Treffen von Selenskyj und Trump: Buhlen um des US-Präsidenten Gunst
Mal wieder klingen die Ankündigungen vollmundig. «Noch in diesem Jahr», so hat es der ukrainische Präsident kürzlich dargelegt, könnte «vieles entschieden werden». Auch der russische Vizeaussenminister Sergej Rjabkow behauptete vor wenigen Tagen in Moskau, dass es nun auf einen «letzten Ruck» ankomme. Aus den USA sind ebenfalls optimistische Töne zu hören. «Ich glaube, wir haben gute Chancen», sagte US-Präsident Donald Trump der Zeitung New York Post.
Tatsächlich ist das anstehende Treffen zwischen Wolodymyr Selenskyj und Trump der vorläufige Höhepunkt eines wochenlangen Verhandlungsmarathons. An dessen Ende, so hofft zumindest die ukrainische Führung, soll ein Friedensplan entstehen, den sie zusammen mit den USA und den europäischen Verbündeten Russland vorlegen kann. Putin wiederum soll dann entweder zustimmen oder Trumps Zorn spüren.
Dieses Szenario zu realisieren, dürfte jedoch äusserst schwierig werden. Denn die USA haben sich fest in die Rolle des Vermittlers zurückgezogen. Mehr noch: Die aktuelle Verhandlungsrunde hatte für die Ukraine mit einem Schock begonnen, als am 20. November Trumps sogenannter 28-Punkte-Plan publik wurde.
Diesen Plan hatte US-Vertreter offenbar in enger Zusammenarbeit mit Russland ausgearbeitet. Das Papier enthielt eine ganze Reihe von russischen Forderungen, die weder für die Ukraine noch für ihre europäischen Verbündeten akzeptabel waren. Die Ukraine sollte etwa auf die Mitgliedschaft im Nato-Militärbündnis verzichten, ihre Truppen auch aus jenen Teilen der Regionen Donezk und Luhansk abziehen, die Russland noch gar nicht besetzt hat. Der Entwurf beinhaltete auch eine Amnestie für russische Kriegsverbrecher und ein Ende der Sanktionen. Andererseits deutete Russland in diesem Entwurf erstmals die Bereitschaft an, Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine als Teil eines möglichen Friedensabkommens zu akzeptieren.
Auf den ersten Schock folgte eine ganze Reihe von Verhandlungsrunden in den USA und Mitte Dezember auch in Berlin. In diesen Gesprächen entstand eine gründlich überarbeitete Version des Dokuments. Und ebendiese Version soll nun beim Treffen von Selenskyj und Trump an diesem Sonntag in Florida besprochen werden. Die ukrainische Version des Entwurfs umfasst derzeit 20 Punkte.
Trump geht vor Treffen auf Distanz
Der neue Plan sieht vor, dass die Kampfhandlungen entlang der aktuellen Frontlinie enden. Die Ukraine soll Sicherheitsgarantien von den USA, den europäischen Partnern und der Nato bekommen. Sowohl Russland als auch die Ukraine sollen sich zudem verpflichten, die Frontlinie nach einer Einigung nicht mehr mit Gewalt zu verschieben. Russland seinerseits soll sich aus den Gebieten Sumy, Charkiw und Dnipro sowie Mykolajiw zurückziehen, aus insgesamt etwa 2'000 Quadratkilometern.
Dennoch bleiben auch im neuen Dokument die wichtigsten Punkte ungeklärt. Noch vor seiner Reise in die USA hatte Selenskyj vor Journalisten erklärt, dass es vor allem in der Donbass-Frage keine Einigkeit mit den USA gebe: Die Ukraine bestehe auch für diesen Abschnitt auf einem Einfrieren des Krieges entlang der Frontlinie. Russland wiederum verlangt hier einen Abzug der Ukrainer, wie im ursprünglichen 28-Punkte-Plan vorgesehen. Trump zeigt weiterhin Verständnis für diese russische Position.
Als möglichen Kompromiss haben die USA eine sogenannte Sonderwirtschaftszone für das Gebiet vorgeschlagen. Wohl auch, um Selenskyj ein Einlenken zu erleichtern. Wer diese Zone jedoch kontrollieren soll und wie sich dieser Vorschlag konkret von der russischen Forderung unterscheidet, ist bislang unklar. Vor dem Treffen mit Selenskyj hat Trump jedenfalls signalisiert, dass der neue 20-Punkte-Plan nicht fertig abgestimmt sei. «Selenskyj hat nichts, solange ich nicht zustimme», sagte er in einem Interview mit dem Portal Politico.
Eine weitere offene Frage ist die künftige Kontrolle über das Atomkraftwerk Saporischschja. Russland hält es besetzt. Die USA schlagen vor, es gemeinsam mit Russland wieder ans Netz zu nehmen. Die Ukraine ist gegen diese Zwangskooperation mit Russland und plädiert für eine gemeinsame Nutzung mit den USA als einzigem Partner. Wieso sich Putin auf diese Forderung einlassen sollte, ist unklar.
Und so muss Selenskyj weiterhin um die Gunst von US-Präsident Trump buhlen. «Das Ziel von Selenskyj bleibt nach wie vor, zu demonstrieren, dass die Ukraine ein konstruktiver Partner in dem Friedensprozess bleibt, den Donald Trump initiiert hat», sagt Mykola Bielieskow, Analyst des Nationalen Instituts für strategische Studien in Kyjiw. In Florida, glaubt Bielieskow, dürfte Selenskyj versuchen, so viele handfeste Zusicherungen von Trump beim Thema Sicherheitsgarantien zu bekommen, wie nur möglich. Dies wiederum würde dem ukrainischen Präsidenten mehr Spielraum in der Gebietsfrage verschaffen.
Tatsächlich hat Selenskyj in einem Interview mit dem US-Portal Axios ein mögliches Referendum über die Zukunft des Donbass ins Spiel gebracht. Die Voraussetzung dafür sei jedoch eine 60-tägige Waffenruhe und Sicherheitsgarantien. In den USA wurde dies als Kompromissbereitschaft der ukrainischen Regierung ausgelegt. «Selenskyj könnte versuchen, Trumps Wunsch nach einer schnellen Einigung zu nutzen, um Fortschritte beim Thema Sicherheit zu erzielen, indem er betont, dass die territoriale und die sicherheitspolitische Dimension eng miteinander verknüpft sind», analysiert Bielieskow.
Putin droht mit mehr Waffengewalt
Sollten sich Trump und Selenskyj tatsächlich in dieser Frage einigen, würde dies allein jedoch noch nicht ein Ende des Krieges näherbringen. Denn sollte die etwaige Einigung inhaltlich von den russischen Forderungen abweichen, dürfte Russland mit einem Nein reagieren.
Russische Vertreter sind in Florida nicht dabei. Und bisher hat der russische Kriegsherr keine Bereitschaft gezeigt, von den territorialen Forderungen des ursprünglichen 28-Punkte-Plans abzuweichen. In den vergangenen Tagen hat Putin vielmehr keine Gelegenheit ausgelassen, um die Härte seiner Position zu betonen. Vor wenigen Tagen in Moskau soll er bei einem vertraulichen Treffen mit Wirtschaftsbossen erklärt haben, dass die «Zukunft des Donbass nicht verhandelbar» sei. Der Donbass «gehört uns», zitierte aus dem Treffen die Wirtschaftszeitung Kommersant.
Am Samstag hat Putin den verbalen Druck weiter erhöht. «Angesichts des Tempos», mit dem Russland vorrücke, strebe sein Interesse an einer Vereinbarung über einen freiwilligen Abzug der Ukrainer aus dem Donbass «gegen null», behauptete Putin bei einem Treffen mit dem Generalstabschef Walerij Gerassimow. Dieser hatte zuvor Putin über die angebliche Einnahme der Städte Myrnohrad und Huljajpole berichtet. «Wenn die Kyjiwer Machthaber die Sache nicht friedlich beenden wollen, dann werden wir unsere Ziele durch Waffengewalt erreichen», sagte Putin weiter.
Ein weiterer offener Konfliktpunkt bleibt eine mögliche Stationierung europäischer Truppen in der Ukraine in der Zeit nach dem Ende des Krieges. Auf dem Berliner Gipfel versprachen die europäischen Partner der Ukraine nach Kriegsende eigene Soldaten in das Land zu entsenden. Russland lehnt dies weiterhin strikt ab. Russlands Aussenminister Sergej Lawrow hat dies in einem Interview mit der staatlichen Agentur Tass am Sonntag bekräftigt. Russland würde diese Einheiten als «legales Ziel» betrachten, sagte Lawrow.
Auch hat der Aussenminister bereits den Schuldigen ausgemacht, sollte es in Florida tatsächlich eine Einigung zwischen Trump und Selenskyj geben, die Russlands Forderungen ignoriert. «Wir schätzen Trumps Bemühungen», sagte Lawrow. Das Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden seien jedoch «Europa und die Europäische Union».
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

