Der Ausdruck «cringe» hat sich auch hierzulande durchgesetzt, hauptsächlich bei den Jungen. Er lässt sich mit «extremes Fremdschämen» übersetzen. Und «gecringed» haben gestern selbst die besten Kumpels von Donald Trump. Steve Bannon beispielsweise, sein ehemaliger Chefstratege, hat angewidert ausgerufen, er möge nicht mehr hinschauen. Michael Flynn, Trumps glückloser Sicherheitsberater, forderte wutentbrannt die Entlassung derjenigen, die für das Desaster verantwortlich sind. Was ist geschehen?
Vor Tagen hatte Trump angekündigt, er werde demnächst eine wichtige Botschaft verkünden. Aufgeregt rätselten die Fangemeinde und seine Freunde bei den konservativen Medien, was der Ex-Präsident wohl im Schilde führe. Wird er verkünden, mit wem er in den Wahlkampf ziehen wird? Hat er einen neuen Plan ausgeheckt, wie seinerzeit der Bau einer Mauer gegen Mexiko?
Gestern war es so weit, Trump hat seine «wichtige Botschaft» vorgestellt. Es stellte sich heraus, dass er damit gemeint hat, man könne nun von ihm zum Preis von 99 Dollar sogenannte «digital trading cards» kaufen, eine Art Panini-Bildchen, auf denen Trump in den verschiedensten Posen – Superman, Nascar-Fahrer, James Bond etc. – zu sehen ist.
Peinlich ist weit untertrieben, um zu beschreiben, was Trump damit angerichtet hat. Die Qualität der fotogeshoppten Bilder ist amateurhaft. Inhaltlich entsprechen sie in etwa dem, was sich ein Fünfjähriger in seinen kühnsten Träumen vorstellt. Selbst Putins Halbnacktbilder sind im Vergleich dazu wahre Kunstwerke. Und um die Peinlichkeit geradezu in die Stratosphäre zu katapultieren, werden sie von Trump mit den Worten angepriesen, er sei der grösste US-Präsident aller Zeiten, bedeutender als George Washington und Abraham Lincoln.
Dazu kommt, dass die Bildchen in digitaler Form als sogenannte NFTs angeboten werden. Die Abkürzung steht für «non-fungible tokens», einer Art digitale Kunst. NFTs erlebten zwar noch vor Jahresfrist einen gewaltigen Boom. Heute sind sie aber mega-out, toter als ihre Zwillingsschwestern, die Kryptos.
Die Reaktion auf Trumps neusten Streich sind verheerend ausgefallen. Den Witze-Schreibern für die verschiedenen Late-Night-Shows mag der Ex-Präsident einen freien Tag beschert haben. Allein das Abspielen des Videos sorgt für Lachsalven. Bei den konservativen Medien hingegen herrschte betretenes Schweigen. «Der Unglaube war mit den Händen greifbar», meldet die «New York Times».
Es ist tatsächlich schwer zu verstehen, dass ein amerikanischer Ex-Präsident sich aufführt wie ein schmieriger Abzocker auf einem Werbekanal. Doch Trump braucht dringend Geld. Nach seiner Wahlniederlage konnte er noch locker rund 100 Millionen für sein Wahlkampfkonto einsammeln. Dieses Geld geht aber weitgehend für Anwaltskosten drauf. Der Ex-Präsident hat inzwischen so viele Verfahren am Hals, dass man sie nicht mehr zählen mag.
Doch der Geldsegen ist versiegt. Seit seiner Ankündigung, erneut für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen, sind gerade mal vier Millionen auf sein Konto geflossen. Vor allem die potenten Mäzene wenden sich von Trump ab. Auch sie haben erkannt, was Senator Mitt Romney offen ausspricht. Der Ex-Präsident sei ein «Todeskuss für jeden, der eine Wahl gewinnen wolle», so Romney.
Seit den Zwischenwahlen befindet sich Trump in einem Dauertief. Zu offensichtlich ist es, dass er einen wesentlichen Anteil an der Schlappe der Republikaner hat. Die Kandidaten, die seine Big Lie verbreiteten, haben alle verloren. Besonders schmerzhaft war die jüngste Niederlage von Herschel Walker in Georgia. Dieser war nicht nur ein von Trump gekrönter Kandidat, seine Niederlage hat auch zur Folge, dass die Demokraten ihre hauchdünne Mehrheit im Senat nicht nur verteidigen, sondern gar um einen Sitz erweitern konnten.
Trump kommt nicht mit Niederlagen zurecht. Seine Ankündigung, erneut zu kandidieren, kam zu früh und die Ankündigungsrede war so langweilig, dass selbst Fox News sich ausblendete. Um Aufmerksamkeit zu erregen, traf sich der Ex-Präsident mit dem Hitler-Fan Kanye West und dem Holocaustleugner Nick Fuentes. Auch das war ein Schuss ins eigene Knie, und als Trump gar noch die Verfassung – das Heiligste des Heiligen der Amerikaner – infrage stellte, löste er selbst in konservativen Kreisen Kopfschütteln aus.
All dies zeigt Wirkung. Selbst die QAnon-Sekte kehrt Trump offenbar den Rücken. Ihr neuer Heilsbringer ist gemäss «Washington Post» ausgerechnet Elon Musk, der nun den «grossen Sturm» anführen und die Welt von der Kinder fressenden liberalen Elite befreien soll.
Jüngste Umfragen zeigen, dass selbst die Republikaner sich von Trump ab- und seinem schärfsten Rivalen, Ron DeSantis, zuwenden. Der Gouverneur aus Florida liegt derzeit 13 Prozentpunkte vor Trump. Die Politik des Ex-Präsidenten ist zwar nach wie vor beliebt. Von seinen Eskapaden haben jedoch selbst die Republikaner allmählich die Schnauze voll.
DeSantis wird gerne als «Trump mit einem Gehirn» bezeichnet. Ob dies reicht, sich auch auf der nationalen Bühne durchzusetzen, wird sich allerdings noch weisen müssen. Regionale Stars stürzen auf der nationalen Bühne nicht selten grausam ab. Wer erinnert sich beispielsweise noch an den hoffnungsvollen Präsidentschaftskandidaten Beto O’Rourke?
Und DeSantis hat null Charisma. Er gilt als kalt und abweisend. Im Magazin «The Atlantic» zitiert Mark Leibovich den republikanischen Lobbyisten Mac Stipanovich wie folgt: «Ich lasse mir lieber ohne Anästhesie einen Zahn ziehen, als einen Tag zusammen mit DeSantis auf einem Boot zu verbringen.» Stipanovich ist auch überzeugt, dass selbst ein schwer angeschlagener Trump DeSantis in einem Rededuell besiegen wird. «Er wird ihn niederknüppeln wie eine Baby-Robbe.»