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Am Ende des Prozesses Amber Heard gegen Johnny Depp verlieren alle

Video: youtube/Law & Crime
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Und am Schluss verlieren alle: Was nach dem Depp–Heard-Prozess bleibt

02.06.2022, 07:3302.06.2022, 20:47
Tina Eck, Christina Horsten und Barbara Munker
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Sechs Wochen lang ist Johnny Depp (58) täglich im Gerichtssaal, meist mit getönter Brille und dicken Ringen an den Händen. Mitunter grinst er, doch oft hat er den Blick gesenkt, während seine explosive Beziehung mit der Schauspielerin Amber Heard (36) öffentlich aufgerollt wird. Doch am Mittwoch, als die sieben Geschworenen ihm einen Sieg über die Ex-Ehefrau zusprechen, fehlt der «Fluch der Karibik»-Star im Gericht. Nur sein Anwaltsteam ist vertreten.

Actor Amber Heard waits before the verdict was read at the Fairfax County Circuit Courthouse in Fairfax, Va, Wednesday, June 1, 2022. The jury awarded Johnny Depp more than $10 million in his libel la ...
Amber Heard vor der Urteilsverkündung am Mittwoch in Fairfax.Bild: keystone

Depp war nach dem Prozessende für Konzertauftritte mit dem Rockgitarristen Jeff Beck nach England gereist. Am Tag der Urteilsverkündung wurde er mit Musikern in einem Pub in Newcastle gesichtet, wie britische Medien berichteten.

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Heard, in Schwarz gekleidet, hört im Gericht des Bezirks Fairfax im US-Bundesstaat Virginia, vor den Toren der US-Hauptstadt Washington, mit gesenktem Blick zu, als das Urteil verlesen wird. Die Geschworenen haben ihren Schilderungen von Missbrauch keinen Glauben geschenkt. Wegen Verleumdung muss sie Depp über zehn Millionen Dollar Schadenersatz zahlen. Ein schwacher Trost: Depp schuldet ihr nach Entscheidung der Jury zwei Millionen Dollar für Aussagen seines Ex-Anwalts, die Heards Ruf geschädigt hätten. Heard plane, das Urteil anzufechten, kündigte ihre Verteidigerin Elaine Bredehoft am Donnerstag im US-Fernsehen an.

Blitzschnell spricht sich Depps Sieg unter den Dutzenden Schaulustigen vor dem Gerichtsgebäude herum. «Johnny, Johnny»-Sprechchöre, lauter Jubel sind zu hören. «Ich bin unglaublich froh über dieses Urteil», sagt James Golder der Deutschen Presse-Agentur. Gerechtigkeit für «tatsächliche» Missbrauchsopfer sei ihm wichtig. Sie habe Amber «kein Wort» geglaubt, pflichtet die Depp-Anhängerin Jordan Kehoe bei. Sarah Procter beschreibt sich selbst als Opfer von häuslicher Gewalt. «Ich freue mich so für Johnny», sagt die 33-Jährige. Die Anschuldigungen gegen den Star seien erlogen gewesen.

Die Urteilsverkündung:

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In dem bitteren Schlagabtausch der Ex-Eheleute genoss Depp einen gewaltigen Fan-Vorteil. Täglich war der Star vor dem Gerichtsgebäude von jubelnden Anhängern empfangen worden. Unter Hashtags wie #JusticeforJohnny hatten Fans im Netz für den Schauspieler Partei ergriffen. Heard hatte deutlich weniger Unterstützer, aber umso mehr Anfeindungen in den sozialen Medien.

Depp geht als Sieger aus dem Verleumdungsprozess hervor, aber er ist auch Verlierer in einer zur Schau getragenen Schlammschlacht, mit heftigen Anfeindungen, im Livestream von Gerichtskameras weltweit übertragen. Keiner der beiden wird die geschilderten Szenen einer Ehe gänzlich abschütteln. Eine abgetrennte Fingerkuppe, mit Blut geschriebene Botschaften, Fäkalien auf der Bettdecke – dies sind nur einige der Details, die jetzt in Gerichtsprotokollen verewigt sind.

Das Urteil der Jury, fünf Männer und zwei Frauen, fiel nach dreitägigen Beratungen. Im Kern der von Depp eingereichten Zivilklage ging es um einen 2018 von der «Washington Post» veröffentlichten Kommentar, in dem sich Heard als Opfer häuslicher Gewalt beschrieb.

Depp wurde darin von ihr nicht namentlich genannt, aber der «Fluch der Karibik»-Star sah sich damit als Opfer von Falschaussagen gebrandmarkt und klagte wegen Verleumdung auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz. Heard holte zur Gegenklage mit einer 100 Millionen Dollar-Forderung aus. Sie machte geltend, dass Depps Ex-Anwalt Adam Waldman mit einer Schmutzkampagne ihrem Ansehen geschadet habe.

Die Urteilsfindung drehte sich um komplizierte Rechtsfragen wie Redefreiheit, Vorsatz oder Rufschädigung – aber ebenso standen die Glaubwürdigkeit der Hollywood-Stars und die gegenseitigen Missbrauchsvorwürfe auf dem Prüfstand. Wochenlang hatten die Anwälte beider Seiten Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch, körperlicher Gewalt, Lügen und Drogenexzessen vorgebracht, unterlegt von Dutzenden Zeugenaussagen, schockierenden Handyvideos, Tonaufzeichnungen mit derben Beschimpfungen und Fotos mit Blutergüssen.

Heard hatte im Zeugenstand zahlreiche Vorfälle von angeblichem Missbrauch geschildert. Der Schauspieler betonte dagegen unter Eid, er habe in seiner Beziehung mit Heard «niemals» körperliche Gewalt angewendet. Depps Anwälte stellten Heard als notorische Lügnerin dar, deren Aussagen man nicht trauen könnte.

Heards Anwalt Benjamin Rottenborn wiederum zeichnete ein Bild von Depp als aggressivem Mann, der unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen zum «Monster» geworden sei. Ein Urteil gegen Heard wäre eine niederschmetternde Botschaft für Missbrauchsopfer auf der ganzen Welt, warnte Rottenborn. «Ich werde jeden einzelnen Tag belästigt, gedemütigt und bedroht, allein schon, wenn ich in diesen Gerichtssaal laufe», sagte Heard vor der Jury. «Ich bekomme regelmässig Hunderte Morddrohungen, gewissermassen täglich. Tausende, seit dieser Prozess begonnen hat», sagte Heard unter Tränen im Zeugenstand zum Prozessende.

Kurz nach der Urteilsverlesung drückte die Schauspielerin auf Twitter ihre tiefe Enttäuschung aus. Dass die Jury ihr trotz eines «Bergs an Beweisen» grösstenteils nicht geglaubt habe, breche ihr Herz. Schlimmer noch, dies sei ein «Rückschritt» für andere Frauen in ähnlicher Situation, schrieb Heard. Es sei ein Rückschlag für die Vorstellung, «dass Gewalt gegen Frauen ernst zu nehmen ist».

Für Depp ist dies nun der erste Sieg in dem langjährigen Streit der Ex-Partner, nach einer Niederlage in London vor zwei Jahren. Dort hatte er gegen das britische Boulevardblatt «Sun» geklagt, das ihn in einem Artikel als Frauenschläger bezeichnet hatte. Auch damals hatten sich Depp und Heard wochenlang hinter verschlossenen Gerichtstüren mit Vorwürfen überzogen. Am Ende befand 2020 ein Richter, dass die meisten Vorwürfe in dem Artikel sich als wahr erwiesen hätten.

Ein wichtiger Unterschied: Jetzt war es ein Zweikampf vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Depp konnte sich im Rampenlicht inszenieren, auch mit prominenter Unterstützung seiner Ex-Freundin Kate Moss. Das britische Supermodel sagte für ihn per Videoschalte aus. Mit Moss war Depp in den 1990er Jahren mehrere Jahre zusammen, auf ihre Trennung folgte eine langjährige Beziehung mit der französischen Schauspielerin Vanessa Paradis, mit der er zwei erwachsene Kinder hat. 2015 heirateten Depp und Heard, doch nach nur 15 Monaten Ehe reichte die Schauspielerin die Scheidung ein, nach Vorwürfen von häuslicher Gewalt.

Für ihn habe nun endlich ein neues Kapitel begonnen, schrieb Depp am Mittwoch. Die Jury habe ihm sein Leben zurückgegeben, nachdem er sechs Jahre unter falschen Anschuldigungen zu leiden hatte. «Das Beste kommt erst noch», trumpfte Depp auf. (sda/dpa)

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Geschworene fällen Urteil zu Gunsten von Johnny Depp am Ende des Verleumdungsprozesses mit Amber Heard
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115 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MasterJ
02.06.2022 07:06registriert Mai 2021
Falsch. Die Wahrheit hat gewonnen. Und die narzisstischer Lügnerin würde in die Schranken verwiesen. Nur hatte der Anwalt von Johnny Depp sich einen patzer erlaubt und Amber Heard auch verleumdet. Deshalb erhielt sie auch Geld. Johnny Depp wurde in ALLEN 24 Punkten Recht gesprochen. Dass sagt alles aus. Nur die Sexisten sehen in diesem Urteil ein problem. Jetzt wird hoffentlich auch Häusliche Gewalt von Frauen gegen Männer endlich mal was getan.
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giandalf the grey
02.06.2022 07:31registriert August 2015
Johnny Depp hat viel mehr gewonnen denn verloren. Im Gegensatz zu Amber Heard kann man ihn nun wieder guten Gewissens anstellen. Und wer die Verhandlung ein bisschen verfolgte weiss auch, dass nicht nur Depps Anwälte Heard als narzisstische notorische Lügnerin dargestellt haben, sondern vor allem auch sie selbst. Die Beweislast gegen sie ist erdrückend. Ich verstehe nicht wie man dieses Urteil nicht gut heissen kann. Es untergräbt nicht die Wichtigkeit des Schutzes von Frauen vor häuslicher Gewalt. Es spricht nur dem Schutz der Männer vor der Selbigen die gleiche Wichtigkeit zu.
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Snowy
02.06.2022 07:01registriert April 2016
Nicht alle: In erster Linie verlieren die Frauen! Einen grösseren Bärendienst hätte Heard der Metoo- und der „Nur Ja heisst Ja“ Bewegung nicht leisten können

Nun hat genau der Fall eine weltweite Bühne gekriegt, wo eine Frau ein Mann zu Unrecht der Gewalt bezichtigt
Das worst case Szenario für den Gesetzgebungsprozess für das neue „Nur Ja heisst Ja Gesetz“.
Genau dies ist nämlich der Schwachpunkt im Gesetz.
Man hat zwar dauernd darauf hingewiesen, dass solche Falschanschuldigungen äussert selten seien - aber die öffentliche Meinung dürfte (nicht nur wegen diesem Fall) eine andere sein.
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