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Spanien Wahlen: Warum der Rechtsrutsch ausgeblieben ist

Santiago Abascal, leader of the far-right Vox party, waves to supporters outside the party headquarters following Spain's general election in Madrid, Sunday, July 23, 2023. Spain's conservat ...
Gequälte «Siegerpose»: Vox-Chef Santiago Abascal hatte am Sonntag nichts zu lachen.Bild: keystone
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Wahl in Spanien wird zum Backlash gegen Rechtsaussen

Der erwartete Rechtsrutsch bei der Wahl in Spanien fand nicht statt. Die rechtsextreme Vox ist sogar die grosse Verliererin. Darin zeigen sich die Grenzen eines radikalen Populismus.
24.07.2023, 15:5024.07.2023, 16:30
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Einmal mehr haben sich die Umfrageinstitute getäuscht. Im Vorfeld der Parlamentswahl in Spanien vom Sonntag liessen sie einen Sieg des rechten Lagers und eine Mehrheit für die konservative Volkspartei (PP) zusammen mit der rechtsextremen Vox erwarten. Doch der Rechtsrutsch blieb aus. Eine Mehrheit für eine rechte Regierung ist nicht in Sicht.

Die PP und ihr Chef Alberto Núñez Feijóo sind die Nummer eins, doch gleichzeitig hat keine Partei mehr Stimmen und Sitze im Abgeordnetenhaus verloren als Vox. «Heimlicher» Sieger der Wahl ist der amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez. Der Sozialist könnte mit der Unterstützung von regionalen und separatistischen Parteien eine Regierung bilden.

Socialist Workers' Party supporters cheer as they wait for Prime Minster and Socialist party leader Pedro Sanchez outside the party's headquarters in Madrid, Spain, Sunday July 23, 2023. Spa ...
Freude bei den Anhängern der Sozialisten: Ihre Partei schnitt besser ab als erwartet.Bild: keystone

Sánchez’ Pokerspiel mit vorgezogenen Neuwahlen in der Ferienzeit ist zumindest teilweise aufgegangen, auch wenn über eine weitere Wahl im Winter spekuliert wird. Aber vieles bleibt in der Schwebe, und in den ersten Analysten zur Spanien-Wahl ist eine gewisse Ratslosigkeit erkennbar. Es fällt schwer, sich einen Reim auf das Ergebnis zu machen.

Mehrheit gegen Vox-Beteiligung

Verwiesen wird etwa auf den zunehmend schrillen Wahlkampf von Feijóos Konservativen, der am Ende sogar in den Trumpismus abdriftete, indem die PP schon im Vorfeld Zweifel am Resultat zu schüren versuchte. Bislang kaum ein Thema ist seltsamerweise das miserable Abschneiden von Vox. Die Rechtsextremen verloren 19 ihrer bislang 52 Parlamentssitze.

Dabei kommt dieser Absturz nicht ganz unerwartet. In einer zwei Wochen vor der Wahl veröffentlichten Umfrage zeigten sich mehr als 60 Prozent der Befragten besorgt im Hinblick auf eine Regierungsbeteiligung von Vox. Dazu trugen Erfahrungen aus jenen Regionen und Kommunen bei, in denen Vox schon heute mit der Volkspartei regiert.

Gegen Frauen- und LGBTQ-Rechte

Wiederholt kam es zu Zensurversuchen, weshalb Kulturgrössen wie der Regisseur Pedro Almodóvar die Bevölkerung aufriefen, zur Wahl zu gehen und die «konservative Offensive» abzuwehren. Hinzu kommt, dass Vox selbst im Vergleich mit ähnlichen Parteien in Europa ein radikales Programm hat und Frauen- sowie LGBTQ-Rechte rückgängig machen will.

Spanien hat in diesen Bereichen in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Es ist möglich, dass der mit dem Rechtsrutsch drohende Backlash nun selber einen Backlash gegen die Rechtsradikalen ausgelöst und potenzielle Vox-Wähler am Ende abgeschreckt hat. Eine genauere Auswertung der Resultate vom Sonntag könnte Aufschluss geben.

Wie Republikaner bei den Midterms

Überraschend wäre ein solcher Rückschlag nicht. Die Republikaner in den USA machten bei den Zwischenwahlen im letzten November die gleiche Erfahrung. Auch damals hatten die Umfragen auf einen «roten Tsunami» hingedeutet. Am Ende eroberten sie nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus, und der Senat bleibt demokratisch kontrolliert.

Ein wesentlicher Grund ergab sich schon aus den Exit Polls am Wahltag. Neben der hohen Inflation wurde das Thema Abtreibung als wichtigste Motivation für die Teilnahme an der Wahl genannt. Ein halbes Jahr zuvor hatte der Oberste Gerichtshof das seit fast 50 Jahren bestehende nationale Recht auf den Schwangerschaftsabbruch rückgängig gemacht.

Einige haben verstanden

Die anhaltende Wut vieler amerikanischer Frauen über dieses Urteil wurde in den Umfragen zu wenig abgebildet. Etwas Ähnliches könnte in Spanien geschehen sein. Klar aber ist, dass sich die Rechtspopulisten in vermintes Gelände begeben, wenn sie versuchen, die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten zu attackieren.

Alternative for Germany (AfD) right-wing political party deputy chairwoman Alice Weidel, right, speaks to her partner Swiss film producer Sarah Bossard during the 35th traditional Swiss People's  ...
Alice Weidel (r.) und Partnerin Sarah Bossard geben der AfD ein pseudo-fortschrittliches Gesicht.Bild: keystone

Einige haben das verstanden. Sie polemisieren gegen die angebliche Wokeness-Welle, schrecken aber bislang vor zu drastischen Massnahmen zurück. Das gilt für die rechte Regierung in Italien genauso wie für Ungarns Langzeit-Regierungschef Viktor Orban. Die deutsche AfD «schmückt» sich sogar mit ihrer lesbischen Co-Vorsitzenden Alice Weidel.

Republikaner weiter auf Radikalkurs

Für andere könnte es schwierig werden, etwa die nationalkonservative Regierungspartei PiS in Polen. Sie hat ein fast totales Abtreibungsverbot beschlossen und könnte deshalb die nächste Wahl verlieren, die wahrscheinlich im Oktober stattfinden wird. Auch in den USA halten die Republikaner an ihrem «Kreuzzug» gegen ungewollt schwangere Frauen fest.

So haben sie zuletzt auch im früher als eher moderat bekannten Bundesstaat Iowa ein Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche beschlossen. Es ist vor Gericht blockiert. Und Senator Tommy Tuberville aus Alabama verhindert seit Wochen militärische Beförderungen, weil die Armee zu abtreibungsfreundlich sei.

Kritiker warnen, dass den Republikanern mit diesem radikalen Kurs erneut eine Niederlage bei den Wahlen 2024 droht. Die Verluste von Vox in Spanien sind ein weiterer Indikator. Man darf die Rechtspopulisten keinesfalls unterschätzen. Aber wenn sie es zu bunt treiben, kommen sie an ihre Grenzen – sofern das Fundament einer Demokratie intakt ist.

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86 Kommentare
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Interessierter
24.07.2023 16:05registriert Juni 2016
Es werden fast alle rechtsextremistischen Parteien in Europa aufgezählt, jedoch die SVP wird mit keinem Wort erwähnt. Warum? Diese Partei befindet sich doch im gleichen Fahrwasser und es wird immer schlimmer. Man sollte dies immer und immer wieder betonen!
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Paul Badman
24.07.2023 16:36registriert November 2015
Beängstigend in einer Demokratie ist nicht, dass sich Unzufriedene von den Regierenden abwenden und Alternativen wählen. Beängstigend ist aber, welchen Alternativen sie sich an den Hals werfen. Dass die PP mit der Vox regieren will, das ist beängstigend. Dass die Franco-Diktatur immer noch so viele Sympatisanten hat. Das ist beängstigend
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Optimus_Maximus
24.07.2023 17:41registriert Juni 2023
Die SVP tut so, als sei sie die einzige, wahre Opposition zur Regierung. Und das mit 2 Bundesräten und einer bürgerlichen Mehrheit sowohl im Bundesrat wie auch im Parlament. Das ist ihre Taktik. Opponieren, besonders dann, wenn sie schon vorher wissen, dass sie eine Minderheitenmeinung vertreten. So ist man für nichts verantwortlich.
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