Wo ist Melania Trump? Es ist die Frage, die in diesem Wahlkampf zu so etwas wie einem Running Gag wurde. In den Vereinigten Staaten gehört die Inszenierung der Familien der Kandidaten schliesslich zu Präsidentschaftswahlen dazu. Die ehemalige First Lady hat sich dem lange entzogen.
Kamala Harris' Nichten standen auf dem Parteitag in Chicago auf der Bühne, genau wie die Stiefkinder und ihr Mann Doug Emhoff. Als Second Gentleman ist er fast genauso viel im Land unterwegs wie Harris selbst, um überall Werbung für seine Frau zu machen. Auch Donald Trump hatte seine Familie beim Parteitag in Milwaukee im Juli um sich versammelt. Seine Söhne sprachen, zwei seiner Enkelinnen und Enkel waren da, eine hielt eine Rede, die vierjährige Tochter von Eric Trump sass bei Donald Trump auf dem Schoss.
Auch Melania Trump war zwar in Milwaukee. Doch sie hielt keine Rede. Als sie schliesslich mit ihrem Mann auf der Bühne stand, schien sie seinem Kuss ausweichen zu wollen. Es passte ins Bild, das man von dem öffentlichen Ehepaar Trump hat: Melania Trump, die sich von ihrem Mann abwendet. Melania Trump, die Donald Trumps Hand wegschlägt. Vor allem aber: Melania Trump, die abwesend ist.
Der Trump-Clan spielt in Trumps Ambition, noch einmal Präsident zu werden, eine enorme strategische Rolle. Schwiegertochter Lara ist Co-Vorsitzende der Republikanischen Partei, Sohn Donald Jr. hat massgeblich auf die Entscheidung für J. D. Vance als Vizepräsidentschaftskandidat eingewirkt. Jeder hat seine Rolle. Bei wem das nicht der Fall ist, der wird wie die einstige Lieblingstochter Ivanka, die sich nach der verlorenen Wahl so weit es ging von ihrem Vater entfernt hat, dagegen nicht mehr gross in Szene gesetzt. Womit man bei der schwierigen Rolle von Melania Trump wäre.
Die Ex-First-Lady muss auf jedem Familienfoto neben Donald Trump stehen. Das ist ihr Platz. Solange Trump nach seiner Niederlage 2020 ein Golf spielender und twitternder Ex-Präsident war, war völlig egal, ob Melania Trump diesen Platz aus Überzeugung oder nur noch pseudomässig besetzte – oder ob des Ehevertrages, wie nicht wenige spotteten. Abgesehen von Michelle Obama interessieren die Ex-First-Ladies in den USA niemanden mehr, wenn man mal von den diversen Wohltätigkeitsorganisationen absieht, die von ihnen in aller Regel auch nach ihrem Auszug aus dem Weissen Haus unterstützt werden. Melania Trump engagiert sich für die Belange von Kindern.
Nun aber ist Donald Trump wieder Präsidentschaftskandidat. Und so wie Doug Emhoff Interviews gibt, bei Baseballspielen sitzt, auf Spendenveranstaltungen spricht und in Cafés in Battleground-States vorbeischaut, hätte es der normalen Dynamik entsprochen, wenn auch Melania Trump die Privatheit gegen die Wahlkampfmühen getauscht hätte. Aber die schon als First Lady so unnahbar wirkende Trump schien darauf keine Lust zu haben.
Als Trump Ende November 2023 seine erneute Kandidatur verkündete, kam Melania Trump kurz auf die Bühne. Vereinzelt wurde die 54-Jährige bei Fundraisern in Mar-a-Lago gesehen, aber wichtigen Momenten wie dem Super Tuesday im Vorwahlkampf oder der TV-Debatte ihres Mannes mit Joe Biden blieb sie fern. Sie sei eben sehr privat, rechtfertigte Trump die Abwesenheit seiner Frau. Das würde ihre Faszination ausmachen. Im Wahlkampf aber gewinnt man mit Rätselhaftem eher keine Stimmen.
— MELANIA TRUMP (@MELANIATRUMP) July 14, 2024
Erst nach dem Anschlag auf Trump Mitte Juli ging Melania Trump mit einer schriftlichen Stellungnahme an die Öffentlichkeit. Darin spiegelte sich, was Trump selbst in den Tagen nach dem Anschlag suggerierte: dass das Land über Parteigrenzen hinaus zusammenkommen müsse. «Politik und politische Spiele sind der Liebe unterlegen», schrieb Melania Trump. Ein neuer Ton im Trump-Wahlkampf? Bei Trump selbst hielt er nicht lange an, er ist bei seinen Auftritten und Reden zu einer oftmals hetzenden, hasserfüllten Rhetorik zurückgekehrt.
Und zurückgekehrt ist dann schliesslich auch Melania Trump. Wenige Wochen vor der Wahl sucht sie die Öffentlichkeit wieder. Es ist ein strategisches Comeback. Fast zwei Jahre hat Melania Trump keine Interviews gegeben. Nun hat sie Fox News gleich mehrere innerhalb kürzester Zeit gewährt. Das erste erschien Ende September, darauf folgte in diesen Tagen ein weiteres und dann noch ein Auftritt in einer Talkshowrunde des Senders. Ihr Buch Melania, das in dieser Woche erschienen ist, will beworben werden. Genau wie die Kandidatur ihres Mannes. Alle Gespräche liefen in freundlichster Atmosphäre ab. Die ehemalige First Lady bekam die Chance, unwidersprochen alles zu sagen, was ihr nach langem Schweigen wichtig war. Besonders viel ist es nicht.
Die Hauptbotschaft ist: Donald Trump wird Amerika wieder zu «Wohlstand, Sicherheit und Grösse» führen. Es seien die politischen Gegner und die Mainstream-Medien, die Trump verunglimpfen würden. Auch über Wirtschaft und Einwanderung spricht sie in ihren Auftritten, es sind eingeübte Sätze. Trump-Rhetorik, für die Melania Trump nur deutlich weniger Worte als ihr Mann braucht.
Aber Melania Trump ist nicht in den Wahlkampf zurückgekehrt, um feurige politische Reden zu halten. Persönliche Einblicke will sie bieten, Trump den Bürgern als Mensch nahebringen. Und so vielleicht eine wichtige Zielgruppe erreichen, bei der Trump laut allen Umfragen gegenüber Kamala Harris deutlich im Nachteil ist: Frauen. Nur kann das mit Melania Trump funktionieren, die so lange abwesend war und den Menschen wenige Chancen gibt, sich ein Bild von ihr zu machen? Und mit ihrer Couture-Mode und Modelbiografie wenig mit der durchschnittlichen Wählerin gemein hat?
Noch bevor ihr Buch zu kaufen war, wurde gezielt eine Episode daraus vorab lanciert: dass Melania Trump für das Recht von Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch eintritt. Ausgerechnet bei diesem für die Demokraten so wichtigen Thema stellt sie sich gegen ihren Mann und die Republikanische Partei. Dann, so könnte man als Wählerin hoffen, wird es ja vielleicht doch alles nicht so schlimm mit dem Selbstbestimmungsrecht unter einem möglichen Präsidenten Trump. Wenn doch selbst seine Frau für dieses individuelle Recht eintritt. Man sollte sich von diesem durchschaubaren Manöver nicht täuschen lassen.
Melania Trump sagt, es sei reiner Zufall, dass das Thema nun auftauchen würde. Schliesslich sei das Buch schon Monate im Voraus geschrieben worden. Ein Veröffentlichungsdatum vier Wochen vor der Wahl sagt etwas anderes. In den freundlichen Fox-Interviews darauf angesprochen, sagte Trump, ihr Mann habe ihre Haltung in dieser Frage schon immer gekannt. «Er lässt mich sein, wie ich bin. Und ich lasse ihn sein, wie er ist. Er hat andere Ansichten.» Dass sie Einfluss auf ihren Mann in dieser Frage nehmen würde oder überhaupt wolle, klingt nicht durch.
Sie wolle authentisch sein, sagt Melania Trump. Dazu scheint auch zu gehören, dass sie sich aus den politischen Belangen ihres Mannes weitestgehend heraushält. Ob sie keine Sorge habe, dass es Menschen gibt, die Donald Trump aufgrund des Abtreibungsthemas nicht wählen würden, fragt eine Moderatorin. Trumps Antwort ist knapp, fast, als wäre es ihr egal. «Nein, ich bin nicht besorgt.»
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— MELANIA TRUMP (@MELANIATRUMP) September 5, 2024
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Wenige Auftritte mit genau abgezirkelten Themen sind das, was die Ex-First-Lady in diesen letzten Wochen vor dem 5. November einbringt. Ihre Wahrheit nennt sie das. Auch das passt gut in die Strategie. In einem Moment, in dem es darum geht, letzte Unentschlossene zu erreichen, zeigt man sie als selbstbewusste und selbstbestimmte Frau an Trumps Seite – und lässt ihn damit vermeintlich weniger misogyn erscheinen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass Melania Trumps Last-minute-Wahlkampfhilfe ihrem Mann tatsächlich nützt. Auch, weil es selten glaubwürdig wirkt.
Melania Trump spricht über «das Wunder», dass ihr Mann zwei Anschläge überlebt hat und das Land ihn braucht. Darüber, dass der Ex-Präsident ein Familienmensch sei, ein warmherziger Mann, der sein Land liebe. Dass der vielleicht manchmal ein bisschen tough rüberkomme und man nicht alle Social-Media-Postings mögen müsse. Aber er verteidige sich ja nur gegen all die Angriffe und Kritik.
Ein Mann eben, der wählbar ist, auch für Frauen. Die ehemalige First Lady bleibt bei all ihren Auftritten nur so emotionslos, dass sie ähnlich starr und unwirklich wie die Kulissen der Fernsehstudios wirkt. Die Maske bleibt intakt.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Ob sie mir leid tut, die dritte Frau des Narzissten Trump, weiss ich nicht so recht. Sie hat ihn geheiratet und konnte wissen, auf wen sie sich einlässt; es wird behauptet, sie werde dafür fürstlich honoriert. Trotzdem hat man oft den Eindruck, dass die “Motivation“ für die ihr zugedachte Rolle nicht sehr gross ist …
Für mich dient sie als gutes Beispiel dafür, dass man seinen Mann besser nicht nach der Grösse des Portemonnaies auswählt.