Mitten in Las Vegas erreicht Metin Hakverdi die Erlösung aus Washington. Die Push-Nachrichten prasseln nur so ein auf dem Smartphone des SPD-Bundestagsabgeordneten der SPD. «Das Repräsentantenhaus stimmt der Unterstützung der Ukraine, Israels und Taiwans in Höhe von 95 Milliarden US-Dollar nachdrücklich zu, nachdem Sprecher Mike Johnson parteiübergreifende Unterstützung mobilisiert hatte», lautet die Eilmeldung der «New York Times». Endlich ist es geschafft. Nach Monaten der Blockade durch Trumps Republikaner geben die US-Abgeordneten die Hilfspakete frei. 61 Milliarden Dollar gehen an die Ukraine.
Metin Hakverdi, 54 Jahre, geboren in Hamburg, bereist in diesen entscheidenden Tagen die sogenannten Swing States. In den zwischen Republikanern und Demokraten besonders umkämpften und darum für die Präsidentschaftswahlen entscheidenden Bundesstaaten will sich der SPD-Politiker aus Hamburg-Bergedorf, dem ehemaligen Wahlkreis von Helmut Schmidt, schon jetzt ein Bild vom möglichen Ausgang im Herbst machen. Dazu war Hakverdi unter anderem in Arizona. Als die Ukraine-News aus Washington kommen, traf er sich gerade mit den Betriebsräten der im Bundesstaat Nevada einflussreichen und 60'000 Mitglieder starken Gewerkschaft «Culinary Worker Union». Sie unterstützen die Wiederwahl Joe Bidens.
Doch wie ein Schatten lag eine schicksalshafte aussenpolitische Entscheidung auf dieser innenpolitischen Reise des ausgewiesenen Transatlantikers. Können die USA die Ukraine weiterhin substanziell unterstützen? Oder steht Europa trotz aller Bemühungen alleine da im Abwehrkampf gegen Wladimir Putin? Vor wenigen Tagen traf sich Hakverdi darum noch in Washington mit dem amerikanischen Abgeordneten Jason Crow. Der Demokrat aus dem Bundesstaat Colorado versuchte, dem Deutschen die Sorgen zu nehmen. «Ich bin optimistisch», sagte Crow in seinem Kongressbüro zu Hakverdi.
Dass es nach all den monatelangen, vergeblichen Anläufen aber wirklich klappen sollte, darauf konnte sich der SPDler bis zum Schluss nicht verlassen. Bis zuletzt wollte sich der Sozialdemokrat mit allzu positiven Einschätzungen der Lage hier im Land zurückhalten.
Umso so erleichterter ist er jetzt und mit ihm wohl die deutsche Bundesregierung, der gesamte Westen, die erweiterte Ukraine-Allianz und eine übergrosse Mehrheit der internationalen Gemeinschaft. 311 Abgeordnete von Demokraten und Republikanern stimmten für das Ukraine-Paket. 112 lehnten die Hilfe ab.
«Diese Entscheidung des US-Kongresses, die Ukraine zu unterstützen, ist ein bitteres Signal für Wladimir Putin», sagt Hakverdi. Denn sie zeige, dass die USA, wenn es darauf ankomme, zur Stelle seien. Für den Krieg sei nun entscheidend: «Russland muss jetzt mit der doppelten Schlagkraft rechnen. Erstens mit einer massiv gestiegen europäischen Unterstützung und dem weiteren gross angelegten Engagement der USA», so Hakverdi.
Der SPD-Mann hofft, dass dieses aussenpolitische Signal so gewaltige Folgen nach sich zieht, dass der Kriegsverlauf womöglich schliesslich sogar eine entscheidende Wendung gegen Russland nehmen kann. Ein Putin, der sich gezwungen sieht, an den Verhandlungstisch zu kommen – das war in den vergangenen Monaten ein Szenario, das nicht einmal mehr denkbar erschien. Das bleibt auch nach der Kongress-Entscheidung für die Ukraine eine bescheidene Hoffnung.
Aber für Metin Hakverdi kommt noch etwas anderes hinzu: «Putins Hoffnung auf einen starken Donald Trump könnten sich mit dieser Entscheidung aus Washington als falsch erweisen», sagt er. Für den ehemaligen US-Präsidenten sei dieser überparteiliche Kompromiss für die Ukraine eine herbe innerparteiliche Niederlage. Und das wiederum könnte bedeuten: Gute Nachrichten für die Wahlen im Herbst, für die Ukraine, für Deutschland und die weiteren Verbündeten.
Wie es dazu gekommen ist, dass ausgerechnet der Trump treu ergebene Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, den Weg für die Ukraine-Hilfen freigemacht hat, ist zwar nicht offiziell bekannt. Doch der innerparteiliche und weltweite Druck auf den Republikaner dürfte so gross geworden sein, dass er keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat, sein Amt und seinen Ruf zu retten. Dafür nimmt er nun sogar in Kauf, dass ihn die Demokraten bei einer drohenden Abwahl durch die wütenden Trump-Republikaner in der eigenen Fraktion stützen werden. Für die letzten Monate dieses Wahljahres wäre er de facto der Sprecher einer überparteilichen Koalition aus ihm geneigten Demokraten und ihm geneigten Republikanern.
Es gibt noch eine weitere Geschichte, die sich in Washington erzählt wird, weshalb der erzkonservative, evangelikale Mike Johnson sich in der Ukraine-Frage endlich bewegt hat. Sie stammt von Roman Sheremeta, einem amerikanisch-ukrainischen Wirtschaftsprofessor, der unter anderem auch für die Nicht-Regierungsorganisation «Ukrainian American House» arbeitet. Er berichtet, dass noch vor einigen Tagen eine grössere Gruppe von ukrainischen Vertretern in Washington auftauchte und auch Mike Johnson traf. Ihr Ziel: Eine ähnlich erfolgreiche Lobbyarbeit in der US-Hauptstadt zu errichten, wie es Israel seit vielen Jahren geschafft habe.
Unter der Delegation der Ukrainer war demzufolge auch ein Mann mit dem Namen Serhii Gaidarzhi. Dessen Frau und erst vier Monate alter Sohn Tymofii kamen laut Human Rights Watch bei einem russischen Angriff auf Odessa am 2. März dieses Jahres ums Leben. Wie Mike Johnson ist auch Serhii Gaidarzhi ein evangelikaler Christ. Es bleibt eine Vermutung: Aber diese persönliche Begegnung mit einem christlichen Glaubensbruder könnte Mike Johnson Gedankenprozess zumindest mitbeeinflusst haben.
What made Speaker Mike Johnson change his mind about Ukraine?
— Roman Sheremeta 🇺🇦 (@rshereme) April 19, 2024
Mike Johnson has been stalling Ukrainian aid for months, each time giving a different excuse. But yesterday, he came with a very clear message, condemning russia and expressing his support of Ukraine. Why?
1/n pic.twitter.com/vDrTQEGB1X
Die ewig erscheinende Blockade gegen die Unterstützung der Ukraine ist vorerst gebrochen. Dieser Durchbruch zeigt, wie schnell sich die politische Dynamik in Washington bei aller Skepsis ändern kann. Für die Ukraine und die Verbündeten war es dieses Mal zum Guten. Doch das politische Pendel kann sich auch jederzeit wieder in die andere Richtung bewegen. Sollte Donald Trump im Herbst gegen Joe Biden gewinnen, würde die Welt mit einem Mal wieder ganz anders aussehen.
Im schlimmsten Fall hätte das Bündnis für die Ukraine noch wenige Monate an Zeit gewonnen. Denn für bestimmte Vorhaben würde ein US-Präsident Donald Trump nicht einmal die Mehrheit des Kongresses benötigen. Dass er im Zweifel ausserdem lieber vor Gericht geht, um dann Entscheidungen und Prozesse zu verzögern, lässt sich in Amerika jeden Tag bei den zahlreichen Verfahren gegen ihn beobachten.
Eine zweite Amtszeit unter ihm würde jedenfalls die Arbeit mit den Bündnispartnern wieder erheblich erschweren. Im Zweifel stünde Europa dann in Bezug auf die Ukraine wirklich allein da. Umso wichtiger erscheint vor diesem Hintergrund das immer weiter gesteigerte militärische und finanzielle Engagement in diesem Krieg gegen Putin. Das europäische Aufatmen wegen des Durchbruchs in Washington ist überall spürbar. Ausruhen kann man sich darauf aber nicht.
Fünf Flugstunden von Washington entfernt, sagt Metin Hakverdi von der SPD zu solcher Schwarzmalerei: «Wir dürfen jetzt und werden auch nicht nachlassen. Im Gegenteil, mit dieser Entscheidung im US-Kongress, sind die Voraussetzungen für die deutsche und europäische Unterstützung der Ukraine deutlich besser geworden.» Je stärker der Rückhalt aus den USA, desto leichter kann auch die deutsche Bundesregierung ihre Unterstützung aufrechterhalten. In der SPD-Fraktion gilt Hakverdi als einer der ersten Verfechter der von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten Zeitenwende. Dass diese gelingen wird, davon gibt er sich fest überzeugt.
Beim kommenden Jubiläums-Nato-Gipfel in der US-Hauptstadt im Juli dieses Jahres gibt es mit dem Votum aus Washington jedenfalls jetzt schon deutlich mehr zu feiern als erwartet. Als Mitglied wird die Ukraine noch nicht dabei sein. Aber das Land und sein weiterhin gemeinsam garantierter Widerstand dürften im Zentrum der 75-Jahr-Feierlichkeiten stehen.
Verwendete Quellen:
Es braucht nicht mehr viel, und Putin's "Reich des absolut Bösen" zerfällt. Diese amerikanische Militärhilfe gibt ihm hoffentlich einen entscheidenden Stoss!