatskasse auffüllen.
Washington verhängte deshalb Sanktionen gegen einige Goldfirmen und forderte die sudanesischen Behörden sowie die Regierungen der VAE und Ägyptens auf, ihre Zusammenarbeit mit Wagner einzustellen. Doch die ignorieren die amerikanischen Appelle bisher, weil sie Wert auf gute Beziehungen zu Russland legen.
Das könnte sich nach Prigoschins Aufstand vom Wochenende ändern. Russlands grösster Trumpf im Nahen Osten ist das Image eines verlässlichen Partners, der anders als die wankelmütigen USA auch tut, was er verspricht. Dieses Image hat in den vergangenen Tagen schwere Kratzer bekommen.
Weil Prigoschin vom Freund Putins zu seinem Feind wurde, stellt sich die Frage, wie es jetzt mit den Söldner-Einsätzen in Libyen, Syrien und im Sudan weitergeht. Noch ist nicht einmal klar, ob die Söldnerfirma bestehen bleibt oder aufgelöst wird.
Manche Beobachter sagen, die Krise schwäche Russland im Nahen Osten, gleich wie der Konflikt zwischen Prigoschin und der russischen Regierung ausgeht. Putins Ruf sei schwer beschädigt, sagte Camelia Entekhabifard, Chefin der persischen Ausgabe der Online-Zeitung «Independent». Jeder habe gesehen, dass die Wagner-Truppen den Kreml-Chef beinahe gestürzt hätten, sagte sie dem israelischen Sender I24.
These are Wagner PMC operations under #Prigozhin in Africa which is facing the new scramble for raw materials amid the Fourth Industrial Revolution. Russia has a pole position in the competition with other players thanks to Wagner which is why it won‘t be dismantled. #Velsig pic.twitter.com/Vf6xrqhnXW
— Velina Tchakarova (@vtchakarova) June 26, 2023
Andere Beobachter sind vorsichtiger. Noch sei die «Wagner-Saga» nicht vorüber, sagt Joe Macaron, Nahost-Experte und ehemaliger UN-Berater mit Sitz in Paris. Auch er sieht aber einen potenziellen Rückschlag für Russlands Machtpolitik in der Region. Sollten etwa die Wagner-Kämpfer in Syrien keine Befehle aus Moskau mehr befolgen, müsste die Lücke von der syrischen Armee, Assad-treuen Milizen und pro-iranischen Gruppen gefüllt werden, sagte Macaron unserer Zeitung.
Während sich der Iran öffentlich auf Putins Seite schlug, äusserten sich andere Regierungen im Nahen Osten bisher nicht. Experte Macaron meint, dass die meisten abwarten wollen, wie das Drama in Russland ausgeht. Wenn Putin es nicht schaffe, die Kontrolle wiederzubekommen, werde das Fragen nach seiner Legitimation und seinem Durchsetzungsvermögen aufwerfen: «Spitzenpolitiker in Nahost und Nordafrika schauen sehr genau zu.»