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Bestimmt diese Debatte unsere Zukunft?

FILE - Republican presidential candidate, former President Donald Trump, left, speaks at a campaign rally in Las Vegas, June 9, 2024, and President Joe Biden speaks at White House in Washington, June  ...
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Analyse

Bestimmt diese Debatte unsere Zukunft?

Beim bevorstehenden TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump steht sehr viel auf dem Spiel.
24.06.2024, 15:4324.06.2024, 16:12
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Für einmal ist das weder Clickbaiting noch journalistische Übertreibung: Wenn sich am kommenden Donnerstag Joe Biden und Donald Trump am TV duellieren, dann könnte dies mittelfristig den Lauf der Geschichte beeinflussen. In der «Financial Times» spricht daher US-Korrespondent Edward Luce von der «Mutter aller Präsidentschafts-Debatten», und im «Wall Street Journal» erklärt Kevin Madden, ein ehemaliger Stratege der Grand Old Party (GOP): «Die politische Welt wird anhalten, stillsitzen und ihre Aufmerksamkeit auf diese Debatte konzentrieren.»

Warum ist diese Debatte so bedeutsam? Die Ausgangslage zur Wahl des amerikanischen Präsidenten ist zwar noch unklar, aber eines ist sicher: Es wird sehr eng werden. Und wer im Januar 2025 ins Weisse Haus einziehen wird, ist nicht nur für das Schicksal der USA, sondern auch für den Rest der Welt von entscheidender Bedeutung. Im aktuellen Ringen zwischen dem liberalen Westen und der «neuen Achse des Bösen» – China, Russland, Iran – wäre ein Sieg von Trump verheerend. Die autokratischen Mächte und Rechtspopulisten hätten rund um den Globus Aufschwung, Demokratie und Rechtsstaat wären ernsthaft in Gefahr.

President Joe Biden waves as he boards Air Force One at Dover Air Force Base, Del., Thursday, June 20, 2024. Biden spent a few days at his beach home in Rehoboth Beach, Del., before heading to Camp Da ...
Joe Biden bei seinem Besuch in Frankreich.Bild: keystone

Zurzeit stehen die Chancen für beide bei 50:50. Erstmals seit dem vergangenen Oktober hat Biden zwar bei einer nationalen Umfrage wieder die Nase um einen Prozentpunkt vorn – ausgerechnet bei einer Umfrage von Fox News übrigens, was Trump zu neuerlichen Tiraden gegen seinen Haussender bewogen hat. Doch Umfragen werden frühestens nach dem Labour Day, also zu Beginn des Septembers, wirklich aussagekräftig. Zudem liegt Trump in den alles entscheidenden Swing States nach wie vor ganz leicht in Führung.

Der Ausgang der Debatte könnte damit eine Vorentscheidung darstellen, ein bedeutender Meilenstein im Kampf ums Weisse Haus wird er auf jeden Fall sein. Deshalb hier die Ausgangslage der beiden Streithähne:

Die Trümpfe für Trump

Inflation: Der Benzinpreis und was Eier und Speck im Supermarkt kosten, sind für Johnny Sixpack entscheidende Indikatoren für den Zustand der Wirtschaft. Beide Preise liegen deutlich über der Vor-Corona-Zeit. Deshalb lässt sich in den USA ein paradoxes Phänomen beobachten: Obwohl sich die amerikanische Wirtschaft weitaus besser als alle anderen von der Pandemie erholt hat, obwohl die Börse rekordhoch und die Arbeitslosigkeit rekordtief sind, und obwohl die Löhne stärker steigen als die Teuerung, glaubt die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner nach wie vor, die Wirtschaft befinde sich in einer Rezession. Bisher ist es Biden nicht gelungen, diesen Irrtum aus der Welt zu schaffen. Im Verbund mit den konservativen Medien hämmert Trump täglich den Menschen in die Köpfe, in welch schlechtem Zustand die Wirtschaft angeblich sei.

Migrants seeking asylum rest as they wait to be processed after crossing the border Wednesday, June 5, 2024, in San Diego, Calif. President Joe Biden has unveiled plans to enact immediate significant  ...
Chaotisch: Zustände an der Grenze zu Mexiko.Bild: keystone

Zuwanderung: Die Grenze zu Mexiko ist die Achillessehne der Demokraten. Einerseits, weil sich in dieser Frage die Progressiven und die Gemässigten nicht einig sind. Andererseits, weil die Immigrationsfrage wirklich extrem komplex ist. Dabei haben die Demokraten in diesem Frühling sogar einem sehr harten Kompromiss mit den Republikanern zugestimmt. Trump hat jedoch erkannt, dass sich sein wichtigstes Pferd im Wahlkampf-Stall davonmachen könnte. Deshalb hat er diesen Deal erfolgreich sabotiert. Mit präsidialen Erlassen, sogenannten «executive oders», versucht Biden jetzt das Schlimmste zu verhindern.

Kriminalität: In dieser Frage setzt Trump auf das, was in der Fachsprache «perception over reality» genannt wird. Will heissen: Was die Menschen fühlen, ist wichtiger als die Fakten. Die Fakten besagen nämlich, dass die Kriminalität in den USA seit Ende der Pandemie massiv gesunken ist und weiter sinkt, auch in den Städten. Trotzdem schildert der Ex-Präsident die Lage, als stünden New York, Chicago etc. vor einer Situation, in der gewalttätige Banden die Macht haben. Besonders beliebt ist dabei die Schilderung von angeblichen Gewaltverbrechen von Immigranten.

Former President Donald Trump appears at Manhattan criminal court during jury deliberations in his criminal hush money trial in New York, Thursday, May 30, 2024. (Mark Peterson/Pool Photo via AP)
Vor Gericht: Donald Trump.Bild: keystone

Alter: Obwohl Trump nur drei Jahre jünger ist als der 81-jährige Biden, wird er versuchen, Biden als senil darzustellen. Tatsächlich bewegt sich der Präsident greisenhaft. Trotzdem geht Trump ein nicht unbeträchtliches Risiko ein. Anzeichen, die auf eine Altersdemenz hinweisen, sind bei ihm in letzter Zeit häufiger zu beobachten als bei Biden, und es ist auch bekannt, dass Trumps Vater im Alter Alzheimer hatte.

Märtyrer: Mit der Verurteilung durch ein Geschworenengericht in Manhattan sieht sich Trump definitiv als Opfer der Justiz – genauer: der Biden-Justiz. Er vergleicht den Prozess mit den Schauprozessen Stalins und will nichts, aber auch gar nichts verbrochen haben. Zumindest finanziell geht diese Rechnung auf. Seit seiner Verurteilung hat der Ex-Präsident massenhaft Spenden eingesammelt und die Lücke zu Biden mittlerweile schliessen können. Allein der Milliardär Tim Mellon, ein Enkel von Andrew Mellon, jenem Finanzminister, der massgeblich für die Depression verantwortlich war, hat Trump 50 Millionen Dollar zukommen lassen.

Das spricht für Biden

Abtreibung: Mit der Aufhebung von «Roe v. Wade», dem Urteil des Supreme Court, das die Abtreibung auf nationaler Ebene legalisiert hat, haben die Republikaner erreicht, was die Amerikaner gerne mit folgender Metapher umschreiben: Der Hund hat erfolgreich das Auto, das er gejagt hat, eingeholt. Damit soll ausgedrückt werden, dass man ein Ziel erreicht hat, das man lange erfolglos verfolgt hat. Doch jetzt hat man keine Ahnung, was man mit diesem Erfolg anfangen soll. Tatsächlich ist die Abtreibungsfrage zum Mühlstein um den Hals der Republikaner geworden. Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner, vor allem der Amerikanerinnen, will nach wie vor das Recht auf Abtreibung beibehalten. Jetzt ist dies in vielen konservativen Bundesstaaten nicht mehr der Fall. Die Demokraten machen daher die Abtreibungsfrage zu einem zentralen Punkt in ihrer Wahlkampagne.

epa11428110 Anti-abortion activists protest at the Supreme Court in Washington, DC, USA, 21 June 2024. In an 8-1 decision, the Supreme Court upheld a federal law that prevents people who are subject t ...
Frauen demonstrieren vor dem Gebäude des Supreme Court in Washington.Bild: keystone

Demokratie: Die autoritären Neigungen von Trump sind unübersehbar, schliesslich will er schon «am ersten Tag Diktator» sein. Zudem ist bekannt, dass er im Verbund mit der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation bereits ein Programm ausgearbeitet hat, welches die Macht des Präsidenten – die ohnehin schon sehr gross ist – nochmals gewaltig ausweiten wird. Zu Recht warnen deshalb die Demokraten, dass ein Wahlsieg Trumps zu Zuständen führen würde, wie wir sie bereits aus Ungarn und anderen autoritären Staaten kennen.

Infrastruktur: Trump hat immer wieder «Infrastruktur-Tage und -Wochen» angekündigt, aber damit nichts, nada, zilch, ništa erreicht. Biden hingegen hat nicht nur ein 500-Milliarden-Dollar-Infrastruktur-Programm durch den Kongress geboxt, er setzt es auch um und schafft damit Hunderttausende von Industriejobs in den USA. Allmählich nimmt das auch Johnny Sixpack zur Kenntnis.

Trump: Die Biden-Kampagne setzt jetzt schon alles daran, den Amerikanern in Erinnerung zu rufen, wie chaotisch die Amtszeit von Trump verlaufen ist, vor allem während der Pandemie. In TV-Spots und auf den sozialen Kanälen werden daher Clips gezeigt, wie der Ex-Präsident empfohlen hat, sich gegen das Virus Bleichmittel in die Adern zu spritzen. Auch andere Highlights aus dem schier unerschöpflichen Trump-Unsinn-Reservoir werden aufgewärmt. Selbstverständlich wird dabei auch betont, dass der Ex-Präsident nun ein verurteilter Straftäter ist.

Was geschieht, wenn einer der beiden abstürzt? Bei Trump nicht viel. Inzwischen hat man sich an sein irres Gefasel gewöhnt, und die GOP ist so fest in seiner Hand, dass ihm alles verziehen wird. Die Gefahr, dass der Ex-Präsident das Duell verlieren wird, ist zudem bereits eingepreist. So wie die Wahlen angeblich manipuliert waren, könne Biden nur dann gewinnen, wenn er gedopt ist. Deshalb ist die These eines «Jacked Up Joe», eines mit Drogen voll gepumpten Präsidenten, auf Fox News schon seit Wochen allgegenwärtig.

Anders sieht es bei Biden aus. Sollte er einen schweren Aussetzer beim Duell haben – was wenig wahrscheinlich ist –, dann würde die nie ganz eingeschlafene Diskussion wieder entfacht werden, ob er im letzten Moment nicht doch noch durch einen jüngeren Kandidaten respektive eine jüngere Kandidatin ersetzt werden soll. Der Parteitag der Demokraten im kommenden August würde dann zu einem Politthriller erster Güte.

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Die besten und verrücktesten Schlagzeilen aus den USA
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«Florida-Mann auf Kamera festgehalten, wie er einem Fremden in die Einfahrt kackt.»

via cbs miami

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Biden
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110 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dirty Sanchez
24.06.2024 16:11registriert Mai 2019
Es wird sehr spannend, leider. Ich vertraue aber noch immer auf die Vernunft der Leute. Nochmal Trump wäre ganz einfach eine Katastrophe, mit unvorhersehbaren Risiken für die ganze Welt. Ich hoffe, der US Wähler begreift das.
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neurot
24.06.2024 16:50registriert Januar 2017
Ich fasse die Trümpfe von Trump mal zusammen:
1. Rezession / Inflation — erfunden
2. Zuwanderung — seine Verweigerung
3. Kriminalität — erfunden
4. Alter — erfunden (im Sinne von „kein biz besser“)
5. Märtyrer — nur für seine Jünger, die ihn eh wählen

Nix als heisse Luft bei Trump. Wird Zeit, dass die masslose Zeitverschwendund der Menscheit durch diesem Lappen endlich ein Ende hat.
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Walter Sahli
24.06.2024 17:10registriert März 2014
Das Wichtigste wird sein, dass die Moderation die Möglichkeit hat, Trump das Mik abzustellen.
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