In der «Tagesschau», in den Zeitungen, auf Instagram, ja auch auf dem Teenie-Medium Tiktok: Der Papst ist überall dieser Tage. Wohin der Blick auch fällt, wir sehen den Sarg mit dem aufgebahrten Franziskus, trauernde Gläubige, die Kardinäle in ihren purpurnen Roben.
Auf Netflix und Co. sind die Streaming-Zahlen von Papst-Filmen um fast 300 Prozent gestiegen. Und die eigentliche «Show» kommt erst noch: Am Samstag wird der Leichnam des verstorbenen Papstes beigesetzt. Das Medieninteresse ist riesig. SRF überträgt die Trauerfeier in einer Sondersendung live.
Dabei steht es – gerade in der Schweiz – nicht zum Besten um die katholische Kirche. Im September 2023 schockten die Resultate einer Studie, die über 1000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufgedeckt hatte. In diesem Jahr traten noch mehr Menschen aus der Kirche aus als in den Jahren zuvor.
Viele sind verärgert und können nicht verstehen, weshalb die Kirche noch immer am Zölibat festhält und Frauen sowie Homosexuelle diskriminiert. Und ohnehin können sie nichts mehr mit den Riten und Kulten der Gottesdienste anfangen. Auf dem Portal kath.ch zieht St.Gallens Bischof Markus Büchel eine vernichtende Bilanz: «Wir als Kirche sind für viele Menschen irrelevant geworden.»
Und nun dieser Hype um den verstorbenen Papst – der weit über den Kreis der Gläubigen hinausreicht. Wie geht das zusammen? Auch wenn der Papst der beste Markenbotschafter der Katholiken ist, wäre es töricht zu glauben, dass die Kirche nun wieder an Relevanz gewinnt, sie sich womöglich wieder rehabilitiert. Denn es geht hier nicht um neu entflammte Frömmigkeit, sondern um ein popkulturelles Phänomen.
Wäre der Katholizismus mit seinen starren Riten und unverrückbaren Kulten nicht schon vor zweitausend Jahren entstanden, man müsste ihn für das hyperschnelle, nach Aufmerksamkeit lechzende Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts geradezu erfinden.
Und erst recht den Papst! Wirkt er auf den ersten Blick in seinem weissen Gewand und mit seinen Insignien noch wie aus der Zeit gefallen, zeigt er sich bei genauerer Betrachtung wie gemacht für TV, Instagram und Co. Er ist unverkennbar, ein Unikum. Aus dieser Einzigartigkeit und Einfachheit speist sich das Wesen eines Popstars. Rasch erfasst und damit schnell in Abertausenden von Bildfolgen im Netz reproduziert.
Man erkennt es sofort, wenn man ein Gotteshaus betritt: Der Protestantismus, der sich ganz auf die Bibel verlässt, ist eine Schriftreligion, der Katholizismus mit seinen üppigen Statuen und Gemälden eine Bildreligion.
Seit der Erfindung der Fotografie verschafft sich das Bild gegenüber der Schrift immer mehr Geltung. Es lässt sich unmittelbar erfassen. Eine unverzichtbare Eigenschaft, wenn sich, so zeigen Studien, die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern im Digitalzeitalter auf ein paar Sekunden beläuft.
Und was sind das für Bilder! Am Ostersonntag, der Auferstehung Christi, fingen die Kameras einen Franziskus ein, der, so schien es schon da, mit letzter Kraft vor den Gläubigen auf dem Petersplatz einen Ostergruss sprach – das Mikrofon konnte er nicht mehr selbst halten.
Am Ostermontag dann die Nachricht, Franziskus sei zum heiligen Vater zurückgekehrt. Dann die purpurroten Roben der Kardinäle, die um ihn trauern. Später der Sarg mit dem aufgebahrten Pontifex. Wie würde das wirken, wenn die Kardinäle graue Anzüge trügen und das Gotteshaus ein nüchterner Raum wäre? Gar nicht. Und das Spannendste kommt ja erst noch: das Konklave. Schwarzer Rauch? Weisser Rauch? Habemus papam!
Und dann gibt es einen neuen (mit grosser Sicherheit) alten weissen Mann, der zum Popstar wird. So ist es seit fast zweitausend Jahren. Und von Mal zu Mal wird die Aufmerksamkeit, die ihm bei der Ernennung und später beim Tod zuteil wird, grösser, obwohl die Macht des Papstes und die Relevanz des Katholizismus hierzulande stetig abnimmt. Der Grund: Die Macht und die Omnipräsenz der (sozialen) Medien nimmt stetig zu.
Friedrich Nietzsche, einer der grössten Kritiker des Christentums, schrieb in seinem «Zarathustra» von einem Papst ausser Diensten, den es ja nun nicht mehr brauche, weil es keine Gläubigen mehr gebe. Er hatte doppelt unrecht: Noch immer gibt es 1,4 Milliarden gläubige Katholiken. Und auch der Rest der Welt, das zeigt sich insbesondere an diesem Wochenende, braucht den Papst. (aargauerzeitung.ch)