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Interview

Ukraine: «Die Lieferung der Kampfjets ist sehr gefährlich»

FILE - Two Polish Air Force Russian made Mig 29's fly above and below two Polish Air Force U.S. made F-16's fighter jets during the Air Show in Radom, Poland, on Aug. 27, 2011. In a private  ...
Polnische Mig-29 und F-16 während einer Luftshow in Radom.Bild: keystone
Interview

Brisanter Vorschlag Polens: «Die Lieferung der Kampfjets ist sehr gefährlich»

Russland-Experte Niklas Masuhr spricht mit watson über die Idee, polnische Kampfjets in die Ukraine zu liefern. Warum er das Vorhaben für «sehr gefährlich» hält und Bedenken hat wegen der Freiwilligen, die jetzt in die Ukraine ziehen.
09.03.2022, 19:2711.03.2022, 05:43
Corsin Manser
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Polen will 28 Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 der Ukraine überlassen. Wäre das ein Game-Changer?
Ich bin da skeptisch. Die Ukraine bräuchte für die Kampfflugzeuge Piloten und das Wartungspersonal. Aktuell wissen wir wenig über den Zustand der ukrainischen Luftwaffe. Es ist schwierig zu bewerten, wie effektiv und wie schnell die MiG-29 ins ukrainische Dispositiv aufgenommen werden könnten. Grundsätzlich kann man aber sagen, diese Kampfjets wären von Nutzen für die Ukraine. Damit könnte man die russische Luftwaffe abfangen und den Kampf in der Luft zu einem gewissen Grad offen halten. Luftabwehrsysteme scheinen aktuell aber effektiver zu sein, um die russische Luftwaffe zu bekämpfen.

Könnte die Ukraine aus der Luft den russischen Konvoi vor Kiew angreifen? Oder ist die russische Luftabwehr da zu stark?
Russland hat mehr Luftabwehr als jeder Nato-Staat. Im Gegensatz zur Nato hat Russland nie aufgehört, in die Luftabwehr zu investieren. Russland hat Luftabwehrsysteme mit einer sehr hohen Reichweite wie die S-400 und die S-300, die Objekte in einer Entfernung von 400 beziehungsweise 300 Kilometer treffen können. Die Vielfältigkeit der Luftabwehrsysteme ist viel grösser als im Westen, auch auf kurze Distanz sind die Russen gut ausgerüstet.

Niklas Masuhr.
Niklas Masuhr.bild: zvg
Zur Person
Niklas Masuhr ist Forscher im Think-Tank des Center for Security Studies an der ETH Zürich, zuvor erwarb er einen Masterabschluss in strategischen Studien an der Universität Reading. Er ist spezialisiert auf militärische Konkurrenzdynamiken zwischen der NATO und Russland und Machtprojektion im erweiterten Mittelmeerraum.

Ein Luftangriff auf den Konvoi wäre also gefährlich für die ukrainischen Piloten.
Es stellt sich die Frage, ob der Konvoi überhaupt ein opportunes Ziel ist. Die Ukrainer können die Nordwest-Bezirke von Kiew immer noch halten, der Konvoi steckt sowieso noch im Stau. Und ja, man muss davon ausgehen, dass dieser Konvoi gut durch die russische Luftabwehr geschützt ist. Es gibt aber noch ein anderes Problem.

Welches?
Die MiG-29, welche die Ukraine vor und während dem Krieg geflogen ist, wurde nur im Luft-Luft-Kampf eingesetzt. Selbst wenn die Varianten aus Polen für den Luft-Boden-Kampf geeignet wären, ist fraglich, ob die ukrainischen Piloten dazu überhaupt ausgebildet sind.

«Für Polen geht es also auch darum, das eigene Inventar zu modernisieren.»

Was ist die Motivation Polens, diese Kampfjets der Ukraine zu überlassen?
Da gibt es wahrscheinlich mehrere Motive.

Die wären?
Zum einen will Polen die Ukraine tatsächlich unterstützen. Dann will man auch sicher ein politisches Zeichen setzen: Polen steht hinter der Ukraine und tut alles, was im Rahmen des Möglichen ist. Und dann gibt es noch eine dritte Motivation: Polen geht nämlich davon aus, dass die USA die MiG-29 ersetzen werden. Wahrscheinlich durch F-16-Jets. Für Polen geht es also auch darum, das eigene Inventar zu modernisieren.

Welches Motiv spielt die grösste Rolle?
Das kann ich nicht sagen. Ein Zyniker würde die drei Motive auf eine gewisse Art ranken und ein polnischer Regierungsvertreter auf eine andere Art.

«Man kann nicht über Nato-Territorium aufsteigen, in die Ukraine fliegen und annehmen, dass die Russen das nicht als Intervention wahrnehmen.»

Die USA haben dem Vorschlag Polens eine Abfuhr erteilt. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Kampfjets zu liefern ist eine ganz andere Hausnummer, als Panzerabwehrwaffen zu liefern. Das ist sicher ein Grund, weshalb die USA zur Beruhigung vieler Beobachterinnen und Beobachter diese Lieferung nicht durchführen will. Zudem weiss man gar nicht, wie man die Kampfjets in die Ukraine bringen soll.

epa09799017 A still image taken from a handout video released by the Ukrainian Presidential Press Service on 03 March 2022 shows Ukrainian President Volodymyr Zelensky making a statement in Kiev, Ukra ...
Wladimir Selenskyj fordert auch am Mittwoch: «Schickt uns Flugzeuge!»Bild: keystone
Selenskyj will die Kampfjets weiterhin
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich skeptisch gezeigt, dass sein Land tatsächlich polnische Kampfjets vom Typ MiG-29 erhält.

«Wir sind Polen dankbar für die Alternative – für die Bereitschaft, der Ukraine Kampfflugzeuge zu übergeben. Das Problem besteht nur in der Logistik», sagte das Staatsoberhaupt in einer am Mittwoch veröffentlichten Videobotschaft. Das sei von der Sache her ein technisches Problem. «Das muss gelöst werden! Unverzüglich.»

Das polnische Aussenministerium hatte am Dienstagabend mitgeteilt, die Regierung sei bereit, MiG-29-Kampfjets unverzüglich und kostenlos auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland zu verlegen und den USA zur Verfügung zu stellen.

Das US-Verteidigungsministerium bezeichnete den Vorschlag Polens inzwischen als «nicht haltbar». Die Vorstellung, dass Kampfflugzeuge, die dem US-Militär übergeben worden seien, im Krieg mit Russland von einem US- beziehungsweise Nato-Stützpunkt in Deutschland in den umkämpften ukrainischen Luftraum flögen, werfe «ernsthafte Bedenken für das gesamte Nato-Bündnis auf», erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby.

Selenskyj erwähnte die Bedenken der USA und schickte an die Adresse Washingtons hinterher: «Löst das schnell. Schiebt die Verantwortung nicht auf andere, schickt uns Flugzeuge.» (sda/dpa)

Was gäbe es denn da für Optionen?
Polen wollte die Kampfjets zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland fliegen. Von dort müssen sie aber immer noch irgendwie in die Ukraine kommen. Auf dem Landweg ginge das vielleicht. Dafür müsste man sie aber wahrscheinlich auseinander bauen, um sie auf Sattelschlepper zu laden. Dann müsste man sie zu ukrainische Luftwaffenbasen fahren. Davon bekämen die Russen Wind und würden die Luftwaffenbasen wahrscheinlich mit ballistischen Raketen beschiessen.

Wie sieht es mit einer Lieferung per Luft aus?
Man kann nicht über Nato-Territorium aufsteigen, in die Ukraine fliegen und annehmen, dass die Russen das nicht als Intervention wahrnehmen. Nicht zu Unrecht, wie ich finde. Woher sollen die Russen wissen, dass diese Flugzeuge nicht bewaffnet sind? Woher sollen die Russen wissen, welche Nationalität die Piloten haben?

Der Transfer der Flieger könnte den Krieg weiter eskalieren lassen.
Das ist hochbrisant. Die Lieferung der Kampfjets ist sehr gefährlich – diese Einschätzung scheint die USA zu teilen.

Ist denn die Gefahr gestiegen, dass Putin die Nato auch als Kriegspartei sieht?
Wir wissen aktuell nicht, wo die Schmerzgrenze der Russen liegt und was sie als eine Nato-Intervention deuten. Aber ein weiterer Punkt, bei dem man sich Sorgen machen muss, dass ihn die Russen nicht in den falschen Hals bekommen, sind die westlichen Freiwilligen, die jetzt in die Ukraine ziehen. Wenn sich beispielsweise amerikanische Veteranen, die im Irak und in Afghanistan gedient haben, in Zug- oder sogar Kompaniegrösse zusammentun, wie dies scheinbar mancherorts geplant wird, und geschlossen in die Ukraine ziehen, dann wissen wir nicht, wie genau das in Moskau gelesen wird.

«Es ist zu früh, die russische Armee abzuschreiben.»

Wie beurteilen Sie die Lage der russischen Armee? Hat sie sich nach anfänglichen Unzulänglichkeiten gefangen?
Die Einschätzung, dass die russische Armee inkompetent wäre und die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird, ist verfrüht. Wir haben eine Invasionseröffnung unter extrem naiven politischen und strategischen Grundannahmen gesehen. In den vergangenen Tagen gab es bei der russischen Armee jedoch einen Anpassungsprozess.

Was bedeutet das für den weiteren Kriegsverlauf?
Ich vermute, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen methodischere, besser koordinierte und dadurch auch langsamere russische Offensiven sehen. Man darf nicht vergessen, dass Russland im Süden des Landes deutliche Fortschritte gemacht hat. Es ist zu früh, die russische Armee abzuschreiben.

Hier werden 140 ukrainische Geflüchtete in die Schweiz evakuiert

Video: watson/Helene Obrist, Emily Engkent
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106 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Snowy
09.03.2022 19:57registriert April 2016
Hier muss man leider die realpolitischen und geostrategischen Verhältnissen anerkennen:

Putin ist in die Enge gedrängt und zu allem entschlossen. Solche Autokraten sind die gefährlichsten. Russland ist die grösste Atommacht der Welt und hat bald nichts mehr zu verlieren. Wenn die NATO nun Flugzeuge sendet, dann könnte Russland versucht sein, dies als Kriegseintritt zu taxieren.

Weiter machen Kampfjets ohne geschultes Bodenpersonal und Piloten Null Sinn. Und in der Ukraine sind die meisten Startbahnen unbrauchbar. Kampfflugzeuge machen daher wenig Sinn.
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maylander
09.03.2022 19:56registriert September 2018
Die russische Flugabwehr ist aber nicht so effizient. Der grosse Konvoi wurde von längst Drohnen angegriffen, die genau die Luftabwehsysteme zerstörten.
Die Ukrainer greifen aber meist nicht die Kampftruppen an, sondern die Versorgungslastwagen. Ohne Treibstoff bleiben die Panzer einfach stehen. Und auch stehende Fahrzeuge müssen den Motor laufen lassen, damit ihre Systeme funktionieren.
Ohne Treibstoff ist fertig lustig. Die Ukraine konnte schon viele Fahrzeuge erbeuten, die von den Russen aufgegeben wurden.
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John Galt
09.03.2022 19:37registriert November 2014
Ich würde die Flieger auf dem Flugfeld stehen, und den Schlüssel stecken lassen…
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