Waffenstillstand in Gaza: Historisch, aber nicht genug
Der 7. Oktober 2023 und der 9. Oktober 2025 markieren Anfang und Ende der grössten Umwälzung im Nahen Osten seit Jahrzehnten. Die zwei Jahre des Gaza-Krieges haben Israelis und Palästinenser ins Leid gestürzt und Machtstrukturen in der Region verändert, aber eines haben sie nicht hervorgebracht: einen klaren Sieger. Die Hamas hat den Krieg verloren, aber Israel hat ihn nicht gewonnen. Die islamistische Terrororganisation ist nicht vollständig zerstört – Israels Premier Netanyahu hat damit sein oberstes Kriegsziel verfehlt.
Die vereinbarte Feuerpause soll den verbliebenen Hamas-Geiseln in wenigen Tagen die Freiheit und den Menschen im Gaza-Streifen ein Ende des Kriegsleids bringen. Das ist viel wert. Doch neue politische Ansätze für eine Lösung des Konflikts gibt es nicht. Selbst nach den Massstäben der Konfliktregion Nahost schuf der Gaza-Krieg neue Abgründe an Brutalität, Hass und Verblendung. Rund 1200 Israelis wurden von der Hamas getötet, 250 weitere entführt und jahrelang in dunklen Verliessen in Ketten gelegt. Israel tötete im Gaza-Streifen fast 70'000 Menschen.
US-Präsident Donald Trump verdient deshalb Anerkennung für seinen persönlichen Einsatz in den Verhandlungen. Er hofft auf den Friedensnobelpreis, der heute Freitag vergeben wird. Was immer Trumps Motive waren: Anders als in den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit und anders als sein Vorgänger Joe Biden zog Trump zuletzt klare Grenzen nicht nur für die Hamas, sondern auch für Israel, das auf Geld, Waffen und politische Unterstützung der USA angewiesen ist. Hätte Biden so entschlossen gehandelt, wäre ein Kriegsende schon im vergangenen Jahr möglich gewesen.
Es gab drei konkrete Gründe, warum die Einigung nach vielen vergeblichen Versuchen jetzt gelang.
Druck
Anders als bei vorherigen Anläufen blieben die einflussreichsten Akteure diesmal konsequent und kontinuierlich bei der Sache. US-Präsident Donald Trump, der sonst schnell das Interesse an komplizierten Problemen verliert, drängte Israel und die Hamas immer wieder zu einer schnellen Einigung. Trump, Witkoff und Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner hätten Israel unter Druck gesetzt, während Kataris, Ägypter und Türken bei der Hamas die Daumenschrauben ansetzten.
«Das war brillant», sagt der israelische Hamas-Kenner und frühere Geisel-Unterhändler Gershon Baskin zu CH Media. Nach Informationen von Baskin sassen sich die Vertreter Israels und der Hamas bei der entscheidenden Gesprächsrunde in Scharm el-Scheich gegenüber – zum ersten Mal überhaupt seien Unterhändler von Israel und Hamas gleichzeitig in einem Raum gewesen.
Beschränkung
Die Vermittler und die beiden Kriegsparteien verzichteten in Scharm el-Scheich darauf, ein Gesamtpaket zu schnüren. Trumps 20-Punkte-Plan sieht ausser der Feuerpause und der Geisel-Freilassung auch den israelischen Rückzug aus Gaza, die Entwaffnung der Hamas, die Errichtung einer neuen Verwaltung in Gaza und den Einsatz einer Schutztruppe aus arabischen und islamischen Staaten vor. Diese Vorhaben wurden in Scharm el-Scheich zugunsten einer schnellen Einigung auf eine Feuerpause, die Freilassung von Geiseln und palästinensischen Häftlingen sowie einem israelisch Teil-Rückzug ausgeklammert.
Garantien
Eine Bedingung der Hamas für eine Einigung waren Sicherheitsgarantien. Die Terrorgruppe weiss, dass sie mit der Freilassung der Geiseln ihr einziges Druckmittel gegen das militärisch überlegene Israel aus der Hand gibt. Deshalb pochte die Hamas in Scharm el-Scheich auf wasserfeste Zusagen dafür, dass Israel den Krieg nach Freilassung der Geiseln nicht fortsetzt. Im März war eine Gaza-Feuerpause gescheitert, weil Israel die Kämpfe wieder aufnahm. US-Präsident Trump erklärte nun, er werde alles daran setzen, dass Israel den Krieg nicht wieder beginnt.
Ob dieses Versprechen auch schriftlich festgehalten wurde, blieb am Donnerstag noch unklar. Die Hamas-Delegation war jedenfalls offenbar zufrieden mit den Zusagen.
Wenn die jetzt ausgehandelte Feuerpause hält, müssen die Vermittler die beiden Kriegsparteien zu neuen Zugeständnissen bewegen, damit der Krieg nicht neu aufflammt. Diese Verhandlungen dürften noch schwieriger werden als die Gespräche der vergangenen Tage, denn dann geht es ums Eingemachte: die Entwaffnung der Hamas, die Zusammensetzung der künftigen Regierung von Gaza, eine langfristige Lösung für das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern. Die Einigung auf eine Feuerpause ist historisch – aber nicht genug.