Bereits nach ein paar Tagen wurde Sabrina* stutzig: Mit wem chattete sie da? Sabrina, Mitte 30, hatte sich getrennt. Zehn Jahre lang war sie mit ihrem Ex-Partner liiert. Diesen Sommer fühlte sie sich nach dem Beziehungsende bereit, jemand Neues kennenzulernen. Mit den Online-Singlebörsen war sie nicht vertraut. Die gängigsten Dating-Plattformen Tinder und Bumble erschienen ihr unsympathisch. Eine Alternative fand sie bei «Once».
Das Portal wirbt mit «achtsamem Dating». Die «Slow Dating-App», wie sie bis heute in gewissen Medienbeiträgen genannt wird, gibt an, seinen Nutzerinnen und Nutzern jeweils einen Match pro Tag gratis anzuzeigen. Diese werden von einer KI anhand von Angaben und früheren Präferenzen der Nutzenden berechnet. Statt endlosem Swipen verspricht «Once» seinen Usern nichts weniger, als den perfekten Match oder gar «Seelenverwandte» zu finden. Ein Marketing, das hoch pokert – und im Falle von Sabrina nichts hält.
Im Gegenteil. Schnell sei sie aufgefordert worden, ein kostenpflichtiges Abo zu lösen, sagt sie. Wer ein solches kauft, bekommt täglich drei Matches angezeigt. Sabrina zahlte die 45 Franken aber vor allem, um sechs Monate lang unlimitiert chatten zu können. Auch dies ist nur der zahlenden Kundschaft vorbehalten.
Kurz darauf stellte die junge Frau fest, dass weitere Kosten hinzukommen: Sie musste «Diamanten» kaufen, welche die Währung der App darstellen. Angeblich begehrte Profile weist «Once» zudem mit einem Flämmchen aus. Nur wer Diamanten einsetzt – also zahlt –, kann mit diesen überhaupt in Kontakt treten.
Sabrina sagt, dass die Mehrheit der angezeigten Profile ein solches Flämmchen gehabt habe. «Die anderen liessen sich an einer Hand abzählen.»
Wer als begehrtes Mitglied eingestuft wird, ist völlig unklar. In den Nutzungsbedingungen steht einzig, dass diese Abonnenten sein müssen, einen Qualitätscheck durchlaufen und verpflichtet sind, die «Community Standards» einzuhalten. Nachfragen dazu liessen die Betreiber der App unbeantwortet.
Ebenfalls machen sie keine Angaben dazu, wann Profile mit Flämmchen respektive die Diamanten eingeführt worden sind. Frühere Userinnen geben an, dass bei ihnen die App diese Merkmale nicht gehabt hätten. Die App wurde 2015 in der Schweiz lanciert und betrieben. 2021 hat die Firma «Dating Group» mit Sitz in Malta sie für 18 Millionen Dollar gekauft.
Ob sie heute noch die Besitzerin ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. In den AGB ist die Firma Hazelpro in Zypern und in den App-Stores die Firma Xenanco in Hongkong angegeben. Alle drei Firmen äusserten sich auf Nachfrage nicht dazu.
Klar ist hingegen: Wer mit dieser App daten will, muss tief in die Tasche greifen. Innerhalb einer Woche gab Sabrina 230 Franken aus – und dies nur, um mit ihren Matches chatten zu können. Alle ihre Chat-Partner sprachen ausschliesslich Englisch, obwohl sie angeblich in der Schweiz leben würden.
Sabrina wunderte sich: War sie womöglich auf einer Expat-Plattform gelandet? Ihr Misstrauen wuchs täglich: Weshalb schreiben ihre Chat-Partner immer sofort zurück? Und wieso sind sie so vage in ihren Antworten? Da war etwa ein Architekt. Sie fragte ihn, welche Art von Gebäuden er plane. Seine Antwort lautete: «Alle, von Häusern bis zu Wolkenkratzern, es ist ein sehr vielfältiges Gebiet.» Ähnlich unspezifisch klang es bei einem Anwalt.
Die junge Frau hat die Chat-Verläufe mit dieser Zeitung geteilt. Es fällt auf, dass die Fragen ihrer Chat-Partner äusserst offen sind und fast nie Bezug nehmen auf frühere Gesprächsinhalte. Sie interessieren sich vielmehr für Sabrinas künftige Vorhaben: Was sie für den Rest des Abends, für morgen, für das Wochenende oder für die Ferien plane?
Als sie den Architekten zurückfragte, was er an seinem freien Tag mache, antwortete er: «Ich gehe gerne spontan vor und schaue, wohin mich der Weg führt.» Die Inhalte der Männer bleiben oberflächlich, schwammig und austauschbar. Von Seelenverwandtschaft keine Spur.
Mit gewissen Chat-Partnern erlebte Sabrina völlig skurrile Dialoge. Etwa mit Ethan. Die beiden unterhielten sich über ihre jeweiligen Sprachkenntnisse. Er schrieb, dass er nur Englisch spreche, aber gerne mehr Sprachen lernen würde. Sabrina fragte ihn, ob er Französisch nicht im Job benötige. Ethan antwortete ihr: «Ich würde sehr gerne Französisch lernen, aber das hat für mich momentan keine Priorität.»
Auf seinem Profil hat Ethan mehrere Fotos von sich hochgeladen. Eines zeigt ihn mit einem russischen Buch in der Hand. Sabrina hakt nach, wieso er Russisch lesen könne. Er antwortet: «Haha, nein, ich lese nicht Russisch, ich spreche nur Englisch. Warum fragst du?» Sabrina verweist auf sein Foto und schreibt: «Du hast ein Buch auf Russisch gelesen.» Ethan schreibt: «Echt? Auf keinen Fall, ich habe ein französisches Buch gelesen.» Da schreibt Sabrina: «Du sprichst gar nicht Französisch, Bot!»
Sie ist sich sicher: Hinter Ethan steckt ein Chatbot. Was aber ist mit den anderen? Etwa mit dem Architekten, der ihr gefiel? Er gab an, in Schaffhausen zu leben. Als sich Sabrina nach seinem dortigen Lieblingsort erkundigte, antwortete er: das Kunstmuseum. Doch ein klassisches Kunstmuseum oder ein Museum, das «Kunst» im Namen trägt, gibt es in Schaffhausen nicht. Daraufhin fragte ihn Sabrina, wo er aufgewachsen sei. Der Architekt schreibt zurück: «Englisch ist meine Muttersprache, und ich wuchs in den USA auf. Sprichst du Englisch?»
Zu diesem Zeitpunkt hatten Sabrina und der Architekt bereits mehrere Abende miteinander gechattet. Irritiert schrieb sie: «Wieso fragst du mich, ob ich Englisch spreche? Wir schreiben auf Englisch …» Sabrina verlangte, dass er seine Echtheit beweise. Weil ihm nichts Konkretes einfiel, machte sie Vorschläge. Er könne weitere Lieblingsorte in Schaffhausen nennen, mehr von sich preisgeben oder sich mit ihr treffen. Er schrieb zurück: «Möchtest du über etwas sprechen, das dich aktuell gerade beschäftigt?»
Als Sabrina einmal um halb sechs Uhr morgens aufwachte, schrieb sie ihre sieben Chat-Partner an. Alle antworteten ihr umgehend. Für Sabrina ist deshalb klar: Sie hat mit Maschinen und nicht mit Menschen kommuniziert. Und dafür 275 Franken bezahlt. «Bei dieser App geht es sicherlich nicht darum, Leute zusammenzubringen, sondern um Geld zu verdienen», sagt Sabrina.
Diese Meinung teilen zig andere ehemalige Nutzerinnen und Nutzer. Wer etwa die Reviews auf «Google Play», im «Apple Store» oder auf «Trustpilot» durchliest, stösst auf Enttäuschung, Frust und harsche Kritik. Es wird vor einer «Scam-App», «Fake-Profilen» oder «Bots» gewarnt.
Wie Sabrina berichten Nutzerinnen und Nutzer, dass ihre Chat-Partner zu allen Uhrzeiten stets postwendend geantwortet hätten, keine Details zu ihren angeblichen Wohnorten nennen konnten und nie auf einen gratis Messenger-Dienst wie WhatsApp umschwenken wollten.
Nina Habicht ist Wirtschaftsinformatikerin, Start-up-Gründerin und Expertin für sichere KI. Sie hat im Auftrag von Unternehmen rund 40 Chatbots gebaut. Wie schätzt sie den Fall ein? «Antworten die Chat-Partner zu jeder Uhrzeit umgehend, ist das ein starker Hinweis, dass bei dieser App möglicherweise mit Bots gearbeitet wird», sagt sie.
Dating-Plattformen würden vermehrt KI einsetzen, sagt Habicht. Etwa, indem Interaktionen mit einem Chatbot stattfänden, welche die Nutzenden zu Beginn ihrer Suche in einen Dialog über ihre Vorstellungen und Wünsche verwickeln. «Mit dieser Methode geben Menschen in der Regel mehr über sich preis, als wenn sie mit ein paar Klicks ihr Profil erstellen», sagt Habicht.
Das sei in Ordnung, wenn die Rechtsgrundlage stimmt, Userinnen und User transparent über den Einsatz von Chatbots informiert werden und eine Einwilligung geben. Es komme stark darauf an, was die App für Funktionen habe, sagt Habicht. Zum Beispiel seien eine Emotionserkennung oder biometrische Kategorisierung der Daten, um sensible Merkmale wie Religion, sexuelle Orientierung oder Ethnie ohne Rechtsgrundlage abzuleiten, in der EU verboten. «Der Zweck, die Verwendung der gewonnen Daten und die Funktionsweise müssen zwingend deklariert sein. Auch sollte die Datenschutzerklärung einfach zugänglich sein», sagt die KI-Expertin. Unlauter sei es, wenn Nutzende nicht wüssten, dass sie mit einer KI sprechen.
Diese Zeitung hat die beteiligten Unternehmen an «Once» mit den Vorwürfen konfrontiert. Keines reagierte.
Sabrina forderte von Apple, über dessen App-Store sie die App heruntergeladen hatte, ihr Geld zurück. Ohne weitere Nachfrage wurde es ihr zurückerstattet. Weshalb Apple und Google die App trotz zahlreicher Warnungen und vernichtender Erfahrungsberichte anbieten, sagen die beiden Tech-Giganten nicht.
*Name geändert
(aargauerzeitung.ch)