Als der damalige Präsident Barack Obama 2012 vor einem Militärschlag gegen Syrien zurückschreckte, war die Empörung bei den rechten Hardlinern riesig. Denn zuvor hatte der syrische Machthaber Baschar Assad mit einem mutmasslichen Chemiewaffeneinsatz eine von Obama gezogene «rote Linie» überschritten. Auch Donald Trump kritisierte seinen Vorgänger deswegen noch im letzten Jahr scharf.
Nun hat Trump selbst gekniffen. Er stoppte am Donnerstag praktisch in letzter Sekunde einen von ihm selbst angeordneten Luftangriff auf militärische Ziele in Iran, berichtete die «New York Times». Die Vorbereitungen seien weit fortgeschritten gewesen. Bis 19 Uhr Ortszeit sei man in Washington überzeugt gewesen, dass der Angriff auf Raketenstellungen und Radaranlagen stattfinden werde.
Dann aber gab Trump das Signal zum Rückzug. Es war das Ende eines hektischen Tages in der US-Hauptstadt. In der Nacht auf Donnerstag hatten die Iraner eine US-Aufklärungsdrohne vom Typ «RQ-4A Global Hawk» abgeschossen. Ein unbemanntes, aber teures Gerät im Wert von rund 130 Millionen Dollar. Trump schrieb auf Twitter, Iran habe «einen sehr grossen Fehler» begangen.
Es folgten Beratungen im Weissen Haus. Aussenminister Mike Pompeo, Sicherheitsberater John Bolton und CIA-Direktorin Gina Haspel sollen laut US-Medien einen Militäreinsatz befürwortet haben, ebenso republikanische Hardliner im Kongress wie die Senatoren Lindsey Graham und Tom Cotton. Die Generäle aus dem Pentagon hingegen hätten zu Vorsicht gemahnt, ebenso die führenden Demokraten im Kongress.
Mit der Absage des Vergeltungsschlags folgte Trump seinen isolationistischen Reflexen. Er hat die unendlich langen Militäreinsätze im Ausland wiederholt kritisiert und versprochen, die US-Truppen nach Hause zurückzuholen. Um den bald 18 Jahre dauernden Afghanistankrieg zu beenden, scheint er sogar einen Deal mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban anzustreben.
«Grosse Nationen wollen keine endlosen Kriege führen», bekräftigte Trump am Dienstag, als er in Florida die Kampagne für seine Wiederwahl offiziell lancierte. Bei einem Treffen mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau am Donnerstag im Weissen Haus spielte er den iranischen Drohnenabschuss herunter: Vermutlich habe irgend ein «dummer Irrläufer» einen Fehler gemacht.
Damit wird Trumps widersprüchliches Verhalten immer offenkundiger. Er rede wie eine Kriegsgurgel und handle wie eine isolationistische Friedenstaube, schreibt die «New York Times». Der ehemalige Obama-Berater Robert Malley, Präsident der International Crisis Group, meinte, Trump befinde sich «in gewisser Weise auf Kollisionskurs mit sich selbst».
Der Präsident richtet sich nach den Rezepten des klassischen US-Isolationismus: Harte Worte und ein hochgerüsteter Militärapparat sollen potenzielle Rivalen davon abhalten, gegen die USA vorzugehen. Wirklich funktioniert hat dieses Konzept in der Geschichte nur selten. Allenfalls lässt sich damit ein kleines und isoliertes Land wie Nordkorea im Zaum halten.
Selbst im Umgang mit Kim Jong Un verhält sich Trump alles andere als konsistent. Erst droht er dem «kleinen Raketenmann» mit «Feuer und Zorn», doch seit dem Gipfeltreffen in Singapur gibt er sich dem Diktator gegenüber handzahm. Daran hat das geplatzte zweite Treffen in Hanoi ebenso wenig geändert wie die jüngsten nordkoreanischen Raketentests.
In Teheran hat man dies genauso zur Kenntnis genommen wie Trumps Syrienpolitik. 2017 und 2018 liess er Marschflugkörper abfeuern, nachdem das Regime vermutlich erneut Chemiewaffen eingesetzt hatte. Insgesamt aber lässt er Baschar Assad und damit seinen Verbündeten Russland und Iran freie Hand. Trump will die verbliebenen Truppen in Syrien möglichst rasch abziehen.
Beim Treffen mit Trudeau liess der Präsident durchblicken, was für ihn eine «rote Linie» darstellt: «In der Drohne war kein Mann oder eine Frau. Das hätte einen grossen, grossen Unterschied ausgemacht.» Mit anderen Worten: So lange keine Amerikaner ums Leben kommen, geschieht nichts. Das dürfte man in Iran zur Kenntnis genommen haben.
Dass er aber aus welchen Gründen auch immer vor einer militärischen Eskalation zurückschreckt ist positiv und kann so auch einmal erwähnt werden. Ob er das nun aus Wahl taktischen Gründen tut ist auch sekundär, Hauptsache er bleibt dabei und äussert sich mit starken Worten, lässt aber das Militär zu Hause.