«Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.» Dieses Sprichwort benützen diejenigen, die sich einen Sieg von Donald Trump wünschen oder zumindest zu rechtfertigen suchen. Zu ihnen gehört auch Eric Gujer, Chefredakteur der NZZ. In seiner nur dürftig verklausulierten Wahlempfehlung für den Ex-Präsidenten stellt er fest, dass Trump, «der Darwinist, für den Politik ein brutaler Kampf um Macht und Wohlstand ist», den Imperativ der Gegenwart ohne zu zögern bejahe. Ganz im Gegensatz zum amtierenden Präsidenten. «Wer sich wie Joe Biden nach den guten alten Zeiten zurücksehnt, erleidet Schiffbruch», so Gujer.
Seine Argumentation leidet unter einem fundamentalen Irrtum: Trump will nicht der Keil sein, der die Wladimir Putins, die Xi Jinpings und die Kim Jong Uns im Zaume hält. Er will selbst ein führendes Mitglied des Clubs werden, den die Historikerin Anne Applebaum zutreffend als die «Autokraten AG» bezeichnet.
Die wahre Gefahr, die ein Sieg des Ex-Präsidenten mit sich bringen würde, besteht darin, dass eine amerikanische Version einer Oligarchie entstehen würde, ein System, in der ein mit allen Vollmachten ausgestatteter Präsident mit dem Segen des Supreme Courts und umgeben von superreichen Unternehmern die USA zunehmend autokratisch regieren würde.
Trump macht gar kein Hehl daraus, dass er einen solchen Zustand anstrebt. Er will bekanntlich «am ersten Tag Diktator» sein, und er hat seinen evangelikalen Anhängern versprochen, sie müssten nur noch dieses eine Mal zur Urne gehen, danach werde er die Sache regeln. Ebenso hat er gedroht, missliebigen TV-Sendern die Konzession zu entziehen, kritische Journalisten ins Gefängnis zu werfen, die Justiz für seinen Rachefeldzug zu instrumentalisieren und Mark Milley und Liz Cheney wegen Landesverrats anzuklagen und hinrichten zu lassen.
Das alles seien bloss Sprüche, wiegeln die Trump-Versteher ab. In der Praxis werde die Suppe nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht worden sei. Mag sein. Doch ist es wirklich ein guter Plan, darauf zu vertrauen, dass ein Präsident nicht tut, was er im Wahlkampf immer wieder und explizit versprochen hat?
Anyway. Wie aber würde eine Trump-Oligarchie aussehen? Obwohl Trump Putin bewundert, wäre es wohl keine exakte Kopie des russischen Modells. Auch bei Oligarchien gibt es Unterschiede. Franklin Foer stellt in der Zeitschrift «The Atlantic» jedoch fest: «Im Kern sind alle Oligarchien gleich. Es herrscht eine symbiotische Beziehung zwischen einem korrupten Anführer und einer Business-Elite und beinhaltet, dass man sich gegenseitig unterstützt.»
Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump versucht, die Tech-Oligarchen um sich zu scharen. Damals hat er Jeff Bezos, Elon Musk, Tim Cook & Co. um sich versammelt in der Absicht, ein potentes Berater-Gremium zu formen. Daraus wurde nichts. Die Zustände im Weissen Haus waren zu chaotisch, die Gruppe löste sich bald wieder auf, die Tech-Oligarchen spielten zwischen 2017 und 2021 keine Rolle.
Inzwischen haben sich die Zustände grundlegend verändert. Trump hat vier Jahre Erfahrung im Weissen Haus hinter sich. Er ist nicht mehr der Neuling, der keine Ahnung hat, welche Knöpfe er in der komplexen amerikanischen Polit-Maschine drücken muss. Er wird sich auch nicht mehr wie damals mit kompetenten «Erwachsenen» umgeben, die das Schlimmste verhindern, sondern mit Speichelleckern, die bedingungslos seine Befehle ausführen.
Auch die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen haben sich geändert. Dank der Pandemie ist Industriepolitik salonfähig geworden. «In unterschiedlichem Ausmass sind sich Republikaner und Demokraten einig, dass die Regierung die Rolle einer Investmentbank übernehmen und bestimmte Sektoren der Wirtschaft nicht nur mit Milliarden subventionieren, sondern sie auch vor ausländischer Konkurrenz schützen soll», stellt Foer fest.
Die ideologischen Grundlagen für eine Symbiose zwischen dem Weissen Haus und den Tech-Oligarchen sind bereits geschaffen. Elon Musk und Jeff Bezos könnten mit Milliarden-Aufträgen der Regierung rechnen, um ihre Weltall-Träume auszuleben. Krypto-Bros wie Marc Andreessen und Peter Thiel könnten darauf zählen, dass die lästigen Gesetze und Regeln der Finanzaufsicht beseitigt würden.
Gemeinsam könnten sich Trump und die Oligarchen daran machen, das amerikanische System grundlegend umzukrempeln. Wie sie das tun wollen, steht im mittlerweile bestens bekannten «Project 2025». Dieser Plan sieht vor, das Umwelt- oder Erziehungsministerium gänzlich abzuschaffen und Tausende von nicht loyalen Beamten zu entlassen. «Wir sind im Prozess einer zweiten amerikanischen Revolution», erklärt denn auch Kevin Roberts, der das «Project 2025» geleitet hat. «Sie wird ohne Blutvergiessen über die Bühne gehen – wenn die Linken das zulassen.»
Die jüngsten Umfragen lassen hoffen, dass uns eine Trump-Oligarchie erspart bleibt. Sollte sich jedoch die Meinungsforscher irren, müssen wir uns bald sehr warm anziehen. «Trump wird von Leuten umgeben sein, die von Gier getrieben sind», so Foer, «aber auch von einem messianischen Fieber. Das Resultat wird etwas sein, das wir noch nie erlebt haben.»