Seit drei Wochen herrscht Krieg in der Ukraine. Und damit viel länger, als sich Wladimir Putin und seine Entourage vorgestellt hatten. In ihren Hirngespinsten hätte die russische Armee in wenigen Tagen Kiew überrollt und die ukrainische «Nazi-Regierung» gestürzt. Von der Bevölkerung wäre sie als Befreier mit Jubel und Blumen empfangen worden.
Stattdessen gab es Beschimpfungen und Molotow-Cocktails.
Die ukrainische Armee leistet erbitterten Widerstand. Obwohl zahlenmässig unterlegen, agiert sie taktisch geschickt. Damit habe sie den Russen «schwere Verluste» zugefügt, vermeldete das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Laut dem ukrainischen Generalstab sind bis zu 40 Prozent der russischen Einheiten ausgeschaltet worden.
Selbst den ukrainischen Luftraum konnten die Russen bislang nicht unter Kontrolle bringen. Schon vier russische Generäle sollen getötet worden sein. Zwar nähert sich die Armee der Hauptstadt Kiew und versucht, sie auch von Osten zu blockieren. Von einem Blitzkrieg aber ist keine Rede mehr. Vielmehr entwickelt sich zunehmend ein hässlicher Stellungskrieg.
Für Putin wird es schwierig, sein Narrativ einer «militärischen Spezialoperation» aufrecht zu erhalten (wer den Begriff «Krieg» verwendet, dem drohen in Russland bis 15 Jahre Gefängnis). Die PR-Schlacht gegen Wolodymyr Selenskyj hat der Kreml-Herrscher längst verloren. Deshalb stellt sich die Frage, welche Strategie Putin ergreifen will.
Die naheliegende «Lösung», die man Putin sofort zutraut, ist die Ausweitung der Kämpfe. Die Beschiessung von Städten und Infrastruktur wird verstärkt. Russland hat begonnen, Soldaten aus der Pazifikregion und aus Armenien in die Ukraine zu verlegen. Ausserdem will Moskau ausländische Söldner rekrutieren, vor allem aus Syrien.
Experten halten auch verstärkte Angriffe im Westen für möglich, um den Nachschub an Menschen und Material für die ukrainischen Streitkräfte zu unterbinden. Damit solle die Regierung in Kiew in die Knie gezwungen werden. Der frühere britische General Richard Barrons sagte dem Portal iNews, er würde «im Moment auf mehr Gewalt wetten».
Gegen eine Eskalation spricht der Zustand der russischen Armee. Sie soll fast 14’000 Mann verloren haben. Diese Zahl mag übertrieben sein, doch es gibt Berichte, wonach Spitäler und Leichenhallen im benachbarten Belarus überfüllt seien mit verwundeten und gefallenen russischen Soldaten. Offenbar versucht der Kreml, die Verluste zu verschleiern.
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko scheint keine Lust zu haben, sich mit eigenen Soldaten in den Krieg einzuschalten, obwohl sein politisches Überleben auf Gedeih und Verderben von Moskau abhängig ist. Die Kampfmoral der russischen Soldaten soll auf einem Tiefpunkt sein. Fragen stellen sich auch beim Material.
Verfügt Russland über genügend Ressourcen, um den Krieg zu intensivieren? Die von der US-Regierung enthüllte Bitte um chinesische Militärhilfe deutet auf Probleme hin. Die Ukrainer hingegen können mit weiteren Waffenlieferungen des Westens rechnen. Ihrer «internationalen Legion» sollen sich schon 20’000 Freiwillige angeschlossen haben.
Als Alternative zur Eskalation könnten die Russen auf einen gesichtswahrenden Rückzug setzen. Indizien sind vorhanden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich in der Nacht auf Mittwoch vorsichtig optimistisch zu den Gesprächen mit Russland über einen Waffenstillstand geäussert. Die russischen Positionen hörten sich «realistischer» an.
Russische wie ukrainische Politiker hatten am Montag von konstruktiven Gesprächen berichtet und konkrete Ergebnisse «in wenigen Tagen» in Aussicht gestellt. Selenskyj dämpfte in seiner Videobotschaft die Erwartungen: «Es muss noch gekämpft und gearbeitet werden.» Die Gespräche zwischen den beiden Ländern würden aber fortgesetzt.
Map of the approximate situation in Ukraine as of 00:00 UTC 16/03/22. #UkraineCrisis #UkraineUnderAttack #Breaking #Kyiv #Kharkiv #Odesa #UkraineRussiaWar pic.twitter.com/B6hifBqeKM
— Ukraine War Map (@War_Mapper) March 16, 2022
Eine Garantie für Wladimir Putins «Friedenswillen» ist dies nicht. Ein Blick auf die Karte aber gibt Hinweise, wie er den Krieg beenden könnte. Ein grosser Teil der Kämpfe konzentriert sich auf die Schwarzmeerküste. Das gibt der These Auftrieb, wonach die Russen eine «Landbrücke» zwischen der annektierten Krim und den «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk anstreben.
In der eroberten Stadt Cherson wollen die Russen offenbar eine weitere «Volksrepublik» mit einem manipulierten Referendum und einem Marionettenregime ausrufen. Die Bevölkerung allerdings leistet Widerstand. Ausserdem wird um keine Stadt so heftig gekämpft wie um Mariupol. Die Hafenstadt wäre zentral für eine «Landbrücke».
Putin müsste sich jedoch fragen, wie stabil ein solches Gebilde wäre und ob es einen Krieg wert war. Und den wirtschaftlichen Schaden durch die Sanktionen. Für die Ukraine wäre dieses Szenario bitter. Mit der vom Kreml am Mittwoch vorgeschlagenen Neutralität nach dem Vorbild von Österreich oder Schweden hingegen könnte sie wohl leben.
Ein Kompromiss würde von beiden Seiten Zugeständnisse verlangen. Ist die Zeit dafür reif? In den letzten Tagen zeigten sich Experten zuversichtlich, dass die Ukraine den Krieg mit zunehmender Dauer gewinnen könnte. Möglich ist es, aber die Zivilbevölkerung würde massiv darunter leiden. Auch deshalb könnte es schon bald zu einem Waffenstillstand kommen.
Berichten zu Folge haben sich Weissrussische Militärs geweigert in die Ukraine zu marschieren. Und ohne Militärs kann sich Lukaschenko nicht halten.
Wenn die Ukraine heute nachgibt, dann wird das Problem nur auf den Sommer verschoben, siehe die 2 Minsker Abkommen.