International
Analyse

Deal mit Saudi-Arabien und USA: Israel vermasselt historische Chance

Wie weiter? Benjamin Netanyahu, Mohammed bin Salman und Joe Biden.
Wie weiter? Benjamin Netanyahu, Mohammed bin Salman und Joe Biden.Bild: keystone / watson
Analyse

Israel vermasselt eine historische Chance

Ein Deal mit den Saudis und den Amerikanern wäre möglich, doch Benjamin Netanjahu blockiert.
22.05.2024, 14:1922.05.2024, 16:20
Mehr «International»

Die ARD-Serie «Die Zweiflers» handelt von einer jüdischen Familie in Frankfurt. Alle ihre Neurosen, ihre nach wie vor allumfassende Fixierung auf den Holocaust und die teils bitteren Kämpfe unter den Mitgliedern werden dabei schonungslos und eindrücklich aufgezeigt. Doch am Schluss schliessen die Zweiflers die Reihen und spielen das ewige Spiel «Juden gegen den Rest der Welt» einmal mehr weiter.

Was die Zweiflers im Kleinen vorexerzieren, spielt sich derzeit in Israel im Grossen ab. Seit das Internationale Strafgericht (ICC) nicht nur die Anführer der Hamas, sondern auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joaw Galant der Kriegsverbrechen bezichtigt, zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Juden weltweit die Reihen schliessen und sich hinter Netanjahu stellen. Sie sollten es nicht tun.

FILE - Spain's Prime Minister Pedro Sanchez arrives for a EU Summit in Brussels, on March 21, 2024. Norway, Ireland and Spain recognized a Palestinian state on Wednesday May 22, 2024 in a histori ...
Der spanische Premierminister Pedro Sanchez hat einen palästinensischen Staat anerkannt.Bild: keystone

Die Anschuldigung des ICC ist ein schwerer Schlag für Israel. Ein demokratischer Staat wird auf die gleiche Stufe gestellt wie eine Terrororganisation. Bereits haben auch erste Staaten reagiert. Norwegen, Spanien und Irland haben sich bereit erklärt, einen Staat Palästina anzuerkennen. Weitere dürften folgen. Israel muss befürchten, international als Paria dazustehen.

Die Reaktionen aus Jerusalem sind Empörung und Solidarität mit den Beschuldigten. So wirft Yair Lapid, ein gemässigtes Mitglied der Regierung, dem ICC «vollständiges moralisches Versagen» vor. Jitzchak Herzog, der Präsident Israels, stellt sich hinter seinen Premierminister, wie auch das ganze Land, zumindest in dieser Frage. «Jedem Versuch, Israel zu fesseln, indem man es mit einem grausamen und unversöhnlichen Feind vergleicht, gegen den es sich verteidigt, wird mit einem geschlossenen Widerstand und eiserner Entschlossenheit begegnet werden», stellt beispielsweise Avi Mayer in einem Gastkommentar in der «Washington Post» fest. Mayer war Chefredaktor der «Jerusalem Post».

Wie berechtigt das Vorgehen des ICC ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Ganz unschuldig ist Israel keinesfalls. Um an der Macht zu bleiben, hat Netanjahu sein Schicksal in die Hände der extremen Rechten in seiner Regierung gelegt. Diese machen aus ihren Absichten kein Geheimnis. Itamar Ben-Gvir, der für die nationale Sicherheit zuständige Minister, hat letzte Woche am israelischen Unabhängigkeitstag erklärt: «Wir müssen den Gazastreifen wieder besetzen! Wir kehren ins Heilige Land zurück. Deshalb müssen wir die Auswanderung ermutigen, die Auswanderung von Freiwilligen in den Gazastreifen.»

Netanjahu hat seinem Minister nicht widersprochen. Auch er will nicht nur die Hamas vollständig ausradieren, er will um jeden Preis eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern. Deshalb unternimmt er alles, die Palestinian Authority (PA), welche die Westbank unter der Ägide Israels regiert, zu diskreditieren. Den Plan, die PA auch im Gazastreifen an die Macht zu lassen, verwirft er mit Bausch und Bogen. «Gaza wird weder Hamastan noch Fatahstan sein», erklärt Netanjahu trotzig. Fatah ist die Partei hinter der PA und der politische Gegner der Hamas.

epa11190290 Israel's Minister of National Security Itamar Ben Gvir speaks during the funeral of Yitzhak Zeiger, 57, in Jerusalem, 01 March 2024. Zeiger is one of two Israeli victims of a shooting ...
Will den Gazastreifen zurück: Itamar Ben-Gvir, israelischer Minister für innere Sicherheit.Bild: keystone

Mit seiner strikten Ablehnung einer Zwei-Staaten-Lösung befindet sich Netanjahu im gleichen Boot wie sein Erzfeind. Hossein Amirabdollahian, der kürzlich bei einem Helikopter-Crash getötete Aussenminister des Iran, hat noch im vergangenen Dezember erklärt: «Das Einzige, was Iran und Israel gemeinsam haben, ist, dass beide nicht an eine Zwei-Staaten-Lösung glauben.»

Dabei wäre das Fenster für eine solche Lösung weit offen. Saudi-Arabien, seinerseits der Erzfeind des Iran, ist grundsätzlich bereit, ebenfalls dem Abraham Accords beizutreten. Dieses noch von Trump ausgehandelte Abkommen verstärkt den Dialog und die Handelsbeziehungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben dieses Abkommen bereits unterzeichnet.

Aus der Biden-Regierung ist nun zu hören, dass ein Deal mit den Saudis in Griffweite sei. Allerdings unter einer Voraussetzung: «Die Saudis haben klargemacht, dass Ruhe im Gazastreifen und ein glaubwürdiger Weg für einen palästinensischen Staat unabdingbar sind», erklärte US-Aussenminister Antony Blinken am Dienstag vor der aussenpolitischen Kommission des Senats.

Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater der Biden-Regierung, hat bereits mit Mohammed bin Salman, dem starken Mann in Riad, einen provisorischen Entwurf für ein solches Abkommen ausgehandelt. Israel sollte daher die Gelegenheit beim Schopf fassen, denn der Iran befindet sich nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi in einer kritischen Phase. Es droht nicht nur ein Machtkampf um die Nachfolge. Die iranische Wirtschaft liegt am Boden und das Regime der Ayatollahs ist bei der Bevölkerung verhasst.

Die Biden-Regierung drängt auf eine Zwei-Staaten-Lösung, die Saudis signalisieren Zustimmung – doch Netanjahu blockiert. Dabei pokert er mit einem sehr hohen Einsatz. Er riskiert nicht nur, dass die USA, der wichtigste Verbündete, sich von ihm abwenden.

Inzwischen hat der Iran offenbar auch die Möglichkeit erlangt, innert Wochen eine Atombombe herzustellen. Die Folgen dieser Bedrohung sind verheerend. Akbar Rafsanjani, der ehemalige Präsident des Iran, drohte schon vor Jahren: «Eine einzige nukleare Bombe würde Israel vollständig zerstören. Die islamische Welt wäre hingegen bloss verwundet. Sich dieses Szenario vor Augen zu halten, ist daher nicht irrational.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Angriff auf Israel
1 / 24
Angriff auf Israel
Am Morgen des 7. Oktobers 2023 startete die Terrormiliz Hamas einen grossflächigen Angriff auf zahlreiche Ziele in Israel. Es handelt sich um den grössten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
quelle: keystone / abir sultan
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Israelische Armee rückt in Rafah ein – die Darstellungen sind unterschiedlich
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
196 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Murchad
22.05.2024 14:46registriert April 2023
Ich mag mich irren, aber ich habe nicht gelesen das für "Israel" ein Haftbefehl vorliegt, sondern für ganz spezifische zwei Personen aus Israel.
1804
Melden
Zum Kommentar
avatar
Swen Goldpreis
22.05.2024 14:51registriert April 2019
"Ein demokratischer Staat wird auf die gleiche Stufe gestellt wie eine Terrororganisation."

Nein, das ist nicht wahr. Nur weil jemand des gleichen Vergehens bezichtet werden, ist man noch lange nicht auf der gleichen Stufe. Wenn ich bei der Steuererklärung einen Nebenverdienst vergesse, bin ich ja auch nicht Jeff Bezos.
18217
Melden
Zum Kommentar
avatar
Neruda
22.05.2024 14:34registriert September 2016
Schweizer Juden sind wie Schweizer Christen in erster Linie Schweizer und ich erwarte auch von ihnen, dass sie keine ausländischen Kriegsverbrechern unterstützen. So wie ich es von allen anderen Schweizern auch erwarte. Gleichzeitig sollten gerade in diesen Zeiten der konfessionelle Zusammemhalt gestärkt werden. Dass Schweizer Juden wegen ihrem Glauben angefreindet werden ist inakzeptabel.
13110
Melden
Zum Kommentar
196
Syrische Rebellen wollen Verwaltung aufräumen – und erschrecken bei den ersten Gesprächen
Bereits wenige Tage nach dem Fall des Regimes versuchen Beamte der Rebellen, in der Verwaltung in Damaskus aufzuräumen.

Wenige Tage nach dem Sturz Assads versuchen Beamte der siegreichen Islamisten, den Staatsapparat in Damaskus zu übernehmen.

Zur Story