Warum Maga Europa hasst
Die Woke-Welle ist in den USA entstanden, bevor sie nach Europa übergeschwappt ist. Es gibt prozentual gesehen etwa gleich viele Zuwanderer in den grösseren Staaten von Westeuropa wie in Amerika. Trotzdem warnt das am Freitag veröffentlichte, 33-seitige Papier mit dem Titel «US National Security Strategy» (NSS) in harschen Tönen davor, dass der alte Kontinent wegen seiner Dekadenz dem Untergang geweiht sei.
Angesichts dieser offensichtlichen Widersprüche in diesem Papier fragt sich Janan Ganesh in der «Financial Times» denn auch: «Was stört diese Leute an Europa? Was hat der Kontinent dem Westen getan, was die USA nicht getan haben? Warum können die Amerikaner Europa nicht einfach in Ruhe lassen?»
Der Angriff auf Europa aus Washington ist nicht neu. Maga mag den alten Kontinent nicht. Das hat J.D. Vance bei seiner legendären Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz zu Beginn dieses Jahres schon mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch Elon Musk gibt seine Verachtung für die EU regelmässig bekannt, ebenso seine Bewunderung für rechtsradikale Populisten.
Das NSS-Papier enthält auch deutliche Spuren der in Maga und rechtspopulistischen Kreisen so beliebten These des «grossen Austauschs», die besagt, dass Europa bald von einer muslimischen Mehrheit bevölkert sein wird.
«Die NSS ist ein Plan für eine illiberale Weltordnung», erklärt denn auch Tom Wright, Experte für Geopolitik bei der Denkfabrik Brookings Institution in der «Financial Times». «Sie wirft den Kerngedanken der ersten Trump-Ära und derjenigen von Biden – dass sich die USA in einem Wettbewerb der Grossmächte mit China und Russland befinden – über Bord. China wird einzig durch die wirtschaftliche Brille betrachtet, die russische Bedrohung für Europa wird überhaupt nicht erwähnt.»
Kein Wunder somit, dass das Papier vor allem in Moskau sehr gelobt wird. Aus Brüssel hingegen tönt es anders: «Es handelt sich um einen frontalen Angriff auf die Europäische Union», erklärt beispielsweise Brando Benifei, ein italienischer Abgeordneter im EU-Parlament, und fügt deshalb hinzu, es sei «total inakzeptabel» und «voll von schockierenden Formulierungen».
Es gab Zeiten, in denen die NSS von profunden Vordenkern wie Henry Kissinger oder Zbigniew Brzezinski verfasst wurden. Deren Meinung konnte man teilen oder auch nicht. Zur Kenntnis nehmen musste man sie auf jeden Fall. Das sei beim aktuell vorliegenden Papier nicht der Fall, schreibt Eliot Cohen im «Atlantic».
«Der grösste Teil des Dokuments besteht aus Bombast, Schmeicheleien, Ungereimtheiten und grotesken Widersprüchen», so Cohen. «(…) Es ist wie das Gebrabbel eines Schlafwandlers, der zwischen fantastischen Träumen und kalten Schweiss verursachenden Albträumen schwankt. Es ist ein Fenster zu einer verstörenden Begegnung mit der Realität.»
Auch Janan Ganesh kommt zu einem wenig schmeichelhaften Schluss: «Vielleicht haben sie (die Maga-Vertreter) zu viele Schlachten an der Heimfront verloren. Deshalb ist es für sie leichter, ausländische Länder anzugreifen. Die Attacke auf Europa ist ein versteckter Selbstvorwurf.»
Mehr noch, er könnte sich dereinst als Bumerang erweisen. Weshalb das so ist, führt Ivan Krastev in seinem Essay in «Foreign Affairs» aus. Er ist einer der führenden Politologen der Gegenwart und Vorsitzender des Center for Liberal Strategies in Sofia.
Krastev hält fest, dass Trump – anders als seine Vorgänger – sich nicht als Hüter der Demokratie versteht und aus seinen Sympathien für rechtsradikale Parteien wie die AfD in Deutschland oder die Reform Party im Vereinigten Königreich keinen Hehl macht. Diese Parteien wiederum sind bekennende Trump-Fans. Umgekehrt gehen die traditionellen Freunde der USA, die Parteien der Mitte, auf Distanz.
«Die Trump-Revolution hat Europa geteilt», hält Krastev fest. «Anders als bei früheren Momenten der Friktion, etwa bei der amerikanischen Invasion in den Irak, geht die Trennung nicht mehr zwischen Pro- und Anti-Amerika-Ländern. Dieses Mal verläuft sie zwischen den Pro- und Anti-Trump-Lagern.»
Die Sympathie für Trump und Maga steht jedoch bei den Rechtspopulisten auf wackligen Füssen. Krastev fügt dazu das Beispiel von Viktor Orbán an. Der ungarische Premierminister ist zwar ein Held der Rechten. Doch gleichzeitig ist er auch ein erklärter China-Fan. «In seiner (Viktor Orbáns) Sicht der Dinge besitzt Asien das demografische Momentum, einen technologischen Vorteil und eine enorme Kapital-Macht», so Krastev. «Es baut auch seine militärischen Kapazitäten rasch aus, um mit den USA und seinen westlichen Alliierten gleichzuziehen. Deshalb ist Orbán überzeugt, dass die künftige Weltordnung sich um Asien drehen wird.»
Orbán schwärmt nicht nur von Asien, er ist auch bereits mit den Asiaten wirtschaftlich verbandelt. China investiert in Ungarn mehr als in Frankreich, Deutschland und im Vereinigten Königreich zusammengenommen. Die deutsche AfD wiederum richtet sich stark nach Moskau.
Krastev kommt deshalb zu folgendem Schluss: «Indem es seine Verbindungen zu den rechten Parteien Europas stärkt, könnte Washington paradoxerweise seinen Einfluss auf Europa als Ganzes schwächen.»
In vielerlei Hinsicht sei Trump Gorbatschow ähnlich, stellt Krastev daher fest. «Gorby-mania hat die kommunistischen Regimes in Osteuropa gestürzt – und damit auch mitgeholfen, dass Moskau seinen Einfluss verloren hat.»
