Polen will 28 Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 der Ukraine überlassen. Wäre das ein Game-Changer?
Ich bin da skeptisch. Die Ukraine bräuchte für die Kampfflugzeuge Piloten und das Wartungspersonal. Aktuell wissen wir wenig über den Zustand der ukrainischen Luftwaffe. Es ist schwierig zu bewerten, wie effektiv und wie schnell die MiG-29 ins ukrainische Dispositiv aufgenommen werden könnten. Grundsätzlich kann man aber sagen, diese Kampfjets wären von Nutzen für die Ukraine. Damit könnte man die russische Luftwaffe abfangen und den Kampf in der Luft zu einem gewissen Grad offen halten. Luftabwehrsysteme scheinen aktuell aber effektiver zu sein, um die russische Luftwaffe zu bekämpfen.
Könnte die Ukraine aus der Luft den russischen Konvoi vor Kiew angreifen? Oder ist die russische Luftabwehr da zu stark?
Russland hat mehr Luftabwehr als jeder Nato-Staat. Im Gegensatz zur Nato hat Russland nie aufgehört, in die Luftabwehr zu investieren. Russland hat Luftabwehrsysteme mit einer sehr hohen Reichweite wie die S-400 und die S-300, die Objekte in einer Entfernung von 400 beziehungsweise 300 Kilometer treffen können. Die Vielfältigkeit der Luftabwehrsysteme ist viel grösser als im Westen, auch auf kurze Distanz sind die Russen gut ausgerüstet.
Ein Luftangriff auf den Konvoi wäre also gefährlich für die ukrainischen Piloten.
Es stellt sich die Frage, ob der Konvoi überhaupt ein opportunes Ziel ist. Die Ukrainer können die Nordwest-Bezirke von Kiew immer noch halten, der Konvoi steckt sowieso noch im Stau. Und ja, man muss davon ausgehen, dass dieser Konvoi gut durch die russische Luftabwehr geschützt ist. Es gibt aber noch ein anderes Problem.
Welches?
Die MiG-29, welche die Ukraine vor und während dem Krieg geflogen ist, wurde nur im Luft-Luft-Kampf eingesetzt. Selbst wenn die Varianten aus Polen für den Luft-Boden-Kampf geeignet wären, ist fraglich, ob die ukrainischen Piloten dazu überhaupt ausgebildet sind.
Was ist die Motivation Polens, diese Kampfjets der Ukraine zu überlassen?
Da gibt es wahrscheinlich mehrere Motive.
Die wären?
Zum einen will Polen die Ukraine tatsächlich unterstützen. Dann will man auch sicher ein politisches Zeichen setzen: Polen steht hinter der Ukraine und tut alles, was im Rahmen des Möglichen ist. Und dann gibt es noch eine dritte Motivation: Polen geht nämlich davon aus, dass die USA die MiG-29 ersetzen werden. Wahrscheinlich durch F-16-Jets. Für Polen geht es also auch darum, das eigene Inventar zu modernisieren.
Welches Motiv spielt die grösste Rolle?
Das kann ich nicht sagen. Ein Zyniker würde die drei Motive auf eine gewisse Art ranken und ein polnischer Regierungsvertreter auf eine andere Art.
Die USA haben dem Vorschlag Polens eine Abfuhr erteilt. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Kampfjets zu liefern ist eine ganz andere Hausnummer, als Panzerabwehrwaffen zu liefern. Das ist sicher ein Grund, weshalb die USA zur Beruhigung vieler Beobachterinnen und Beobachter diese Lieferung nicht durchführen will. Zudem weiss man gar nicht, wie man die Kampfjets in die Ukraine bringen soll.
Was gäbe es denn da für Optionen?
Polen wollte die Kampfjets zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland fliegen. Von dort müssen sie aber immer noch irgendwie in die Ukraine kommen. Auf dem Landweg ginge das vielleicht. Dafür müsste man sie aber wahrscheinlich auseinander bauen, um sie auf Sattelschlepper zu laden. Dann müsste man sie zu ukrainische Luftwaffenbasen fahren. Davon bekämen die Russen Wind und würden die Luftwaffenbasen wahrscheinlich mit ballistischen Raketen beschiessen.
Wie sieht es mit einer Lieferung per Luft aus?
Man kann nicht über Nato-Territorium aufsteigen, in die Ukraine fliegen und annehmen, dass die Russen das nicht als Intervention wahrnehmen. Nicht zu Unrecht, wie ich finde. Woher sollen die Russen wissen, dass diese Flugzeuge nicht bewaffnet sind? Woher sollen die Russen wissen, welche Nationalität die Piloten haben?
Der Transfer der Flieger könnte den Krieg weiter eskalieren lassen.
Das ist hochbrisant. Die Lieferung der Kampfjets ist sehr gefährlich – diese Einschätzung scheint die USA zu teilen.
Ist denn die Gefahr gestiegen, dass Putin die Nato auch als Kriegspartei sieht?
Wir wissen aktuell nicht, wo die Schmerzgrenze der Russen liegt und was sie als eine Nato-Intervention deuten. Aber ein weiterer Punkt, bei dem man sich Sorgen machen muss, dass ihn die Russen nicht in den falschen Hals bekommen, sind die westlichen Freiwilligen, die jetzt in die Ukraine ziehen. Wenn sich beispielsweise amerikanische Veteranen, die im Irak und in Afghanistan gedient haben, in Zug- oder sogar Kompaniegrösse zusammentun, wie dies scheinbar mancherorts geplant wird, und geschlossen in die Ukraine ziehen, dann wissen wir nicht, wie genau das in Moskau gelesen wird.
Wie beurteilen Sie die Lage der russischen Armee? Hat sie sich nach anfänglichen Unzulänglichkeiten gefangen?
Die Einschätzung, dass die russische Armee inkompetent wäre und die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird, ist verfrüht. Wir haben eine Invasionseröffnung unter extrem naiven politischen und strategischen Grundannahmen gesehen. In den vergangenen Tagen gab es bei der russischen Armee jedoch einen Anpassungsprozess.
Was bedeutet das für den weiteren Kriegsverlauf?
Ich vermute, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen methodischere, besser koordinierte und dadurch auch langsamere russische Offensiven sehen. Man darf nicht vergessen, dass Russland im Süden des Landes deutliche Fortschritte gemacht hat. Es ist zu früh, die russische Armee abzuschreiben.
Putin ist in die Enge gedrängt und zu allem entschlossen. Solche Autokraten sind die gefährlichsten. Russland ist die grösste Atommacht der Welt und hat bald nichts mehr zu verlieren. Wenn die NATO nun Flugzeuge sendet, dann könnte Russland versucht sein, dies als Kriegseintritt zu taxieren.
Weiter machen Kampfjets ohne geschultes Bodenpersonal und Piloten Null Sinn. Und in der Ukraine sind die meisten Startbahnen unbrauchbar. Kampfflugzeuge machen daher wenig Sinn.
Die Ukrainer greifen aber meist nicht die Kampftruppen an, sondern die Versorgungslastwagen. Ohne Treibstoff bleiben die Panzer einfach stehen. Und auch stehende Fahrzeuge müssen den Motor laufen lassen, damit ihre Systeme funktionieren.
Ohne Treibstoff ist fertig lustig. Die Ukraine konnte schon viele Fahrzeuge erbeuten, die von den Russen aufgegeben wurden.