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Plötzlich spricht bei den Midterms einiges für die Demokraten

epa10139069 US President Joe Biden greets supporters after speaking at a rally for Maryland Democratic gubernatorial candidate Wes Moore at Richard Montgomery High School in Rockville, Maryland, USA,  ...
Joe Biden bei einem Wahlkampfauftritt in Maryland: Der Präsident und seine Partei haben Aufwind.Bild: keystone
Analyse

Plötzlich spricht bei den Midterms einiges für die Demokraten

Lange galt es als sicher, dass US-Präsident Joe Biden und seine Demokraten bei den Zwischenwahlen im November verprügelt werden. Jetzt haben sie Aufwind, vor allem dank eines Themas.
03.09.2022, 14:55
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Ausgerechnet Alaska. So lautete der deutsche Titel einer ziemlich schrägen Fernsehserie aus den 1990er-Jahren (im Original hiess sie «Northern Exposure»). Ausgerechnet Alaska, haben sich auch viele US-Politikbeobachter am Mittwoch gesagt. Der riesige, aber dünn besiedelte Bundesstaat im hohen Norden ist eigentlich eine Bastion der Republikaner.

Sie hatten den einzigen Sitz des Staates im Repräsentantenhaus während fast 50 Jahren gehalten. Nach dem Tod des bisherigen Amtsinhabers wurde eine Nachwahl fällig, deren Ergebnis am Mittwoch bekannt wurde. Dabei siegte die indigene Demokratin Mary Peltola gegen niemand geringeren als Ex-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin.

Democrat Mary Peltola smiles at supporters after delivering remarks at a fundraiser on Aug. 12, 2022, in Juneau, Alaska. Peltola is in two races on the Aug. 16, 2022, ballot in Alaska. One is the U.S. ...
Die indigene Demokratin Mary Peltola gewann überraschend die Nachwahl in Alaska.Bild: keystone

Das Wahlverfahren in Alaska ist ziemlich speziell. Und Palin ist trotz Unterstützung durch Donald Trump in ihrem Heimatstaat alles andere als unumstritten. Dennoch wurde Peltolas Erfolg als mittleres Erdbeben eingestuft. Und als weiteres positives Signal für Präsident Joe Biden und seine Demokraten im Hinblick auf die Zwischenwahlen am 8. November.

Demotiviert und deprimiert

Noch vor einem halben Jahr sah es stockfinster aus. Bidens ambitionierte Pläne steckten im Kongress fest. Die hohe Inflation machte der Bevölkerung zu schaffen. Die Popularitätswerte des Präsidenten sackten in den Keller. Es galt als praktisch sicher, dass die Demokraten ihre Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus verlieren würden.

Die Stimmung in der Partei war entsprechend mies, zwischen demotiviert und deprimiert. Die Republikaner würden sie windelweich prügeln, waren viele Demokraten überzeugt. Nun aber herrscht plötzlich Zuversicht. Gestützt wird sie durch eine aktuelle, am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des konservativen «Wall Street Journal».

Erfolge für Biden und seine Partei

So haben die Demokraten einen Vorsprung von drei Prozentpunkten auf die Republikaner bei der Frage, welche Partei die Wählerschaft in ihrem Wahlkreis bevorzugt. Bei der letzten Befragung im März lagen sie noch fünf Punkte hinter den Republikanern. Verantwortlich sind die parteilosen Wählerinnen und Wähler, die einen Schwenk nach links vollzogen haben.

Zu diesem Umschwung haben mehrere Entwicklungen der letzten Monate beigetragen:

  • Joe Biden und seiner Partei sind einige bemerkenswerte Erfolge gelungen, besonders die Verabschiedung einer wenn auch abgespeckten Version des «Build Back Better»-Programms. Das schlägt sich in den Beliebtheitswerten des 79-jährigen Präsidenten nieder. In der Umfrage des WSJ beurteilten 45 Prozent der Befragten seine Arbeit positiv.
  • Die Teuerung hat nicht mehr zugenommen, und der politisch besonders sensible Benzinpreis ist seit Wochen rückläufig. Der Arbeitsmarkt bleibt zudem überaus solid, was die Hoffnung verstärkt, dass der US-Wirtschaft trotz angekündigten weiteren Leitzinserhöhungen der Notenbank Fed eine hartnäckige Rezession erspart bleibt.
  • Bidens Vorgänger Donald Trump kommt nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. Die Hearings zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 liessen ihn in einem miserablen Licht erscheinen. Neue Enthüllungen zur FBI-Razzia in Mar-a-Lago zeigen zudem, dass der Ex-Präsident tatsächlich hochgeheimes Material in seiner Residenz gebunkert hatte.
  • Zum Problem für die Republikaner werden auch die Kandidatinnen und Kandidaten, die sich mit Trumps Unterstützung in den Vorwahlen durchgesetzt hatten, nicht nur in Alaska. Die Senatskandidaten in Arizona, Georgia, Ohio und Pennsylvania sind dermassen schwach, dass die Partei teilweise ungeplant Geld in ihre Wahlkämpfe pumpen muss.

Zum eigentlichen Sprengsatz für die Republikaner aber entwickelt sich das Thema Abtreibung. Immer mehr zeigt sich, dass die rechte Mehrheit des Obersten Gerichtshofs mit ihrem Entscheid vom Juni, das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil im Fall Roe vs. Wade zu kippen, einen schlafenden Löwen geweckt hat. Viele Frauen reagierten empört auf diese Bevormundung.

Frauen machen mobil

Die Zahl der registrierten Wählerinnen hat deutlich zugenommen, vor allem in Staaten, in denen das Recht auf Abtreibung stark eingeschränkt wurde oder werden soll. Einen spektakulären Erfolg erzielten sie Anfang August im erzkonservativen Kansas, wo das Stimmvolk die Streichung des Abtreibungsartikels aus der Verfassung klar abschmetterte.

Opponents of a total ban on abortion gather in the lobby of the South Carolina Statehouse on Tuesday, Aug. 30, 2022, in Columbia, S.C. (AP Photo/Jeffrey Collins)
Frauen demonstrieren gegen ein geplantes Abtreibungsverbot im Staat South Carolina.Bild: keystone

Manche Demokraten sahen in dem Ergebnis in Kansas einen Gamechanger im Hinblick auf die Midterms. Die Hoffnung ist nicht unberechtigt. In allen fünf Nachwahlen für das Repräsentantenhaus, die seit dem Urteil des Supreme Court stattfanden, konnten die Demokraten laut der «Washington Post» ihr Ergebnis gegenüber der Wahl 2020 steigern.

Siege dank «Pro Choice»

Das ist für ein Zwischenjahr ungewöhnlich. Letzte Woche konnten sie so einen hart umkämpften Wahlkreis im Bundesstaat New York wider Erwarten verteidigen, dank dem Thema Schwangerschaftsabbruch und obwohl New York in dieser Hinsicht ein «Safe State» ist. Auch Mary Peltola in Alaska hatte sich als «Pro Choice»-Kandidatin empfohlen.

Nun wollen die Demokraten im Hinblick auf die Midterms erst recht darauf setzen. Die Umfrage des «Wall Street Journal» verleiht ihnen Rückenwind. Demnach sind Abtreibungen zum Topthema für die Motivation der Wählerschaft aufgerückt, vor Inflation oder Kriminalität, mit denen die Republikaner eigentlich die Wahlen im November gewinnen wollten.

Mehrheit im Senat fast sicher

Jetzt flattern bei ihnen die Nerven. Einige Kandidaten haben ihre Websites von knallharten Anti-Abtreibungs-Statements «gesäubert». Andere betonen, sie würden im Kongress gegen ein landesweites Abtreibungsverbot stimmen. Dennoch gilt es für US-Politanalysten inzwischen als fast sicher, dass die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigen werden.

Blake Masters, who is running for the Republican nomination for U.S. Senate from Arizona, speaks on stage before President Donald Trump's speech at a Save America rally Friday, July 22, 2022, in  ...
Der republikanische Senatskandidat Blake Masters in Arizona versucht, seine früheren Anti-Abtreibungs-Parolen zu verschleiern.Bild: keystone

Selbst der republikanische Fraktionschef Mitch McConnell musste einräumen, es werde «eher das Repräsentantenhaus kippen als der Senat». Doch selbst bei der grossen Kammer wittern die Demokraten Morgenluft. Diese Hoffnung wirkt verwegen, auch weil viele Wahlkreise nach der Volkszählung 2020 im Sinne der Republikaner «umstrukturiert» wurden.

Tsunami wird zur Pfütze

Das Statistik-Tool Fivethirtyeight berechnet die Chancen auf einen Sieg der Demokraten mit 25 Prozent, wobei ein leichter Aufwärtstrend zu erkennen ist. Oder eine Dynamik. Für den auf «klassische» Analysen setzenden Cook Report jedenfalls ist eine republikanische Kontrolle des Repräsentantenhauses «nicht länger eine Selbstverständlichkeit».

Es wäre ungewöhnlich, wenn eine Regierungspartei in einem immer noch schwierigen Umfeld die Kontrolle über den Kongress bei den Midterms verteidigen könnte. Aber es ist in diesem speziellen Jahr kein Ding der Unmöglichkeit. Oder wie CNN analysierte: «Aus einem republikanischen ‹Tsunami› ist eine ‹Pfütze› geworden.»

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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stormcloud
03.09.2022 15:05registriert Juni 2021
Ich hoffe sehr, dass viele Amerikaner und besonders Amerikanerinnen aufgewacht sind, was ihnen da blüht, wenn die MAGA-Bande wieder Macht bekommt. Es wäre erfreulich, wenn Alaska den Auftakt zu einem demokratischen Siegeszug bei den Midterms gegeben hat!
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FrancoL
03.09.2022 17:03registriert November 2015
Ich finde es spannend und erfrischend dass in den USA die Frauen erwachen und so die erstarrten Krusten der REPs zum Wanken bringen. Ich hoffe dass die Frauen diesen Weg weiter beherzigen, das täte der Politik in den USA mehr als nur gut.
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N. Y. P.
03.09.2022 16:15registriert August 2018
Joe kann ein Glas Wasser mit einer Hand trinken. Und Joe trägt keine Windeln.

Nur schon das unterscheidet ihn von Klein - Donald.
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