Trump will den Kulturkampf
Zusammen mit dem «Ende der Geschichte» von Francis Fukuyama ist der «Kampf der Kulturen» von Samuel Huntington das wohl einflussreichste geopolitische Buch der letzten Jahrzehnte.
Fukuyamas These ist inzwischen obsolet geworden, Huntingtons «Clash of Civilizations» hingegen ist nach wie vor brandaktuell. Sie besagt, dass die epische Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus, der die Ära des Kalten Krieges prägte, ersetzt wird durch einen Kampf der verschiedenen, von Religionen geprägten Kulturen; was den Westen betrifft, das Aufeinanderprallen von Christentum und Islam.
Seit die islamistische Terrororganisation IS in Syrien und dem Irak besiegt ist und nicht mehr regelmässig mit Terroranschlägen für Angst und Schrecken bei uns sorgt, ist dieser Kulturkampf zwar vorübergehend in den Hintergrund geraten. Jetzt hat Donald Trump jedoch mit der Veröffentlichung seiner nationalen Verteidigungsstrategie wieder ein ganzes Ölfass ins Feuer dieses Kulturkampfs gekippt.
Schliesslich wird darin nicht weniger als der Untergang von Europa in Aussicht gestellt. Oder wie es im 33-seitigen Grundsatzpapier geschrieben steht: «Sollte sich der aktuelle Trend fortsetzen, wird der (europäische) Kontinent in 20 Jahren, oder gar früher, nicht mehr zu erkennen sein.»
Als Grund für diesen Niedergang wird der mittlerweile notorisch bekannte «Grosse Austausch» angeführt, die in rechtsextremen Kreisen weit verbreitete These, wonach das christliche Abendland von Muslimen überrannt und zerstört wird.
Dass Trump gelegentlich Ausflüge in den Rassismus macht, ist hinlänglich bekannt. So bezeichnet er Entwicklungsländer gerne mal als «shithole countries» und lästert in übelster Art und Weise gegen Haitianer und Somalier. Seine Bewunderung für den Islam ist ebenfalls überschaubar, es sei denn, dieser tritt in Form von Ölscheichs aus dem Persischen Golf auf. Den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, einen Muslim, bezeichnet er hingegen als «schrecklich, bösartig und widerwärtig» und sieht in ihm einen Vorboten des «Grossen Austauschs».
Höchstwahrscheinlich hat der US-Präsident das Strategie-Papier jedoch nicht einmal gelesen, geschweige denn verfasst. Mehr als drei Aufzählungspunkte auf einer Power-Point-Präsentation schafft er bekanntlich nicht – und Strategien interessieren ihn nicht. Federführend dürfte vielmehr J. D. Vance, möglicherweise unterstützt von Tucker Carlson, gewesen sein.
Beide haben inzwischen ins Lager der christlichen Fundamentalisten gewechselt, der Vize-Präsident zu einer streng katholischen, der ehemalige Fox-News-Moderator zu einer evangelikalen Variante. Wie immer sie auch zu Gott gefunden haben, sie wollen das Gleiche, einen christlich-nationalistischen Gottesstaat.
Eine Zwischenetappe auf dem Weg dorthin haben sie bereits erreicht. Im Magazin «Foreign Affairs» zeigen die Politologen Steven Levitsky, Lucan Way und Daniel Ziblatt auf, dass die USA mittlerweile den Zustand eines «kompetitiven autoritären Regimes» erreicht haben. Das heisst nicht, dass Demokratie und Rechtsstaat bereits ausgeschaltet sind, aber sie sind arg angeschlagen.
Die drei Politologen vergleichen ihr Land mit der Türkei, Ungarn und Indien. «Die USA befinden sich unter Trump 2025 nicht nur auf einem ähnlichen Pfad», stellen sie fest. «Ihre Hinwendung zum Autoritarismus erfolgte schneller und gründlicher als die der erwähnten Länder innerhalb von fünf Jahren.»
In einer Zeit der allgemeinen Verunsicherung gewinnt die Vorstellung eines christlich-nationalistischen Staates an Attraktivität. Die künstliche Intelligenz und die unsichere Weltlage fördern bei den Menschen den Wunsch, «die Kontrolle über das Land wiederzugewinnen», wie der Werbespot für den Brexit es einst auf den Punkt brachte. Eine streng hierarchische Gesellschaft unter christlicher Führung scheint vordergründig eine Lösung zu sein.
Auch Wladimir Putin weiss diese Verunsicherung zu nutzen. Er präsentiert Russland als den Ort, wo christliche Werte noch gelten und nicht durch Homo-Ehen und Transgender-Geschwätz beschmutzt werden. Moskau wird deshalb öfters als das «dritte Rom» bezeichnet, als Festung gegen die ungläubigen Barbaren. Dass in Russland eine grosse Minderheit, ja dereinst gar eine Mehrheit von Muslimen lebt, wird dabei unter den Teppich gewischt.
Ein vermeintlich weisses, christliches Russland, frei von LGBTQIA+ und DEI, ist, auch wenn es eine Lüge ist, eine grosse Versuchung für die christlichen Nationalisten wie Vance und Tucker. Deshalb sind sie auch bereit, die Ukraine unter den Bus zuwerfen. Trump gefällt derweil die absolute Macht, die Putin geniesst, und wahrscheinlich bietet ihm der russische Präsident auch einen besseren Deal an als Wolodymyr Selenskyj.
Der Kulturkampf ist Ideologie. In der Praxis führt die sich immer weiter öffnende Reichtums-Schere dazu, dass der totgeglaubte Klassenkampf wieder aufflammt. Die USA sind im Begriff, zu einem «digitalen Narco-Staat» zu werden, wie sich Paul Krugman ausdrückt, einem Staat, in dem die superreichen Tech-Oligarchen das Sagen haben.
«Trump verliert sein Gefühl», stellt auch die Kolumnistin Peggy Noonan im «Wall Street Journal» fest. Anders als noch in seiner ersten Amtszeit hält er kaum mehr Rallys mit seiner MAGA-Basis ab. Viel lieber und öfters umgibt es sich mit Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und neuerdings auch Jensen Huang, dem CEO von Nvidia.
Wer im Lotterbett mit den Oligarchen liegt, muss das gemeine Volk ablenken. Wie der Sieg des demokratischen Sozialisten Zohran Mamdani in New York zeigt, lässt sich das derzeit dominierende Polit-Thema, die «Erschwinglichkeit»-Krise, nicht wegleugnen. Da kommt ein neuer Kulturkampf sehr gelegen.
