International
Analyse

Waffenstillstand in Gaza: Historisch, aber nicht genug

Palestinians celebrate following the announcement that Israel and Hamas have agreed to the first phase of a peace plan to pause the fighting, in Khan Younis, southern Gaza Strip, Thursday, Oct. 9, 202 ...
Jubel in Gaza: Endlich werden die Waffen schweigen.Bild: keystone
Analyse

Waffenstillstand in Gaza: Historisch, aber nicht genug

Drei konkrete Gründe, warum die Einigung jetzt möglich wurde – und welche Probleme ungeklärt bleiben.
10.10.2025, 06:2210.10.2025, 07:46
Thomas Seibert, Istanbul / ch media

Der 7. Oktober 2023 und der 9. Oktober 2025 markieren Anfang und Ende der grössten Umwälzung im Nahen Osten seit Jahrzehnten. Die zwei Jahre des Gaza-Krieges haben Israelis und Palästinenser ins Leid gestürzt und Machtstrukturen in der Region verändert, aber eines haben sie nicht hervorgebracht: einen klaren Sieger. Die Hamas hat den Krieg verloren, aber Israel hat ihn nicht gewonnen. Die islamistische Terrororganisation ist nicht vollständig zerstört – Israels Premier Netanyahu hat damit sein oberstes Kriegsziel verfehlt.

Die vereinbarte Feuerpause soll den verbliebenen Hamas-Geiseln in wenigen Tagen die Freiheit und den Menschen im Gaza-Streifen ein Ende des Kriegsleids bringen. Das ist viel wert. Doch neue politische Ansätze für eine Lösung des Konflikts gibt es nicht. Selbst nach den Massstäben der Konfliktregion Nahost schuf der Gaza-Krieg neue Abgründe an Brutalität, Hass und Verblendung. Rund 1200 Israelis wurden von der Hamas getötet, 250 weitere entführt und jahrelang in dunklen Verliessen in Ketten gelegt. Israel tötete im Gaza-Streifen fast 70'000 Menschen.

US-Präsident Donald Trump verdient deshalb Anerkennung für seinen persönlichen Einsatz in den Verhandlungen. Er hofft auf den Friedensnobelpreis, der heute Freitag vergeben wird. Was immer Trumps Motive waren: Anders als in den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit und anders als sein Vorgänger Joe Biden zog Trump zuletzt klare Grenzen nicht nur für die Hamas, sondern auch für Israel, das auf Geld, Waffen und politische Unterstützung der USA angewiesen ist. Hätte Biden so entschlossen gehandelt, wäre ein Kriegsende schon im vergangenen Jahr möglich gewesen.

Es gab drei konkrete Gründe, warum die Einigung nach vielen vergeblichen Versuchen jetzt gelang.

Druck

Anders als bei vorherigen Anläufen blieben die einflussreichsten Akteure diesmal konsequent und kontinuierlich bei der Sache. US-Präsident Donald Trump, der sonst schnell das Interesse an komplizierten Problemen verliert, drängte Israel und die Hamas immer wieder zu einer schnellen Einigung. Trump, Witkoff und Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner hätten Israel unter Druck gesetzt, während Kataris, Ägypter und Türken bei der Hamas die Daumenschrauben ansetzten.

A person wears a mask depicting U.S. President Donald Trump as relatives and supporters of Israeli hostages held by Hamas in the Gaza Strip celebrate following the announcement that Israel and Hamas h ...
Feierlichkeiten am zentralen Platz in Tel Aviv – und ein Mann mit Trump-Maske mittendrin.Bild: keystone

«Das war brillant», sagt der israelische Hamas-Kenner und frühere Geisel-Unterhändler Gershon Baskin zu CH Media. Nach Informationen von Baskin sassen sich die Vertreter Israels und der Hamas bei der entscheidenden Gesprächsrunde in Scharm el-Scheich gegenüber – zum ersten Mal überhaupt seien Unterhändler von Israel und Hamas gleichzeitig in einem Raum gewesen.

Beschränkung

Die Vermittler und die beiden Kriegsparteien verzichteten in Scharm el-Scheich darauf, ein Gesamtpaket zu schnüren. Trumps 20-Punkte-Plan sieht ausser der Feuerpause und der Geisel-Freilassung auch den israelischen Rückzug aus Gaza, die Entwaffnung der Hamas, die Errichtung einer neuen Verwaltung in Gaza und den Einsatz einer Schutztruppe aus arabischen und islamischen Staaten vor. Diese Vorhaben wurden in Scharm el-Scheich zugunsten einer schnellen Einigung auf eine Feuerpause, die Freilassung von Geiseln und palästinensischen Häftlingen sowie einem israelisch Teil-Rückzug ausgeklammert.

Garantien

Eine Bedingung der Hamas für eine Einigung waren Sicherheitsgarantien. Die Terrorgruppe weiss, dass sie mit der Freilassung der Geiseln ihr einziges Druckmittel gegen das militärisch überlegene Israel aus der Hand gibt. Deshalb pochte die Hamas in Scharm el-Scheich auf wasserfeste Zusagen dafür, dass Israel den Krieg nach Freilassung der Geiseln nicht fortsetzt. Im März war eine Gaza-Feuerpause gescheitert, weil Israel die Kämpfe wieder aufnahm. US-Präsident Trump erklärte nun, er werde alles daran setzen, dass Israel den Krieg nicht wieder beginnt.

People react as they celebrate following the announcement that Israel and Hamas have agreed to the first phase of a peace plan to pause the fighting, at a plaza known as hostages square in Tel Aviv, I ...
Jubel in Israel.Bild: keystone

Ob dieses Versprechen auch schriftlich festgehalten wurde, blieb am Donnerstag noch unklar. Die Hamas-Delegation war jedenfalls offenbar zufrieden mit den Zusagen.

Wenn die jetzt ausgehandelte Feuerpause hält, müssen die Vermittler die beiden Kriegsparteien zu neuen Zugeständnissen bewegen, damit der Krieg nicht neu aufflammt. Diese Verhandlungen dürften noch schwieriger werden als die Gespräche der vergangenen Tage, denn dann geht es ums Eingemachte: die Entwaffnung der Hamas, die Zusammensetzung der künftigen Regierung von Gaza, eine langfristige Lösung für das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern. Die Einigung auf eine Feuerpause ist historisch – aber nicht genug.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Zwei Jahre Gaza-Krieg
1 / 5
Zwei Jahre Gaza-Krieg

Am 7. Oktober 2023 sterben beim Angriff der Hamas auf Südisrael 1200 Menschen. Als Reaktion fallen am 10. Oktober die ersten Bomben auf Gaza

Auf Facebook teilenAuf X teilen
Zwei Jahre Gaza-Krieg: Die wichtigsten Momente im Video
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
74 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
N. Y. P.
10.10.2025 06:37registriert August 2018
Da Netanjahu innenpolitisch enorm unter Druck ist, musste er jetzt dieses Geiselproblem lösen.

Der Preis: 3000 Palästinenser aus den israelischen Gefängnissen entlassen. Einen "Friedensvertrag" unterzeichnen, obwohl er weiterhin Krieg will.

Meiner Meinung nach, sobald die Geiseln frei sind, wartet Netanjahu gemütlich auf die erste Provokation und schickt dann sein Militär wieder in den Krieg.

P.S. Die Regierung Netanjahu hat wieder Siedlungsprojekte bewilligt, die eine Zweistaatenlösung verhindern. Diese Siedlungen teilen das Westjordanland in 2 Hälften !
7429
Melden
Zum Kommentar
avatar
uicked
10.10.2025 07:18registriert Oktober 2017
Frieden für 5 Jahre. Dann kommt wieder jemand der meint Plastikrohr-Raketen nach Israel zu fliegen sei eine schlaue Idee und wir sind wieder voll dabei.
4718
Melden
Zum Kommentar
avatar
Celtic Swiss
10.10.2025 07:13registriert Juni 2024
Verträge und Versprechungen der MAGA-USA 2025 sind nichts wert!
4125
Melden
Zum Kommentar
74
Kampf «bis zum Ende»: Peking droht US-Regierung wegen Handelskrieg
China hat seine Absicht bekräftigt, den Handelsstreit mit den USA bis zum Ende auszufechten. Das Handelsministerium in Peking teilte mit, die Volksrepublik bleibe im «Handels- und Zollkrieg» konsequent bei ihrer Position: Sollte «gekämpft» werden, werde man dies bis zum Ende tun. Seitens China stehe die Tür für Verhandlungen aber offen.
Zur Story