Überraschend war es nicht, dass Donald Trump rund 70 Tage vor seinem Amtsende seinen Verteidigungsminister Mark Esper entlassen hat, auch nicht, dass er es per Twitter getan hat. Trotzdem rätselt nun ganz Washington über seine Motive: War es bloss kindische Rache, oder steckt mehr dahinter?
Esper wusste längst, dass seine Tage im Pentagon gezählt sind. Er wurde ins Amt gehievt, weil sein charismatischer Vorgänger, Jim Mattis, nach dem Verrat an den Kurden die Nahost-Politik des Präsidenten nicht mehr mittragen wollte. Esper galt daher als fähiger Technokrat, aber auch als loyaler Trump-Mann. Der Präsident gab ihm gar – in Anlehnung an Yesman (englisch für «Jasager») – den Übernamen «Yesper».
Doch selbst dieser «Yesper» hat offenbar Reste eines Rückgrats in seinem Körper. Im Sommer hatte Trump für seinen unsäglichen Bibel-Auftritt den Lafayette-Park in Washington von Ordnungskräften mit Tränengas und Knüppel räumen lassen. Einer, der auf dem Gang zur Kirche mitmarschieren musste, war Esper. Das war zu viel für den Verteidigungsminister: Er distanzierte sich nachträglich davon und stellte klar, dass künftig keine Soldaten mehr gegen Demonstranten eingesetzt werden dürfen.
Damit hatte Esper de facto sein Entlassungsschreiben unterschrieben. Er dürfte bald Begleitung erhalten. Auch FBI-Chef Christopher Wray steht auf Trumps Abschussliste, genauso wie CIA-Chefin Gina Haspel. Damit wäre auf einen Schlag die oberste Führungsetage der nationalen Sicherheit enthauptet. Was steckt dahinter?
Die naheliegende Erklärung ist simpel: Rache. Der Kind-Mann Trump will es allen, von denen er glaubt, sie hätten ihn verraten, heimzahlen. «Das ist nicht nur kindisch, es ist leichtsinnig», sagt Adam Smith, demokratischer Abgeordneter und Vorsitzender des House Armed Services Committee.
Kopfschütteln erregt auch die Wahl von Espers Nachfolger, Chris Miller. Der ehemalige Green Beret – eine Elitetruppe der US Army – muss als provisorischer Verteidigungsminister die Amtsgeschäfte führen. Er ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Niemand hat mit ihm gerechnet.
Soll Miller nun als Werkzeug in Trumps Rachefeldzug missbraucht werden? «Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums geben in privaten Gesprächen ihrer Befürchtung Ausdruck, dass der Präsident in seinen letzten Tagen Vergeltungsschläge – ob öffentlich oder geheim – gegen den Iran plant, oder gegen andere Feinde», schreibt die «New York Times».
Vielleicht will Trump jedoch mehr als nur Rache. Er wolle die Voraussetzungen für einen Staatsstreich schaffen, befürchtet Ezra Klein, Chefredaktor des Newsportals Vox. Klein ist nicht irgendwer, er gehört zu den angesehensten Politjournalisten in den USA.
«Trump plant einen Coup bei hellem Tageslicht», stellt Klein fest. Er wolle ganz bewusst ein Chaos herbeiführen, um dann das Wahlergebnis auf den Kopf zu stellen. Nicht zufällig habe der Präsident am vergangenen Samstag in Grossbuchstaben getwittert: «ICH HABE DIESE WAHLEN MIT GROSSEM VORSPRUNG GEWONNEN».
Klein vermutet, dass Trump damit rechnet, dass einer der drei von ihm ernannten Bundesrichter ihm zu Hilfe eilen und seinen Vorwurf von Wahlfälschung bestätigen werde. Am ehesten komme dafür Amy Coney Barrett, seine jüngste Ernennung, in Frage. Der Plan sieht dann vor, dass die Wahlmänner in den Swingstates nicht gemäss der abgegebenen Stimmen ausgewählt werden, sondern von einem republikanisch dominierten Parlament.
Warum machen die Republikaner dieses Schmierentheater mit? Ausser den üblichen Verdächtigen – Mitt Romney, Susan Collins und Lisa Murkowski – stehen die führenden Mitglieder der GOP nach wie vor hinter Trump. Der korrupte Justizminister William Barr hat gar grünes Licht für die Untersuchung von Vorwürfen wegen angeblichen Wahlbetrugs erteilt.
Vor allem Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, stellt sich demonstrativ hinter Trump. Er sei zu «100 Prozent im Recht» mit dem, was er tue, erklärte er. McConnell wird sich dabei nicht von moralischen, sondern einzig von wahltaktischen Überlegungen leiten lassen. Im Bundesstaat Georgia sind noch zwei Senatssitze offen.
Gehen diese Sitze der GOP verloren, verliert sie die Mehrheit und McConnell sein sehr mächtiges Amt. Deshalb will er auf keinen Fall die republikanische Parteibasis verärgern, denn er weiss, dass diese nach wie vor wie ein Fels hinter Trump steht.
Ob diese zynische Rechnung aufgehen wird, ist allerdings fraglich. Für Trumps Vorwurf der Wahlmanipulation gibt es keinerlei Beweise. Vor Gericht wurden daher bisher alle Klagen abgeschmettert.
Mehrere angesehene Anwälte des Trump-Teams überlegen sich gar, ob es mit ihrem Ruf noch vereinbar sei, diese Klagen überhaupt zu vertreten. Denn es fehlen nicht nur Beweise, es fehlt auch eine nachvollziehbare Logik. Weshalb hätten die Demokraten die Präsidentschaftswahlen fälschen sollen, es aber gleichzeitig zulassen sollen, dass sie Sitze im Abgeordnetenhaus verlieren und die Mehrheit im Senat nicht erringen? Der Widerspruch ist so schreiend, dass selbst Trumps Haussender, Fox News, auf Distanz geht.
An Trumps teuflischen Absichten indes zweifelt niemand, und niemand rechnet damit, dass er in Würde zurücktreten wird. Zum Glück agieren er und sein Team jedoch inkompetent, um es milde auszudrücken. Das jüngste Beispiel hat Rudy Giuliani – wer denn sonst – geliefert:
Trumps Anwalt hat übers Wochenende zu einer Pressekonferenz in Philadelphia gerufen, und zwar ins «Four Seasons». Alle Journalisten gingen davon aus, dass es sich selbstredend um die sehr noble Hotelkette handelt. Doch irgendjemand in Giulianis Team muss etwas verwechselt haben. Die angegebene Adresse galt für «Four Seasons landscaping». Dabei handelt es sich um eine heruntergekommene Baufirma in einer schäbigen Gegend.
So kam es, dass sich mehrere Dutzend verdutzte Journalisten plötzlich auf einem Parkplatz versammelt sahen, wo Giuliani – eingeklemmt zwischen einem Sexshop und einem Krematorium – seine merkwürdige Show abzog. Amerikas Comedians werden noch Tage von diesem Auftritt zehren.
Wenn Trump tatsächlich militärisch gegen die Bevölkerung los geht weil er die Wahl verloren hat, dann wird es Zeit ihn endlich für Unzurechnungsfähig zu erklären.
Und Köppel & co feiern den Mann noch