Warum sollen diesmal tatsächlich griffige Massnahmen gegen die grassierende Waffen-Epidemie in den USA ergriffen werden? Die Frage ist mehr als berechtigt. Vor fünf Jahren wurden in Newtown im Bundesstaat Connecticut 27 Schüler und Lehrer erschossen, vor fast zwei Jahren starben 49 Menschen in einem Nachtclub in Orlando, und vor fünf Monaten wurden in Las Vegas 58 Menschen Opfer eines Todesschützen.
Mehr als «unsere Gedanken und Gebete sind bei Euch» ist den Politikern als Reaktion darauf nicht eingefallen. Damit kommen sie nicht mehr durch. «Wir haben die Schnauze voll von Gedanken und Gebeten», musste sich etwa der republikanische Abgeordnete Mike Coffman bei einer Wahlveranstaltung in Denver (Bundesstaat Colorado) anhören. «Machen wir endlich etwas.»
This is what democracy looks like. #GunReformNow pic.twitter.com/AMLVOSpaBY
— Elizabeth Warren (@SenWarren) 22. Februar 2018
Das Epizentrum der Proteste gegen die laschen Waffengesetze befindet sich in Florida. An einer Schule in Parkland erschoss letzte Woche der 19-jährige Nikolas Cruz 17 Schüler und Lehrer. Gestern protestierten in der Hauptstadt Tallahassee überlebende Schüler, unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus dem ganzen Staat, gegen diese Bluttat.
Im Fadenkreuz des Protests stand Gouverneur Rick Scott. Er ist ein stockkonservativer Republikaner und steht der Waffenlobby, der National Rifle Association (NRA), nahe. «Schäm dich! Schäm dich!», schrieen ihm die protestierenden Teenager entgegen. Der ebenso konservative und einflussreiche Ratspräsident Richard Corcoran musste sich anhören: «Stell dich! Stell dich!».
Der Protest der Teenager ist weder chaotisch noch gewalttätig. Er ist friedlich und bewusst überparteilich gehalten – und er ist effektiv. Die Schüler können sich vor den TV-Kameras sehr gut ausdrücken und ihre Botschaft kommt an, selbst in Florida, dem Staat, in dem die NRA sehr grossen Einfluss hat und der die waffenfreundlichsten Gesetze der USA hat.
Mit dieser Taktik bringen die Teenager die Waffenlobby in Schwierigkeiten. «Selbst entschlossene Waffen-Enthusiasten glauben, dass die Republikaner es sich nicht mehr leisten können, angesichts der grauenhaften Gewaltszenen weiter die Hände in den Schoss zu legen», stellt die «New York Times» fest.
Das gilt auch für Donald Trump. Der Präsident hat am Mittwoch im Weissen Haus eine gemischte Gruppe von Schülern, Lehrern und Eltern empfangen und sich rund eine Stunde lang ihre Voten angehört. Ob Trump sich davon beeindrucken liess, ist nebensächlich. Entscheidend ist die Tatsache, dass die TV-Bilder dieses Treffens auf allen wichtigen TV-Stationen im ganzen Land verbreitet wurden.
President Trump hosted a listening session with students and families affected by the high school shooting that killed 17 people in Florida. pic.twitter.com/P7xU7JFFRN
— Circa (@Circa) 22. Februar 2018
Die Bilder sind eindrücklich. Der 18-jährige Samuel Zeif schildert unter Tränen, wie sein bester Freund getötet wurde. Die 17-jährige Tochter von Andrew Pollack war eines der Opfer, und der Vater machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. «Es kotzt mich an», sagte er. «Ich werde nicht mehr ruhen, bis endlich etwas geschieht.»
Der Präsident verspricht zwar, diesmal konkrete Schritte in die Wege zu leiten. Er will die sogenannten «bump stocks» verbieten lassen, eine Vorrichtung, welche die Serienfeuer-Funktion bei halbautomatischen Gewehren erlaubt. Und er will, dass Personen, die eine Waffe kaufen wollen, genauer überprüft werden.
Bisher sind dies leere Versprechen. Das Bump-Stock-Verbot könnte der Präsident sofort umsetzen. Ein entsprechendes Gesetz liegt vor, Trump und der Kongress müssten ihm bloss zustimmen. Was die Überprüfung beim Waffenkauf betrifft, hat er in seiner bisherigen Amtszeit genau das Gegenteil getan und die entsprechenden Gesetze aufgeweicht.
Waffenlobby, Konservative und der Präsident setzen neben «Gedanken und Gebeten» auf die psychische Gesundheit. Nicht Gewehre seien Schuld an den Massakern, sondern der Geisteszustand der Täter. Das ist zwar zweifellos richtig. Doch weshalb weigern sie sich, Gesetze zu erlassen, die verhindern, dass diese Menschen Waffen erwerben können? Trump hat sich gar dazu verleiten lassen vorzuschlagen, dass Lehrer künftig in Schulen verdeckte Waffen tragen sollten.
Erstmals geraten jedoch Waffenlobby und Konservative ernsthaft in Schwierigkeiten. Die Teenager treffen den Nerv der Nation. Deshalb hat bereits eine üble Hetzkampagne gegen sie eingesetzt. So wird etwas behauptet, einer der eloquentesten Vertreter namens David Hogg sei gar kein Schüler, sondern ein Schauspieler. Er sei von Linken und Waffengegnern instrumentalisiert worden.
Auf YouTube kursierte ein Video, das diese Verschwörungstheorie unter einem Pseudonym «mike.m» verbreitete. Es ist inzwischen gelöscht worden. Doch auch die bekannten Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones oder Bill O’Reilly stimmen in diesen Chor ein. Sie stellen die protestierenden Teenager als Marionetten der Demokraten dar oder insinuieren gar, sie seien von George Soros bezahlt worden.
"Schämen Sie sich!" - Mit einer emotionalen Rede kritisiert Emma Gonzales Präsident Trump und die Waffen-Lobby. Sie überlebte den Amoklauf an ihrer Highschool in Parkland. pic.twitter.com/3AHGwO44HX
— tagesschau (@tagesschau) 18. Februar 2018
Bisher haben die Teenager souverän darauf reagiert und sich nicht beeindrucken lassen. Sie wehren sich höflich, aber bestimmt gegen diesen Unsinn – und am 24. März wollen sie eine nationale Demonstration in Washington durchführen.