Der Kronzeuge gegen Joe Biden ist ein russischer Spion
Einmal mehr bietet die Grand Old Party Anlass zu offener Schadenfreude: Der angebliche Kronzeuge im Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden ist als Lügner verhaftet und als mutmasslicher Agent im Dienste des russischen Geheimdienstes enttarnt worden. Aber der Reihe nach:
Seit die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2022 eine hauchdünne Mehrheit im Abgeordnetenhaus errungen haben, verfolgen sie eigentlich bloss ein Ziel: Präsident Joe Biden ein Impeachment-Verfahren anzuhängen. Das ist per se eine sinnlose Angelegenheit, denn eine Verurteilung durch den Senat ist wegen der dortigen Mehrheitsverhältnisse ausgeschlossen. Doch darum geht es auch gar nicht. Es geht einzig darum, die beiden Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump gleichzeitig zu rächen und zu verharmlosen.
Mit Gebrüll haben sich die Republikaner denn auch an diese Aufgabe gemacht und die beiden schlimmsten Lautsprecher an die Front geschickt, Jim Jordan und James Comer. Mit der Unterstützung von Fox News und den anderen konservativen Medien stürzten sich die beiden in die Schlacht und versprachen, die «Biden crime familiy» bald ihrer verschiedenen Verbrechen zu überführen.
Grundlage dieses Feldzugs bildete der «Laptop aus der Hölle», ein Laptop, den Hunter Biden, der Sohn des Präsidenten, einem Computer-Händler zur Reparatur übergeben, aber später nie abgeholt hatte. Der besagte Händler – eine mehr als zwielichtige Figur – verschaffte sich Zugang zu den Daten auf der Harddisk und stiess dabei auf unzählige E-Mails und Fotos mit pornografischem Inhalt.
Dazu muss man wissen: Hunter Biden durchlebte damals eine schwere Krise, war drogensüchtig und hatte eine unappetitliche Scheidung hinter sich. Er ist das schwarze Schaf der Familie, doch das kommt bekanntlich in den besten Familien vor. Zudem hat gerade diese Familie eine schwierige Geschichte. Hunters Mutter und seine Schwester starben schon früh bei einem Verkehrsunfall, sein älterer Bruder an einem Hirntumor.
Das ist tragisch, aber politisch irrelevant. Ein Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden liesse sich nur dann rechtfertigen, wenn dem Präsidenten nachgewiesen werden kann, dass er sich an Geschäften seines Sohnes finanziell beteiligt hat.
Angeboten dazu hat sich der Fall Burisma, eine Erdgasfirma in der Ukraine. Diese hat Hunter Biden in den Verwaltungsrat geholt und ihm dafür 50’000 Dollar monatlich bezahlt. Dass es sich dabei um einen faulen Deal gehandelt hat, ist offensichtlich. Hunter Biden ist kein Energiefachmann und die Ukraine hatte er bis dato höchstens auf der Landkarte gefunden. Einzig sein Name hat ihm dieses lukrative Mandat verschafft, denn sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Vize-Präsident der USA.
Hunter Biden hat diesen Tatbestand denn auch freimütig eingestanden, aber gleichzeitig bestritten, dass sein Vater davon gewusst oder gar finanziell davon profitiert habe. Einzig dies aber wäre moralisch verwerflich und politisch tödlich. Trump und die Republikaner setzten daher alle Hebel in Bewegung, um genau dies zu beweisen.
Zunächst schickten sie Rudy Giuliani in die Ukraine mit dem Auftrag, die entsprechenden Beweise zu beschaffen. Die Mission schien anfänglich Erfolg versprechend. Es tauchte nämlich ein Videoclip auf, in dem Joe Biden damit prahlte, er habe dafür gesorgt, dass der damalige Generalstaatsanwalt der Ukraine gefeuert wurde. Dieser Clip wurde als ultimativer Beweis für das korrupte Vorgehen der Bidens gehypt, denn der gefeuerte Generalstaatsanwalt soll angeblich den Fall Burisma untersucht haben.
Doch es sollte sich bald herausstellen, dass der besagte Typ äusserst korrupt war und Biden im Auftrag seines Präsidenten und der EU gehandelt hatte. Mit seinem Sohn und Burisma hatte dies nichts zu tun; ein Tatbestand, den mehrere Zeugen unabhängig voneinander bestätigten.
Giulianis Mission wurde daher zum Rohrkrepierer. Anstatt der erhofften Beweise für eine Straftat zwischen Vater und Sohn Biden war das Resultat ein Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump. Der damals amtierende Präsident hatte versucht, seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj mit dem berühmt-berüchtigten «perfekten» Telefongespräch unter Druck zu setzen.
Doch die Republikaner gaben nicht auf – und unverhofft schien sich das auszubezahlen. Ein gewisser Alexander Smirnow tauchte auf und erklärte, er habe jede Menge Material, das beweisen würde, dass Burisma Vater und Sohn Biden je fünf Millionen Dollar überwiesen habe, um eine Untersuchung durch die Generalstaatsanwaltschaft zu verhindern.
Der heute 43-jährige israelisch-amerikanische Doppelbürger schien glaubwürdig. Er spricht fliessend Russisch, stammt wahrscheinlich aus der Ukraine und hatte dem FBI in der Vergangenheit regelmässig Tipps gegeben, für die er fürstlich entlöhnt worden war. Mehr ist über Smirnow nicht bekannt.
Die Republikaner und Fox News waren hell begeistert. Sean Hannity erwähnte den «über jeden Zweifel erhabenen Zeugen» mehr als 80-mal in seinen Monologen. Comer und Jordan gaben jedem, der es wissen wollte, kund, dass die Aussagen dieses Kronzeugen das Herzstück im geplanten Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten seien.
Die Begeisterung der Republikaner war verständlich. Zuvor hatten sie bereits mit einem anderen Kronzeugen Schiffbruch erlitten. Dieser hatte versprochen, angebliche Beweise für krumme Geschäfte der Bidens mit China zu liefern, verschwand aber unverhofft von der Bildfläche. Comer musste daraufhin kleinlaut einräumen, dass gegen diesen Mann ein Strafverfahren wegen illegaler Waffengeschäfte mit China im Gang sei.
Jetzt ist auch der zweite Kronzeuge geplatzt. Der Sonderermittler David Weiss – er wurde noch von Trump als Staatsanwalt mit der Betreuung des Falls von Hunter Biden beauftragt – hat ihn vergangene Woche verhaften lassen wegen Verdachts auf Falschaussage. Dazu hat sich herausgestellt, dass Smirnow Kontakte zum russischen Geheimdienst unterhalten hat.
Nach dieser zweiten heftigen Blamage sollte man erwarten, dass die Republikaner und die konservativen Medien tätige Reue üben würden, um so wenigstens einen kleinen Rest an Glaubwürdigkeit zu behalten. Das Gegenteil ist der Fall. Sean Hannity geht mit keinem Wort auf die Verhaftung seines Kronzeugen ein. Jessie Walter, ein Wadenbeisser, der Tucker Carlson vergessen machen soll, versteigt sich gar zur These, dass hinter Smirnows Verhaftung ein teuflisch-raffinierter Plan Bidens stecke. Allerdings: Wie er das mit der angeblichen Alters-Demenz des Präsidenten unter einen Hut bringen will, bleibt sein Geheimnis.
Comer und Jordan hingegen scheinen hektoliterweise Ovomaltine getrunken zu haben. Sie können es zwar nicht besser, aber sie können es sehr lange. Deshalb wollen sie unverdrossen weitermachen und das Impeachment-Verfahren vorantreiben. Der nächste Rückschlag hat nicht lange auf sich warten lassen. James Biden, der Bruder des Präsidenten, der ebenfalls beschuldigt wird, Teil der «crime family» zu sein, hat gestern an einem Hearing ausgesagt: «Joe Biden hat niemals weder direkte noch indirekte finanzielle Beziehungen zu meinen Geschäften gehabt. Niemals.»
Doch Vorsicht: Wir sollten uns nicht in Schadenfreude suhlen. Das Lachen über den erneut oberpeinlichen Flop der Republikaner bleibt im Halse stecken, wenn man sich vor Augen führt, dass dem ehemaligen KGB-Agenten Wladimir Putin beinahe sein grösster Coup gelungen wäre: Wäre Smirnow nicht im letzten Moment enttarnt worden, wäre es dem russischen Geheimdienst diesmal gelungen, die US-Wahlen entscheidend zu manipulieren – und das ist alles andere als lustig.
