Olaf Scholz befindet sich derzeit auf einer Reise durch Südamerika. Der leidigen Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine aber kann der deutsche Bundeskanzler auch dort nicht entkommen. Erst letzte Woche hatte er nach langem Zögern der Lieferung von Leopard-Panzern zugestimmt, und nun wird bereits über Kampfjets debattiert.
Beides galt für die westlichen Länder lange als Tabu. Zu gross war die Furcht, dass die Nato in den Konflikt hineingezogen würde. Er müsse als Bundeskanzler «alles dafür tun, dass aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine kein Krieg wird zwischen Russland und der Nato», sagte Scholz in einem Interview mit dem «Tagesspiegel».
Bei den Leopard-Panzern hatte er auf eine breite Allianz insbesondere mit Beteiligung der USA gedrängt, die am Ende auch zustande kam. Die Lieferung von Kampfjets hingegen bezeichnete er noch am letzten Mittwoch im Bundestag als «rote Linie». Doch da war die Debatte nach entsprechenden Forderungen aus Kiew längst in Gang gekommen.
Selbst in Deutschland häufen sich Wortmeldungen, wonach Kampfjets für die Ukraine kein Tabu sein dürfen. SPD-Chefin Saskia Esken, die zum linken Parteiflügel zählt, wollte eine Lieferung am Sonntag in der ARD nicht ausschliessen. An einer Medienkonferenz in Santiago de Chile ärgerte sich Olaf Scholz über diese «eigenwillige» Debatte.
Verhindern kann er sie nicht, denn in den letzten Tagen haben sich mehrere Länder offen für eine Kampfjet-Weitergabe gezeigt. Am deutlichsten äusserte sich wie so oft Polen, der wichtigste Unterstützer der Ukraine in der Nato. Der niederländische Aussenminister Wopke Hoekstra erklärte letzte Woche im Parlament die Bereitschaft zur Lieferung von F-16-Jets.
Die Niederlande verfügen gemäss CNN noch über 24 F-16, die nun durch den modernen F-35 ersetzt werden, für den sich auch die Schweiz entschieden hat. Voraussetzung für eine Weitergabe an die Ukraine sei die Zustimmung der USA, sagte Hoekstra. Diese könnte schon bald erfolgen, denn in Washington schliesst man Kampfjet-Lieferungen nicht aus.
«Wir werden das sehr sorgfältig diskutieren», sagte Jon Finer, der stellvertretende Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, letzte Woche dem Sender MSNBC. Innerhalb des Pentagon gibt es gemäss dem stets gut informierten Portal Politico zwei Sichtweisen: Ein Teil der Beamten will mehr Luftabwehrsysteme zur Verfügung stellen, andere propagieren den F-16.
US-Präsident Biden selbst jedoch schliesst die Lieferung eigener F-16 momentan aus. Auf die Frage einer Reporterin: «Werden die USA der Ukraine F-16 zur Verfügung stellen?», antwortete Biden am Montag in Washington mit «Nein».
Das Kampfflugzeug von Hersteller Lockheed Martin ist seit Jahrzehnten in grosser Stückzahl im Einsatz. Er könnte den Ukrainern bei der Verteidigung ihres Luftraums und der Bekämpfung der russischen Invasoren einen beträchtlichen Vorteil verschaffen. Bislang gelang es keiner der beiden Kriegsparteien, die Lufthoheit über der Ukraine zu erringen.
Russland verfügt – vermeintlich – über eine grosse Flotte moderner Kampfjets, doch sie werden nur selektiv und in letzter Zeit immer seltener eingesetzt. Das liegt nicht zuletzt an der Lieferung von westlichen Luftabwehrsystemen. Diese werden primär zum Abschuss russischer Raketen und Marschflugkörper verwendet, die auf zivile Ziele abgefeuert werden.
Im Pentagon ist man gemäss Politico besorgt, dass der Ukraine die Munition ausgehen könnte. Kampfjets wären demnach eine Lösung, denn auch sie könnten Raketen und Drohnen abfangen und vor allem viel flexibler agieren. Allerdings warnen Analysten, dafür müssten die russischen Abwehrsysteme S-400 und S-300 ausgeschaltet werden.
Kritiker fragen sich auch, ob die Ukrainer die F-16 innert nützlicher Frist beherrschen können. Kiew hat jedoch offenbar eine Liste mit bis zu 50 erfahrenen Piloten erstellt, die Englisch sprechen und innerhalb von drei Monaten ausgebildet werden könnten. Viele von ihnen hätten an gemeinsamen Militärübungen mit den Amerikanern teilgenommen.
Als Alternative zum US-Jet steht ausserdem die Weitergabe von sowjetischen MiG-29 und Su-27 zur Debatte, die von der ukrainischen Luftwaffe schon heute eingesetzt werden. Die Slowakei hat die Bereitschaft zur Verlegung ihrer MiG-29 in die Ukraine angedeutet, und Polen hat schon letztes Jahr 28 MiG-29 in einem Tausch mit US-Kampfjets angeboten.
Die USA reagierten ablehnend, aus Angst vor einer Eskalation. Diese Hemmschwelle scheint zu fallen. Das liegt auch daran, dass Russland nicht zu ernsthaften Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe bereit ist. Der Kreml verlangt als Bedingung, dass die Annexion der vier Regionen im Osten und Süden anerkannt wird, was für die Ukraine undenkbar ist.
Bei den westlichen Verbündeten hat sich deshalb die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Ukraine ein möglichst breites Arsenal an modernen und effizienten Waffensystemen benötigt. Dazu gehören neben den Himars-Raketenwerfern eben auch Kampfpanzer und Flugzeuge, obwohl sie das Risiko erhöhen, dass der Krieg auf Russland übergreift.
Davor fürchten sich die Deutschen, und deshalb sperrt sich Olaf Scholz gegen Kampfjets und beklagt den «ständigen Überbietungswettbewerb». Ob er seine «rote Linie» halten kann, ist jedoch fraglich. Selbst aus dem bei Waffenlieferungen sehr zurückhaltenden Frankreich gab es letzte Woche Signale, wonach Kampfjets kein Tabu sind.
Da spielen dann Länder wie der Iran und evtl. sogar China eine Rolle.
Und wo wird die Ukraine stoppen, sollte sie die Überhand gewinnen?
Mir gefällt die derzeitige Entwicklung ganz und gar nicht - aber:
Russland resp. Putin darf man nicht einfach gewähren lassen
Ich schreibe das friedlich an meinem Schreibtisch und diskutiere über den Krieg wie über ein besonders umfangreiches Strategiespiel ...
Was macht bloss die Berichterstattung über diesen Krieg aus mir?