Der «Olympische Frieden» ist Teil des Mythos um das weltgrösste Sportereignis. Es geht zurück auf das antike Griechenland. Damals verpflichteten sich die Teilnehmer zu einem Waffenstillstand, um eine sichere Durchführung der Spiele in Olympia zu ermöglichen. In den meisten Fällen wurde die sogenannte Ekecheira eingehalten, allerdings nicht immer.
Die Spiele der Neuzeit versuchen, an diese Tradition anzuknüpfen. Mit geringem Erfolg. Während der beiden Weltkriege mussten die Olympischen Spiele abgesagt werden. Zwischen 1976 und 1984 wurden drei Sommerspiele in Folge durch Boykotte erschüttert. Und nicht nur in Berlin 1936 wurden sie für Propagandazwecke instrumentalisiert.
Die Idee des «Olympischen Friedens» aber lebt. Im letzten November verabschiedete die UNO-Generalversammlung eine Resolution für einen Waffenstillstand von sieben Tagen vor den Olympischen Spielen bis sieben Tagen nach den Paralympischen Spielen in Paris, also vom 19. Juli bis 15. September 2024. Auch in diesem Fall mit wenig Erfolg.
Im Ukraine-Krieg haben sich die Kampfhandlungen zuletzt intensiviert. Auch der Gaza-Krieg wird mit grosser Härte weitergeführt. Und doch kann man sich fragen, ob die Olympischen Spiele in Paris in einem damit verbundenen Konflikt eine deeskalierende Wirkung hatten. Es geht um den drohenden Vergeltungsschlag Irans und seiner Verbündeten gegen Israel.
Am 31. Juli, als die Spiele bereits im Gang waren, wurde Ismail Hanija, der Chef der Terrororganisation Hamas, bei einem Besuch in Teheran getötet. Verübt wurde der Anschlag vermutlich vom israelischen Geheimdienst Mossad. Zuvor hatte Israel einen Kommandanten der Hisbollah im Libanon getötet, ebenso Mohammed Deif, den Hamas-Militärchef in Gaza.
Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei kündigte eine harte Bestrafung an. Er soll einen direkten Angriff auf Israel befohlen haben. Daran könnten sich die von Iran unterstützten und finanzierten Milizen in Irak, Syrien, Libanon und Jemen beteiligen. Der befürchtete regionale Flächenbrand, der im April vermieden werden konnte, wäre Tatsache.
Mehrfach hiess es in den letzten Tagen, der Angriff stehe unmittelbar bevor. Am letzten Mittwoch sorgte Ägypten mit der Anweisung an seine Airlines, den iranischen Luftraum in der folgenden Nacht für drei Stunden zu meiden, für Unruhe. Doch bislang ist nichts passiert. Die befürchtete Gewalteskalation in Nahost hat (noch) nicht stattgefunden.
Liegt es an den martialischen Drohungen aus Israel an die Adresse Irans und Libanons? An den hektischen Bemühungen arabischer und westlicher Staaten, eine Gewaltspirale zu verhindern? An ihnen beteiligte sich auch der französische Staatschef Emmanuel Macron. Er telefonierte letzte Woche mit dem neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian.
Hat er ihn ermahnt, den «Olympischen Frieden» einzuhalten? In der offiziellen Mitteilung des Élysée-Palasts steht nichts dergleichen. Aber für Macron als Olympia-Gastgeber wäre dies naheliegend. Tatsächlich könnten die Spiele beim Entscheid Irans, bislang auf einen Militärschlag zu verzichten, eine Rolle gespielt haben, aus einem bestimmten Grund.
Die Islamische Republik Iran schnitt in Paris mit insgesamt zwölf Medaillen, davon drei aus Gold, ansprechend ab. Was auffällt: Sie wurden ausschliesslich in zwei Sportarten gewonnen: Ringen und Taekwondo. Beide wurden erst in der zweiten Olympiawoche ausgetragen. Noch am Samstag bejubelten die Iraner einen Olympiasieg im Taekwondo.
Die Feiern über diese Erfolge wären beträchtlich getrübt, wenn nicht verunmöglicht worden, wenn Iran und seine Verbündeten gleichzeitig ein Inferno gegen Israel angezettelt hätten. So aber konnten die Medaillen ohne «Nebengeräusche» vergeben werden. Es ist zumindest denkbar, dass der Vergeltungsschlag aus diesem Grund bisher nicht stattfand.
Allzu viel erhoffen darf man sich davon nicht. Das hat der russische Machthaber Wladimir Putin zweimal vorgemacht. Noch vor dem Ende der Heim-Winterspiele in Sotschi 2014 gab er den Befehl zu Annexion der Krim. Und nur vier Tage nach Abschluss der Winterspiele in Peking im Februar 2022 liess er seine Armee in der Ukraine einmarschieren.
Zur Eröffnungsfeier hatte sich Putin mit Chinas Machthaber Xi Jinping getroffen. Ob er ihn in seine Invasionspläne eingeweiht hat, wird von Analysten und Geheimdiensten kontrovers beurteilt. Die Vermutung aber drängt sich regelrecht auf, dass Putin aus Rücksicht auf das Sportfest beim wichtigsten Verbündeten mit dem Angriffsbefehl zugewartet hat.
Das Internationale Olympische Komitee (IOK) immerhin reagierte, indem es Russland und seinen Vasallen Belarus von den Spielen in Paris ausschloss. Athleten aus diesen Ländern durften nur unter neutraler Flagge antreten. Ob das Iran beeindrucken wird? Wohl kaum. Der «Olympische Frieden» hat die Eskalation in Nahost bestenfalls hinausgezögert.
*Ironie-off*