Bevor in den USA jemand eines Verbrechens angeklagt werden kann, muss sein Fall von einer sogenannten Grand Jury beurteilt werden. Dabei handelt es sich um ein Gremium von gewöhnlichen Bürgerinnen, das die Argumente der Strafverfolgungsbehörden kritisch würdigen und eine Anklage letztlich absegnen muss.
Jack Smith heisst der von Justizminister Merrick Garland eingesetzte Sonderermittler, der abklären muss, ob Donald Trump eine Straftat begangen hat, weil er bei seinem Auszug aus dem Weissen Haus geheime Dokumente mitlaufen liess und diese vor den National Archives, wohin diese Dokumente gehören, verheimlicht hat.
Auch Smith hat eine Grand Jury einberufen. Diese hat verschiedenste Zeugen angehört. Nach einer kurzen Pause wird diese Grand Jury noch diese Woche erneut zusammentreten. Für Experten ist dies ein untrügliches Zeichen, dass ein Entscheid, ob Anklage erhoben wird oder nicht, unmittelbar bevorsteht. Und die meisten dieser Experten sind auch der Meinung, dass alle Zeichen darauf hindeuten, dass der Sonderermittler dem Justizminister eine Anklage empfehlen und dass Garland dieser Empfehlung auch folgen wird.
Mit anderen Worten: Alles deutet darauf hin, dass Trump sehr bald mit einer neuen Anklage rechnen muss, mit einer Anklage, die weit gravierender sein wird als diejenige, welche die Schweigegeldzahlungen an den Pornostar Stormy Daniels betrifft, und die Trump – sollte er schuldig gesprochen werden – gar für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen könnte. Aber wir greifen vor. Zunächst müssen wir die Frage beantworten, weshalb Teflon-Trump wirklich in ernsthaften Schwierigkeiten steckt.
Zwei Dinge sind dabei ausschlaggebend. Beide betreffen die Sache mit den in Mar-a-Lago – Trumps Residenz in Palm Beach (Florida) – gefundenen rund 100 Geheimdokumenten.
Das erste betrifft einen Entscheid von Beryl Howell, einer Richterin in Washington D.C. Diese hat Trumps Anwalt Evan Corcoran befohlen, seine Notizen dem Sonderermittler und seiner Grand Jury zur Verfügung zu stellen. Dieser Entscheid ist aussergewöhnlich, denn normalerweise wird das Anwaltsgeheimnis in den USA sehr hoch gehalten und kann nur durchbrochen werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Anwalt für eine Straftat eingespannt wurde.
Genau dies scheint der Fall zu sein. Richterin Howell glaubt, dass Trump seinen eigenen Anwalt belogen und die Geheimdokumente selbst vor ihm versteckt hat. Untermauert wird dieser Verdacht durch die Tatsache, dass Bilder von Überwachungskameras zeigen, wie zwei Kisten mit den Dokumenten in andere Räume verfrachtet wurden und dem Anwalt Corcoran der Zutritt zu diesen Räumen verwehrt wurde.
Der zweite Punkt betrifft ein Tonband, dessen Existenz in der vergangenen Woche von CNN publik gemacht wurde. Tonbänder sind für die Anklage immer ein gefundenes Fressen. Vergessen wir nicht, dass seinerzeit Präsident Richard Nixon im Fall von Watergate über ein Tonband gestolpert ist.
Bei Trump geht es um Folgendes: Der Ex-Präsident hat sich im Sommer 2021 fürchterlich über eine Story im Magazin «New Yorker» aufgeregt, in der es darum ging, dass Generalstabschef Mark Milley anscheinend besorgt darüber war, dass Trump quasi in letzter Stunde noch versuchen würde, einen Krieg mit dem Iran anzuzetteln und damit einen Verbleib im Weissen Haus zu erzwingen.
Trumps Zorns war so gewaltig, dass er verschiedene Leute in seinem Golf Resort Bedminster im Bundesstaat New Jersey zusammentrommelte, um Milley zu widerlegen. Auf dem Tonband ist zu hören, wie er bei diesem Treffen mit Papieren wedelt und dabei erklärt, diese Papiere würden beweisen, dass Milley lüge und dieser selbst einen Angriff auf den Iran geplant habe. Leider könne er diese Papiere jedoch nicht zeigen, da sie hochgeheim seien.
Mit anderen Worten: Dieses Tonband ist die viel zitierte «smoking gun». Es beweist, dass Trump wusste, dass er diese Dokumente gar nicht hätte besitzen dürfen und dass er sich schon gar nicht über deren Inhalt mit unbefugten Personen hätte unterhalten dürfen. Der Ex-Präsident hat sich damit zweier schwerer Straftaten schuldig gemacht: Er hat den Espionage Act verletzt und die Justiz behindert. Der Espionage Act ist Landesverrat in Nicht-Kriegszeiten.
Wie gravierend dies ist, erklärt Andrew Weissmann, ein ehemaliges Mitglied des Teams von Robert Mueller und ein erfahrener Strafverfolger. «Ich will versuchen, nicht in Übertreibung zu verfallen», erklärte Weissmann gegenüber dem TV-Sender MSNBC. «Aber sollte dies zutreffen, dann ist für Trump Game over. Sollte diese Story sich bewahrheiten, dann wird es zu einer Anklage kommen, und es fällt schwer, sich vorzustellen, dass es danach nicht zu einer Verurteilung kommen sollte.» Weissmann befindet sich mit dieser Einschätzung in bester Gesellschaft. Auch Ty Cobb, der ehemalige Anwalt im Weissen Haus zu Trumps Zeiten, befürchtet, dass sein ehemaliger Boss in den Knast muss.
Es dürfte Trump auch nicht wirklich helfen, dass er offensichtlich unfähig ist, seinen Mund zu halten. So hat er kürzlich in einem Interview mit Fox-News-Moderator Sean Hannity auf dessen unterwürfige Frage, er würde doch niemals geheime Dokumente nach Mar-a-Lago transportieren und diese dann mit anderen Menschen besprechen, geantwortet: Doch, doch, genau das würde er, und er habe auch ein Recht dazu. Damit hat der Ex-Präsident schlagartig eine mögliche Verteidigungs-Strategie zerstört, wonach die Geheimdokumente zufällig und ohne sein Wissen nach Florida gelangt seien.
Warum aber wird diese Anklage – sollte sie denn tatsächlich zustande kommen – schon bald erfolgen? Damit sich die Verteidigung angemessen vorbereiten kann, müssen zwischen Anklage und Prozess mindestens 90 Tage, in der Regel jedoch neun Monate bis zu einem Jahr liegen. Gleichzeitig will das Justizministerium verhindern, dass es unfreiwillig zu einem Faktor in den Wahlen wird. Da beim derzeitigen Stand Trump der haushohe Favorit unter den republikanischen Präsidentschaftsanwärtern ist, muss ein allfälliger Prozess spätestens im kommenden Frühjahr stattfinden.
Und was geschieht, sollte es tatsächlich zu diesem Prozess kommen? Rein rechtlich gesehen kann Trump selbst bei einem Schuldspruch kandidieren, ja, selbst aus dem Knast kann er dies tun. Oder er muss allenfalls bei seinen Rallys Fussfesseln tragen. Auf jeden Fall gäbe es ein Spektakel, das selbst für US-Verhältnisse bizarr wäre – um es milde auszudrücken.
In Genf wurde ein der Korruption überführter und verurteilter Mensch also Politiker erneut (nach der Verurteilung) in die Regiereung gewählt. Was kann denn von so einem überhaupt erwartet werden?