Musste das wirklich sein? Diese Frage stellen sich viele Leute rund um den Globus, besonders aber in den USA und in der Asien-Pazifik-Region. Denn eigentlich hat die Welt gerade genug Probleme: den Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Verwerfungen mit hoher Inflation, eine drohende Energie- und Hungerkrise, eine unbewältigte Pandemie.
Nun kommt eine handfeste Konfrontation zwischen China und den USA hinzu. Selbst ein Krieg wird nicht ausgeschlossen. Und das alles, weil die 82-jährige Nancy Pelosi unbedingt Taiwan besuchen wollte. Als Vorsitzende des Repräsentantenhauses ist sie die Nummer 3 in der US-Polithierarchie. Ihre Reise auf die Insel hat grosse Signalwirkung.
Die Reaktionen aus Peking waren entsprechend heftig, denn China betrachtet Taiwan, das nur von wenigen Ländern diplomatisch anerkannt wird, als Teil seines Staatsgebiets. Bereits kam es zu militärischen Provokationen im Luftraum und auf See. Die chinesische Volksbefreiungsarmee kündigte «weitreichende Schiessübungen» bis Sonntag an.
Nancy Pelosi aber gab sich ungerührt. In einem Gastbeitrag in der «Washington Post» bezeichnete sie die Reise nach Taiwan als Signal an Autokratien, dass «die Freiheiten Taiwans – und aller Demokratien – respektiert werden müssen». Die Abgeordnete aus Kalifornien ist seit Jahrzehnten eine Gegnerin der chinesischen Kommunisten.
Die Brisanz ihres Trips aber war ihr durchaus bewusst. Bis zur letzten Minute und ihrer Landung in Taipeh machte sie ein Geheimnis daraus. Überhaupt kein Geheimnis ist in Washington, dass Präsident Joe Biden über den «Sololauf» seiner Parteikollegin nicht glücklich ist. Er kommt zu einem Zeitpunkt, in dem es für ihn endlich etwas besser läuft.
Nun muss er sich mit einer weiteren, potenziell gravierenden Krise herumschlagen. Im Vorfeld leistete sich Biden einen seiner berüchtigten Versprecher, als er erklärte, «das Militär» sei gegen Pelosis Visite. Das ist verständlich, es hat keine Lust auf einen Showdown mit China. Doch Bidens Lapsus machte einen Rückzieher für Nancy Pelosi fast unmöglich.
Der Präsident hätte ihr «privat, persönlich und eindringlich» vom Besuch abraten sollen, kritisierte die «Washington Post» in einem redaktionellen Kommentar. Mit der «unklugen» Reise von «Madam Speaker» ging die Zeitung hart ins Gericht: Man anerkenne ihre Motivation, nicht jedoch ihr Beharren in einer Zeit, in der «die geopolitische Lage unruhig genug ist».
«Sie hätte nicht gehen sollen», meinte auch Max Baucus, ein früherer Senator und US-Botschafter in Peking, auf CNN. Das Ziel der US-Aussenpolitik sei es, Spannungen mit China zu reduzieren, nicht zu erhöhen. Aussenpolitisch habe es keinen Grund für Pelosis Besuch gegeben, sagte Baucus: «Die Taiwaner wissen, dass wir sie unterstützen.»
Was also hat Nancy Pelosi motiviert? Die Italoamerikanerin ist bekannt für ihre Sturheit. Im November wird sie in ihrem Wahlkreis in San Francisco erneut antreten, doch ihre politische Karriere neigt sich dem Ende zu. Viele glauben, sie suche nochmals den grossen Auftritt, denn nach den Midterm-Wahlen könnte der Speaker-Posten an die Republikaner gehen.
Das Risiko eines Clashs mit China nimmt sie offenbar in Kauf. Das erinnert an die Krise von 1995/96, als schon einmal ein umstrittener Besuch eine vehemente Reaktion der Volksrepublik auslöste. Damals war der taiwanesische Präsident Lee Teng-hui in die USA gereist, zwar nur privat, aber China feuerte in der Folge monatelang Raketen Richtung Taiwan ab.
Erst als Präsident Bill Clinton zwei Flugzeugträger in die Region entsandte, endeten die Provokationen. Damals war die chinesische Armee längst nicht so stark wie heute, und die Regierung agierte zurückhaltender als der heutige Präsident Xi Jinping. Er hat wiederholt seinen Willen bekräftigt, die «abtrünnige» Insel «heim ins Reich» zu holen.
Führende US-Militärs halten einen Angriff auf Taiwan für unvermeidlich. Bislang gingen sie davon aus, dass China dazu erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in der Lage sein wird, denn eine Invasion der gebirgigen Insel ist kein Kinderspiel. Taiwan ist vorbereitet, im Gegensatz zur Ukraine, wo viele bis zuletzt glaubten, Wladimir Putin bluffe nur.
Nun fragt man sich in der Asien-Pazifik-Region, ob und wie China auf Nancy Pelosis Reise militärisch reagieren wird. Der Taiwan-Besuch drohe, die Bemühungen der USA um eine Allianz gegen China zu untergraben, warnte die «New York Times». Die Voraussetzungen wären günstig, denn Peking hat in der Region viel Geschirr zerschlagen.
Selbst langjährige Verbündete wie Japan und Südkorea ärgern sich jedoch über den Wirbel, den Pelosis Taiwan-Visite verursacht. Auch in Australien, das letztes Jahr mit den USA und Grossbritannien das Verteidigungsbündnis AUKUS gegründet und seit zwei Jahren ein angespanntes Verhältnis zu China hat, hält sich das Verständnis in Grenzen.
Ein ehemaliger Sicherheitsberater der Regierung bezeichnete es gegenüber der «New York Times» als unbegreiflich, dass Präsident Biden Nancy Pelosi nicht zu einer Absage bewegen konnte. Jetzt habe man «eine unnötige Krise», sie sei «ein Eigentor» für die Amerikaner. Auch deshalb kann man sich fragen: Musste das wirklich sein?
Nein, die Welt hätte sich auch sonst weitergedreht.
Andererseits kann man auch fragen, wie stark wir uns von Autokratien unser Handeln vorschreiben lassen wollen. Parlamentarierreisen sind nun wirklich nichts gefährliches. Und das Argument "es gibt aktuell schon genug Probleme" lädt ja Despoten gerade zu ein, im Schatten des Ukrainekriegs ihr Unwesen zu treiben.
Nur zu gerne hätte es China das man in Taiwan wie in der Ukraine einmarschieren kann, ohne ein direktes Eingreifen der USA.
Das Säbelrasseln von China darf uns nicht Angst machen.