Einmal mehr haben sich die Umfrageinstitute getäuscht. Im Vorfeld der Parlamentswahl in Spanien vom Sonntag liessen sie einen Sieg des rechten Lagers und eine Mehrheit für die konservative Volkspartei (PP) zusammen mit der rechtsextremen Vox erwarten. Doch der Rechtsrutsch blieb aus. Eine Mehrheit für eine rechte Regierung ist nicht in Sicht.
Die PP und ihr Chef Alberto Núñez Feijóo sind die Nummer eins, doch gleichzeitig hat keine Partei mehr Stimmen und Sitze im Abgeordnetenhaus verloren als Vox. «Heimlicher» Sieger der Wahl ist der amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez. Der Sozialist könnte mit der Unterstützung von regionalen und separatistischen Parteien eine Regierung bilden.
Sánchez’ Pokerspiel mit vorgezogenen Neuwahlen in der Ferienzeit ist zumindest teilweise aufgegangen, auch wenn über eine weitere Wahl im Winter spekuliert wird. Aber vieles bleibt in der Schwebe, und in den ersten Analysten zur Spanien-Wahl ist eine gewisse Ratslosigkeit erkennbar. Es fällt schwer, sich einen Reim auf das Ergebnis zu machen.
Verwiesen wird etwa auf den zunehmend schrillen Wahlkampf von Feijóos Konservativen, der am Ende sogar in den Trumpismus abdriftete, indem die PP schon im Vorfeld Zweifel am Resultat zu schüren versuchte. Bislang kaum ein Thema ist seltsamerweise das miserable Abschneiden von Vox. Die Rechtsextremen verloren 19 ihrer bislang 52 Parlamentssitze.
Dabei kommt dieser Absturz nicht ganz unerwartet. In einer zwei Wochen vor der Wahl veröffentlichten Umfrage zeigten sich mehr als 60 Prozent der Befragten besorgt im Hinblick auf eine Regierungsbeteiligung von Vox. Dazu trugen Erfahrungen aus jenen Regionen und Kommunen bei, in denen Vox schon heute mit der Volkspartei regiert.
Wiederholt kam es zu Zensurversuchen, weshalb Kulturgrössen wie der Regisseur Pedro Almodóvar die Bevölkerung aufriefen, zur Wahl zu gehen und die «konservative Offensive» abzuwehren. Hinzu kommt, dass Vox selbst im Vergleich mit ähnlichen Parteien in Europa ein radikales Programm hat und Frauen- sowie LGBTQ-Rechte rückgängig machen will.
Spanien hat in diesen Bereichen in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Es ist möglich, dass der mit dem Rechtsrutsch drohende Backlash nun selber einen Backlash gegen die Rechtsradikalen ausgelöst und potenzielle Vox-Wähler am Ende abgeschreckt hat. Eine genauere Auswertung der Resultate vom Sonntag könnte Aufschluss geben.
Überraschend wäre ein solcher Rückschlag nicht. Die Republikaner in den USA machten bei den Zwischenwahlen im letzten November die gleiche Erfahrung. Auch damals hatten die Umfragen auf einen «roten Tsunami» hingedeutet. Am Ende eroberten sie nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus, und der Senat bleibt demokratisch kontrolliert.
Ein wesentlicher Grund ergab sich schon aus den Exit Polls am Wahltag. Neben der hohen Inflation wurde das Thema Abtreibung als wichtigste Motivation für die Teilnahme an der Wahl genannt. Ein halbes Jahr zuvor hatte der Oberste Gerichtshof das seit fast 50 Jahren bestehende nationale Recht auf den Schwangerschaftsabbruch rückgängig gemacht.
Die anhaltende Wut vieler amerikanischer Frauen über dieses Urteil wurde in den Umfragen zu wenig abgebildet. Etwas Ähnliches könnte in Spanien geschehen sein. Klar aber ist, dass sich die Rechtspopulisten in vermintes Gelände begeben, wenn sie versuchen, die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten zu attackieren.
Einige haben das verstanden. Sie polemisieren gegen die angebliche Wokeness-Welle, schrecken aber bislang vor zu drastischen Massnahmen zurück. Das gilt für die rechte Regierung in Italien genauso wie für Ungarns Langzeit-Regierungschef Viktor Orban. Die deutsche AfD «schmückt» sich sogar mit ihrer lesbischen Co-Vorsitzenden Alice Weidel.
Für andere könnte es schwierig werden, etwa die nationalkonservative Regierungspartei PiS in Polen. Sie hat ein fast totales Abtreibungsverbot beschlossen und könnte deshalb die nächste Wahl verlieren, die wahrscheinlich im Oktober stattfinden wird. Auch in den USA halten die Republikaner an ihrem «Kreuzzug» gegen ungewollt schwangere Frauen fest.
So haben sie zuletzt auch im früher als eher moderat bekannten Bundesstaat Iowa ein Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche beschlossen. Es ist vor Gericht blockiert. Und Senator Tommy Tuberville aus Alabama verhindert seit Wochen militärische Beförderungen, weil die Armee zu abtreibungsfreundlich sei.
Kritiker warnen, dass den Republikanern mit diesem radikalen Kurs erneut eine Niederlage bei den Wahlen 2024 droht. Die Verluste von Vox in Spanien sind ein weiterer Indikator. Man darf die Rechtspopulisten keinesfalls unterschätzen. Aber wenn sie es zu bunt treiben, kommen sie an ihre Grenzen – sofern das Fundament einer Demokratie intakt ist.