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Wie Joe Biden die Republikaner in die Falle lockte

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Marjorie Taylor Greene benahm sich äusserst rüpelhaft.Bild: Shutterstock/watson
Analyse

Wie Joe Biden die Republikaner in die Falle lockte

Seine «State of the Union»-Rede war seine bisher beste – und für seine Gegner tödlich.
09.02.2023, 13:0011.02.2023, 16:27
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Die Eiskunstläuferin Tonya Harding wurde einst weltberühmt, weil sie ihre Konkurrentin an den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer auszuschalten versuchte, indem sie ihr das Knie zertrümmern liess. Harding stammt aus einfachsten Verhältnissen und wurde wegen dieser Tat zum Symbol für die amerikanische Bevölkerungsgruppe, die «white trash» genannt wird.

Die Mitglieder dieses «weissen Abfalls» gehören der untersten Schicht der Gesellschaft an. Sie leben in Wohnwagenparks, haben die Schule abgebrochen und meist eine astronomische Scheidungsrate. In vielen Fällen sind sie alkohol- und drogenabhängig und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht durch das Leben.

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Die neue White-Trash-Queen: Marjorie Taylor Greene.Bild: keystone

Seit dem vergangenen Dienstag gibt es eine neue White-Trash-Queen: Marjorie Taylor Greene. Die umstrittene Abgeordnete aus dem Bundesstaat Georgia hat sich diesen Titel mit ihrem Benehmen an der «State of the Union»-Rede redlich verdient. Sie erschien nicht nur in einem Aufzug, der förmlich nach «white trash» schreit. Sie benahm sich auch so rüpelhaft, wie man es höchstens auf der Gasse tun darf. Und sie lief vor allem kopflos in eine Falle, die ihr Joe Biden geschickt gestellt hatte.

In seiner Rede beschuldigte der Präsident die Republikaner, einige von ihnen hätten die Absicht, die Gelder für die Altersvorsorge («social security») und die Krankenversicherung («medicare, medicaid») kürzen zu wollen. Dazu muss man wissen: Wer in den USA die Sozialwerke ummodeln will, berührt das «third rail», das mittlere Gleis in den U-Bahnen, durch das der Strom fliesst. Eine solche Berührung ist tödlich.

Auch politisch kommt es einem Selbstmord gleich, wenn man an den eh schon bescheidenen Sozialleistungen der USA herumbasteln will. Für die älteren Menschen sind diese Leistungen überlebenswichtig, und wer dieses Wählersegment gegen sich aufbringt, kann keinen Blumentopf gewinnen.

Trotzdem gibt es immer wieder Republikaner, die es versuchen. Auch im Vorfeld der Diskussionen über die Anhebung der Schuldenobergrenze sind solche Stimmen laut geworden. Zwar hat Kevin McCarthy, der Anführer der Grand Old Party (GOP), verzweifelt versucht, diese Stimmen zu unterdrücken. Es ist ihm nicht ganz gelungen. Biden konnte in seiner Rede darauf hinweisen, dass einzelne Republikaner erneut mit dem Gedanken spielen, die Sozialleistungen zu kürzen.

Speaker of the House Kevin McCarthy of Calif., ends the joint session of Congress after President Joe Biden delivered the State of the Union address at the U.S. Capitol, Tuesday, Feb. 7, 2023, in Wash ...
Warnte vergebens: Speaker Kevin McCarthy.Bild: keystone

Damit triggerte der Präsident ganz bewusst die Prolo-Fraktion der GOP. Obwohl sie von McCarthy eindringlich gewarnt worden waren, genau dies nicht zu tun, sprangen Greene und ihre Gesinnungsgenossen von ihren Sitzen auf und schrien «Lügner, Lügner», ein absolutes No-go während einer präsidialen Rede.

Biden hatte diese Reaktion nicht nur erwartet, er hatte sich geradezu erhofft. Deshalb blieb er gelassen, lächelte süffisant und zwang so die Republikaner, ihm zu applaudieren, als er auf die Proteste von Greene & Co. entgegnete, damit sei man sich über die Parteien hinweg einig, dass die Sozialwerke sicher seien.

Der Präsident hatte so zwei Fliegen auf einen Schlag erledigt. Er rang den Republikanern nicht nur öffentlich das Versprechen ab, die Alters- und die Krankenvorsorge nicht anzutasten. Er machte auch der amerikanischen Öffentlichkeit bewusst, dass die GOP von ungehobelten Rowdys beherrscht wird, die ausser Verschwörungstheorien nichts zu bieten haben.

Schon tags darauf legte Biden noch eine Schippe darauf. Er befindet sich derzeit auf einer Tour durch mehrere Bundesstaaten und will dabei seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik verkaufen. Genüsslich erwähnte er in einer Rede im Bundesstaat Wisconsin das unschickliche Verhalten der Republikaner im Kongress und legte Beweise für seine Anschuldigungen vor.

Tatsächlich hat der für den Senatswahlkampf der Republikaner zuständige Senator Rick Scott in einem Grundlagenpapier vor den Zwischenwahlen gefordert, die Gesetze für die Altersvorsorge müssten alle fünf Jahre neu bewilligt werden. Andere Senatoren der GOP wie Mike Lee aus Utah und Ron Johnson aus Wisconsin hatten ebenfalls solche Absichten geäussert und sind dabei sogar gefilmt worden.

Präsident Biden hat nicht nur die Republikaner in eine Falle gelockt. Er hat in seiner Rede auch einen Plan vorgelegt, wie die Demokraten 2024 das Weisse Haus verteidigen können. Im Zentrum dieses Plans stehen dabei die Bemühungen, die Arbeiterklasse in den ehemaligen Industriestaaten wie Ohio und Wisconsin wieder zurückzugewinnen.

Das ist auch dringend nötig. Vor allem die weissen Männer ohne Hochschulabschluss haben sich in Scharen von den Demokraten ab- und den Republikanern zugewandt. Dank den nun vom Kongress abgesegneten Gesetzen – Infrastruktur, Chips, Green New Deal – und einer zunehmend protektionistischen Wirtschaftspolitik will Biden dafür sorgen, dass die Güter, welche die Amerikaner konsumieren, auch in den USA hergestellt werden, und dass so auch im sogenannten «rust belt» wieder anständig bezahlte Jobs in rauen Mengen geschaffen werden.

Joe Bidens «State of the Union»-Rede wird als seine bisher beste beurteilt und als Auftakt für seinen Anspruch auf eine zweite Amtszeit gehandelt. Dieser Anspruch ist allerdings selbst in der eigenen Partei umstritten. Die Demokraten sind zwar des Lobes voll über die Errungenschaften ihres Präsidenten. Mehr als die Hälfte von ihnen wünscht sich trotzdem, dass er nicht mehr kandidiert. Der Grund liegt auf der Hand. Biden hat kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert – und bisher gibt es kein Gegenmittel gegen das Alter.

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Highlights von Bidens Rede zur Lage der Nation
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131 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Knut Knallmann
09.02.2023 13:18registriert Oktober 2015
Warum jene, welche wirtschaftlich gesehen schon ganz unten stehen, unbedingt jene Parteien wählen, welche die bescheidenen Leistungen des Staates noch weiter kürzen wollen, ist bemerkenswert. Nicht nur in den USA sondern überall…
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Martin Baumgartner
09.02.2023 13:12registriert Juni 2022
Marjorie Taylor Greene!
Sie geht mit dem Denken so sparsam um, als ob es illegal wäre!
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Hiker
09.02.2023 13:25registriert Januar 2017
Wie kann man nur solchen Leuten sein Vertrauen geben und sie wählen? Marjorie Taylor Greene ist nun wirklich eine Person die nicht das geringste zu suchen hat in einer Regierungsinstitution. Keinen Anstand und wirklich null Ahnung von nichts. Aber laut, dass kann Sie perfekt.
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