Ist ein Mitglied des Supreme Court mit einem Urteil des neunköpfigen Gremiums nicht einverstanden, dann tut es dies mit folgender Redewendung kund: «Bei allem Respekt, ich bin anderer Meinung.» Angesichts des jüngsten und skandalösen Urteils verzichtete Richterin Sonia Sotomayor diesmal auf diese Höflichkeitsfloskel. Unmissverständlich hält sie fest:
Sotomayor ist eine der drei demokratischen Richterinnen. Diese hatten gegen die konservative Mehrheit keine Chance. Das Oberste Gericht hat dem Begehren Trumps nach Immunität, selbst wenn dieser nicht mehr im Amt ist, weitgehend nachgegeben.
Dieses Urteil hat weitreichende Folgen für den Rechtsstaat und die Demokratie. Nochmals Richterin Sotomayor: «Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, hat sich unwiderruflich verändert. In seiner offiziellen Funktion ist der Präsident jetzt ein König und steht über dem Gesetz.»
«Niemand darf über dem Gesetz stehen» – bisher ein Tabu der amerikanischen Gesellschaft, das niemand zu verletzen wagte. Schliesslich sind die Vereinigten Staaten im Kampf gegen die englische Monarchie entstanden. Die Furcht, dass sich jemand über dieses Gesetz erheben könnte, begleitet die Amerikaner seit den Anfangszeiten der Republik. Mit Glück und der Weisheit der Gründungsväter konnte ein Rückfall in die Monarchie denn auch verhindert werden.
Das Urteil des Supreme Court hat daher selbst konservative Juristen überrascht. Trumps Begehren nach «absoluter Immunität» wurde als juristisch lächerlich abgetan und einzig als Mittel zum Zweck betrachtet: Damit wollte der Ex-Präsident das Strafverfahren wegen seiner Rolle am 6. Januar 2021 verzögern.
Das ist ihm nun gelungen. Wegen des Urteils des Obersten Gerichtshofes muss die Anklage des Sonderermittlers Jack Smith in dieser Sache von der zuständigen Richterin in Washington nochmals neu verhandelt werden, und dies, obwohl ein Berufungsgericht Trumps Begehren mit Bausch und Bogen abgewiesen hatte – ein Berufungsgericht wohlgemerkt, das aus demokratischen und republikanischen Richterinnen zusammengesetzt war.
Chief Justice John Roberts, der das Urteil der Mehrheit verfasst hat, versucht zwar abzuwiegeln. Die Befürchtungen seiner drei liberalen Kolleginnen seien weit übertrieben, hält er fest. Das Urteil sorge einzig dafür, dass ein Präsident stark und frei entscheiden könne, ohne befürchten zu müssen, nach seinem Auszug aus dem Weissen Haus deswegen vor Gericht gezerrt zu werden. Und es beziehe sich nur auf offizielle Handlungen des Präsidenten.
Diese Rechtfertigung ist mehr als scheinheilig. Tatsache ist, dass der Supreme Court mit diesem Urteil endgültig seine Unabhängigkeit verloren hat und zu einem Vehikel der Politik geworden ist. Laurence Tribe, ein hochgeachteter Verfassungsjurist, spricht in der «New York Times» denn auch davon, dass dieses Urteil das «verrottete System» entlarve.
Das Urteil reiht sich nahtlos in eine Reihe von anderen mehr als zweifelhaften Urteilen, welche der Supreme Court in jüngster Zeit gefällt hat. Obwohl die von Trump installierten Richter bei ihrer Anhörung im Senat hoch und heilig versprochen hatten, bewährte Gesetze nicht anzutasten, hat das Gremium vor zwei Jahren Roe v. Wade aufgehoben. Das Urteil, das die Abtreibung auf nationaler Ebene legalisierte, war mehr als 50 Jahre in Kraft gewesen.
Am letzten Freitag hat der Supreme Court erneut zugeschlagen. Im sogenannten Chevron-Urteil hat er verfügt, dass künftig nicht mehr Experten, sondern Richter darüber entscheiden, wie ein Gesetz im Zweifelsfall auszulegen sei. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise nicht mehr Fachleute der Gesundheitsbehörde bestimmen, wie ein Medikament anzuwenden ist, sondern ein lokaler Richter.
Trump hat selbstverständlich hocherfreut auf das Urteil reagiert und ist bereits zum Gegenangriff übergegangen. Jetzt verlangt er, dass das Urteil in Manhattan wieder aufgehoben wird. Er dürfte damit kaum Erfolg haben, denn der Supreme Court ist grundsätzlich nicht zuständig für die Justiz der einzelnen Bundesstaaten. Am 11. Juli wird der zuständige Richter das Strafmass verkünden. Im schlimmsten Fall drohen Trump mehrere Jahre Haft.
Auch was seine Rolle beim Sturm aufs Kapitol betrifft, ist Trump noch nicht aus dem Schneider. Zu einem Strafprozess wird es vor den Wahlen nicht mehr kommen. Tanya Chutkan, die zuständige Bezirksrichterin in Washington, muss jetzt jedoch abklären, inwiefern Trump in offizieller Funktion gehandelt hat und wie weit private Interessen im Spiel waren. Zu diesem Zweck wird Chutkan voraussichtlich im September ein mehrwöchiges Hearing durchführen. Auch wenn kein Urteil gefällt werden wird, könnte dieses Hearing zu einer Art Schattenprozess werden.
Damit würde endlich auch Trumps Rolle am 6. Januar 2021 durchleuchtet werden. Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler hätten dann die Möglichkeit zu erfahren, was Trump vor und während des Sturms auf das Kapitol getan hat und sich ernsthaft zu überlegen, ob sie einen verurteilten Straftäter tatsächlich als Präsident haben wollen.
Man muss diese Personen mit ihren eigenen Waffen schlagen….
(Dies ist nicht als Aufruf zu Gewalt zu verstehen, ich bin Sarkastisch)