Vor Kurzem erschien auf Twitter eine Meldung des House Judiciary Committee der Republikaner, bestehend aus bloss drei Wörtern: «Kanye. Elon. Trump.» Geistiger Vater dieses Tweets war höchstwahrscheinlich Jim Jordan, der Schreihals vom Dienst in der Grand Old Party (GOP). Der Inhalt war denn auch leicht zu deuten. Mit dem Star-Rapper, dem reichsten Mann der Welt und dem Ex-Präsidenten wähnten sich die Republikaner im Besitz eines Dreizacks, der sich beim «owning the libs» («die Demokraten im Griff haben») als wahre Wunderwaffe entpuppen sollte.
Der Tweet wurde inzwischen wieder gelöscht, der Dreizack erweist sich nicht nur als stumpfe Waffe, sondern als Peinlichkeit. Kanye, Elon und Trump sind in kurzer Zeit zu einem Trio aus der Hölle mutiert, und die Republikaner wissen nicht, wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommen. Aber der Reihe nach:
Donald Trump hat sehr schlechte Tage hinter sich. Konservative, teils gar von ihm eingesetzte Richter haben gegen ihn entschieden. Ein demokratischer Ausschuss kann endlich seine Steuerunterlagen einsehen. Das FBI darf die in Mar-a-Lago beschlagnahmten Dokumente verwenden und in New York packt der Finanzchef der Trump Group wegen Steuervergehen aus.
Politisch befindet sich der Ex-Präsident ebenfalls im Formtief. Seine Rede zur Ankündigung seiner erneuten Kandidatur für das Amt des Präsidenten hat selbst bei seinen Fans Gähnen ausgelöst. In verschiedenen Umfragen liegt er erstmals hinter Ron DeSantis, dem Gouverneur aus Florida, zurück und seine Kandidaten haben bei den Midterms mehrheitlich schlecht abgeschnitten. Trump wird zunehmend nicht mehr als Winner, sondern als Loser gesehen.
Bekanntlich ist ein angeschlagener Tiger noch weit gefährlicher als ein gesunder. Das gilt auch für narzisstisch gestörte Politiker. Trump wird nicht stilvoll und in Würde von der Bildfläche verschwinden. Er wird, wenn überhaupt, in einem – wie die Amerikaner sagen – «blaze of glory», einem alles verzehrenden Flammenmeer, abtreten.
Trump war nie jemand, der Berührungsängste gegenüber Tabus kannte. Jetzt lässt er auch die letzten fallen. So hat er Kanye West zu sich nach Mar-a-Lago zu einem Essen eingeladen, obwohl dieser gerade per Twitter angekündigt hatte, er habe gegen die Juden die Alarmstufe drei lanciert. Mehr noch, er hat es zugelassen, dass der Rapper einen Kumpel mitbrachte: Nick Fuentes, einen notorisch bekannten Antisemiten, Holocaustleugner und White Supremacist.
Als das Essen dieses Trios bekannt wurde, erklärte Trump in bekannter Manier, er habe nicht gewusst, wer Fuentes sei. Vergesst es. Zu einem Lunch mit einem amerikanischen Ex-Präsidenten kann man nicht einfach so einen Kumpel mitbringen. Der Mann hat nach wie vor mehrere Sicherheitsleute um sich, die ihn abschirmen, und eine einzige Google-Anfrage hätte genügt, um zu wissen, um wen es sich bei Fuentes handelt.
Nein, Trump wollte dieses Treffen, und er wollte es aus einem Grund, den die Historikerin Ruth Ben-Ghiat in der «New York Times» wie folgt zusammenfasst: «Trump verdoppelt den Einsatz, um sein Profil als Kult-Führer zu verstärken. Für jemanden mit seinem Temperament bedeutet eine Kränkung und die Tatsache, dass Menschen sich von ihm abwenden, einzig, dass er noch verzweifelter wird und noch mehr dazu neigt, sich an die extremsten Elemente der Gesellschaft zu wenden. Für ihn gibt es keine andere Wahl.»
Das Treffen mit Kanye ist nicht ganz nach dem Geschmack des Ex-Präsidenten gelaufen. Der Rapper schlug Trump vor, 2024 als sein Vize zu kandidieren, was einen Wutanfall beim Ex-Präsidenten auslöste. Auch Fuentes machte sich nach dem Treffen über Trump lustig und erklärte, er hätte mehr von ihm erwartet.
Davon lässt sich ein Trump nicht entmutigen. Am vergangenen Wochenende beging der Ex-Präsident erneut einen Tabubruch, den möglicherweise schwerwiegendsten seiner Karriere. Via seine Plattform Truth Social forderte er auf, die amerikanische Verfassung ausser Kraft zu setzen und die Wahlen von 2020 zu wiederholen.
Nun kann man sich trefflich darüber streiten, was den Amerikanern heiliger ist, ihre Verfassung oder die Bibel. Tatsache bleibt, dass Trump damit in ein Hornissennest gestochen hat. Via Sprecher Andrew Bates liess das Weisse Haus denn auch umgehend erklären: «Die Verfassung zu attackieren ist ein Anathem (Bannfluch) für die Seele unserer Nation und muss von allen verdammt werden.»
Trump rechtfertigt derweil sein Vorgehen mit den sogenannten Twitter-Files. Elon Musk, der neue Eigentümer der Plattform, hat durch den Starjournalisten Matt Taibbi aufdecken lassen, wie es dazu gekommen ist, dass seinerzeit die Story um Hunter Bidens Laptop von Twitter unterdrückt wurde. In dieser vermeintlichen Zensur sieht Trump den Grund, weshalb er die Wahlen verloren hat, was natürlich Unsinn ist. (Eine Erörterung der ominösen Laptop-Story sparen wir uns. Wer sie noch nicht kennt, kann sie gerne googeln.)
Der Ex-Präsident sieht in den Twitter-Files den ultimativen Beweis für seine Big Lie und fordert daher in Grossbuchstaben: «Ein noch nie da gewesener Betrug fordert eine noch nie da gewesene Kur.»
Als ob Essen mit bekennenden Antisemiten und Aufhebung der Verfassung nicht schon genug wären, unterstützt Trump nun auch offen die Chaoten vom 6. Januar 2021. Obwohl Stewart Rhodes, der Führer der Miliz Oath Keepers, soeben wegen «aufrührerischer Verschwörung» verurteilt wurde und mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren rechnen muss, hält Trump ihm weiterhin die Stange. Er bezeichnet die Kapitolstürmer als Patrioten und verspricht, sie zu begnadigen, sobald er wieder in Amt und Würde sei.
Trump weiss, dass ihn die Rennleitung der GOP lieber heute als morgen loshaben will. Er weiss auch, dass die Unterstützung des Medienimperiums von Rupert Murdoch zu bröckeln beginnt. Das «Wall Street Journal» und die «New York Post» haben sich bereits von ihm abgewendet, bei Fox News weiss man noch nicht so recht, was sie wollen.
Trump weiss aber auch, dass man ihn noch lange nicht abschreiben darf. Ron DeSantis mag sich derzeit in einem Stimmungshoch befinden. Er ist jedoch auch ein Mann ohne einen Hauch von Charisma und ob er sich je national durchsetzen kann, muss er erst noch beweisen.
Trump hingegen hat – aus was für Gründen auch immer – Charisma im Übermass, und er hat die Lektion seines Vorbildes Benito Mussolini begriffen. Diese Lektion fasst Bradford DeLong in seinem herausragenden Buch «Slouching toward Utopia» wie folgt zusammen: «Um an die Macht zu gelangen, musste sich Mussolini als Prophet einer neuen Ideologie präsentieren; eine Doktrin, in der er seine persönlichen Ambitionen verbergen konnte; und er musste seine Gegner entzweien und sie aus dem Gleichgewicht bringen.»
Wie bitte? Ist das irgendwie neu? Man kann nicht irgendwo hin abdriften, wo man schon immer war.
"Dreht er durch – oder ist er so gefährlich wie noch nie?"
Was heisst hier "oder"?