International
Anonymous

USA attackieren 85 Ziele in Syrien und im Irak – was wir wissen

USA attackieren 85 Ziele in Syrien und im Irak – die wichtigsten Fragen und Antworten

Die USA haben 85 Ziele in Syrien und dem Irak angegriffen – ein Vergeltungsschlag für den Tod dreier US-Soldaten in Jordanien. Ein EU-Chefdiplomat warnt vor einer Eskalation im Nahen Osten. Der Überblick.
03.02.2024, 06:3804.02.2024, 04:00
Mehr «International»

Was ist passiert?

Sieben Einrichtungen und 85 Ziele wurden im Zuge dieses Angriffs, der nur etwa 30 Minuten gedauert haben soll, in Syrien und im Irak attackiert. Darunter seien Kommandozentralen, Geheimdienst-Standorte und Waffenlager, die von den iranischen Revolutionsgarden (IRGC) und mit ihnen verbundenen Milizen genutzt würden, hiess es.

Der hochrangige US-Militär Douglas Sims erklärte während eines Hintergrundgesprächs mit Medienschaffenden, dass die Vergeltungsschläge erfolgreich gewesen seien. Zum Einsatz kamen dabei auch Langstreckenbomber des Typus B-1, die in den USA abhoben. (Die strategischen Bomber können in der Luft aufgetankt werden.)

Wie viele Todesopfer gibt es?

Laut Aktivisten und staatlichen Angaben sind mindestens 45 Menschen getötet worden.

Unter den 16 Todesopfern im Irak seien auch Zivilisten, teilte ein Regierungssprecher in Bagdad am Samstag mit. Eine Zahl nannte er nicht. Zudem habe es 36 Verletzte gegeben sowie Schäden an Wohngebäuden und an Privatbesitz.

Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London zufolge wurden in Syrien mindestens 29 Mitglieder proiranischer Milizen getötet.

Über die Zahl der getöteten Menschen wollten sich die USA nicht äussern. Generalleutnant Douglas Sims zeigte sich im Hintergrundgespräch überzeugt davon, dass die US-Militärs «exakt» die richtigen Stellungen getroffen hätten. Die Frage, ob es bereits zu Gegenschlägen der pro-iranischen Milizen gekommen sei, beantwortete er negativ.

Was will Joe Biden?

Joe Biden will keinen regionalen Krieg im Mittleren Osten, in den auch der Iran hineingezogen würde. Dies beteuerte der amerikanische Präsident am Freitag erneut – kaum hatten die US-Streitkräfte bekannt gegeben, dass sie Vergeltung für den Tod dreier amerikanischer Soldaten am vergangenen Sonntag in Jordanien geübt hätten. Zahlreiche weitere Soldaten wurden verletzt.

Am Mittwoch schrieb die US-Regierung die Attacke offiziell einer Gruppe mit dem Namen «Islamischer Widerstand im Irak» zu, die den Angriff zuvor bereits für sich reklamiert hatte. Beim Islamischen Widerstand im Irak handelt es sich um eine Art Dachgruppe für pro-iranische Milizen im Irak, die seit den Terrorakten der islamistischen Hamas vom 7. Oktober in Israel gemeinsam unter diesem allgemeinen Namen auftreten.

Washington hofft, dass Teheran sich die zahlreichen Organisationen, die es in der Region mit Waffen, Geld oder strategischen Ratschlägen unterstützt, vorknöpfen wird. Ziel ist es, die anhaltenden Attacken gegen amerikanische Soldatinnen und Soldaten zu stoppen, die in der Region stationiert sind.

Gleichzeitig signalisiert Biden aber auch, dass er nicht aufs Ganze gehen will, wie der US-Korrespondent Renzo Ruf in den CH-Media-Titeln schreibt. Eine Attacke gegen Ziele auf iranischem Territorium sei nicht geplant, sagte am Freitag John Kirby, ein Sprecher des Präsidenten. Vielmehr kündigte Kirby an, dass die Attacken gegen pro-iranische Kräfte weitergehen würden, bis die Gefahr für die USA gebannt sei.

Biden liess sich zu diesem Thema mit den Worten zitieren:

«Wenn Sie einem Amerikaner Schaden zufügen, werden wir darauf reagieren.»

Weiter erklärte er: «Unsere Reaktion hat heute begonnen. Sie wird fortgesetzt zu Zeiten und an Orten unserer Wahl.»

Wie reagieren der Irak und Syrien?

Die Frage ist nun: Wie werden der Iran – und die mit Teheran verbündeten Milizen in Syrien und im Irak – auf die amerikanischen Luftschläge reagieren?

Der Sprecher des Oberbefehlshabers der irakischen Streitkräfte drohte:

«Die US-Angriffe stellen eine Bedrohung dar, die den Irak und die Region in unvorhersehbare Konsequenzen hineinziehen wird, und ihre Folgen werden für die Sicherheit und Stabilität im Irak und in der Region schrecklich sein.»

Der irakische Regierungssprecher Bassim al-Awaudi sprach von einer «neuen Aggression der US-Regierung auf die Unversehrtheit des Irak». Dies werde die Sicherheit des Iraks und der Region an den Rand des Abgrunds treiben.

Das irakische Aussenministerium bestellte den Geschäftsträger der US-Botschaft im Irak, David Burger, ein, da die US-Botschafterin ausser Landes war. Man werde Burger eine Protestnote überreichen, hiess es in Bagdad.

Präsident Abdul Latif Raschid berief eine Notfallsitzung der wichtigsten Kräfte in der Regierung sowie der politischen Blöcke ein, um über die Konsequenzen der US-Angriffe zu beraten und eine «klare und vereinte Haltung» zu finden. Ministerpräsident Mohammed al-Sudani erklärte eine dreitägige Staatstrauer.

Das syrische Verteidigungsministerium erklärte, die Angriffe seien «ein Versuch, die Fähigkeiten der syrischen Armee und ihrer Alliierten beim Kampf gegen Terrorismus zu schwächen. Die »US-Aggression« habe mehrere Zivilisten und Militärangehörige getötet und schwere Schäden verursacht, teilte das Ministerium der Staatsagentur Sana zufolge mit. In der vom US-Militär angegriffenen Gegend laufe der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), hiess es.

Wie geht es auf internationalem Parkett weiter?

Die US-Raketenschläge gegen proiranische Milizen in Syrien und im Irak sollen den Weltsicherheitsrat in New York beschäftigen. Ein Treffen des mächtigsten UN-Gremiums ist Diplomatenkreisen zufolge für Montag um 22 Uhr MEZ vorgesehen. Russland hatte die Sitzung angefragt und den USA vorgeworfen, mit den Luftschlägen gezielt eine Eskalation des Konflikts im Nahen Osten herbeiführen zu wollen.

Russland, das selbst einen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die benachbarte Ukraine führt, kritisiert regelmässig das Vorgehen der USA im Nahen Osten.

Was bedeutet der US-Angriff für die Lage im Nahen Osten?

Die Sorge vor einer länderübergreifenden kriegerischen Eskalation in der Region wächst.

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hat nach den US-Vergeltungsschlägen gegen pro-iranische Milizen im Irak und in Syrien vor einer weiteren Zuspitzung der Spannungen gewarnt. Der Spanier sagte am Samstag am Rande eines informellen EU-Aussenministertreffens in Brüssel:

«Der Nahe Osten ist ein Kessel, der explodieren kann.»

Man rufe alle Beteiligten auf, sich darum zu bemühen, eine Eskalation zu vermeiden.

Der Iran hat die US-Luftangriffe auf Dutzende Stellungen proiranischer Milizen im Irak und in Syrien scharf verurteilt. Aussenamtssprecher Nasser Kanaani sagte am Samstag:

«Diese abenteuerlustigen Angriffe werden lediglich zu noch mehr Spannungen und Instabilität in der Region führen.»

Dies sei eine «strategische Fehlkalkulation» der US-Regierung und werde Washington nur noch weiter in den Konflikt zwischen Israel und Palästina hereinziehen, so der Sprecher.

Was ist mit den kürzlich getöteten US-Soldaten?

US-Präsident Joe Biden hatte vor Beginn der Attacken auf dem Luftwaffenstützpunkt in Dover (Delaware) an einer Zeremonie teilgenommen, an der die Leichname der drei getöteten amerikanischen Soldaten William Rivers (46), Kennedy Sanders (24) und Breonna Moffett (23) mit militärischen Ehren empfangen wurden.

epa11121833 US President Joe Biden (L) and First Lady Jill Biden (R) watch a US Army carry team move a flag-draped transfer case containing the remains of a fallen US service member during a dignified ...
Joe und Jill Biden während der Zeremonie.Bild: keystone

Die drei US-Soldaten waren am vergangenen Sonntag bei einem nächtlichen Drohnenangriff auf einen kleinen US-Aussenposten («Tower 22») an der jordanischen Grenze zu Syrien getötet worden. Für diese Attacke verantwortlich zeichnet mutmasslich eine pro-iranische Miliz im Irak.

Kirby beteuerte allerdings während des Hintergrundgesprächs, zwischen der Zeremonie und den Vergeltungsschlägen bestehe «überhaupt kein» zeitlicher Zusammenhang. Vielmehr, sagte ein hochrangiger Militär, sei der Freitag aufgrund des guten Wetters gewählt worden.

So brodelt es im Nahen Osten

Seit Beginn des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Oktober haben pro-iranische Milizen fast täglich Angriffe auf US-Militärstützpunkte im Irak und in Syrien verübt. Die US-Regierung reagierte darauf bereits zuvor mit Luftschlägen in beiden Ländern – allerdings in geringerem Ausmass als die neue konzertierte Aktion.

Seit dem 7. Oktober tritt der Islamische Widerstand im Irak als Einheit auf. Zu der Gruppe gehört die vom Iran unterstützte Kataib Hisbollah. Sie zählt zu den stärksten Milizen im Irak und fordert den Abzug der US-Truppen aus dem Land. Der Nordosten Jordaniens, wo sich die tödliche Attacke mit den US-Soldaten ereignete, grenzt sowohl an Syrien als auch an den Irak.

Ausserdem greifen die jemenitischen Huthi – aus Solidarität mit der Hamas – immer wieder Frachter im Roten Meer an. Als Reaktion darauf haben die USA und Grossbritannien mit der Unterstützung Verbündeter Militärschläge gegen die vom Iran unterstützte Huthi-Miliz im Jemen ausgeführt. Die US-Luftschläge schreckten die Milizen bisher nicht vor weiteren Angriffen ab.

(yam, mit Material von CH Media / Renzo Ruf / sda / dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
220 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Rumpelstilz aka Motzbrocken
03.02.2024 07:43registriert November 2023
Wo man hinsieht: Mord und Totschlag, Zerstörung und blinder Hass / Wut…..

Weit hat es der Mensch gebracht. Und eine Besserung scheint nicht in Sicht.

Es wird einem nicht leicht gemacht, noch irgendwie positiv an die Zukunft zu denken.
12319
Melden
Zum Kommentar
avatar
Steibocktschingg
03.02.2024 09:22registriert Januar 2018
Schritt für Schritt eskaliert die Situation weiter bis es irgendwann komplett ausser Kontrolle gerät. Mir kommen Assoziationen zum Europa vor dem 1. Weltkrieg: Niemand wollte wirklich einen Krieg, aber es wurde dennoch munter immer weiter mit dem Säbel gerasselt, Nadelstiche versetzt, beleidigte Leberwurst gespielt, aufgerüstet, gedroht und irgendwann waren die Spannungen so gewaltig, dass ein Attentat alles in Brand setzte. Die Konsequenzen kennen wir...
7714
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rivka
03.02.2024 07:54registriert April 2021
Tja, die Mollahs und ihre Mördertruppen dachten wohl, dass es keine Konsequenzen für ihre niederträchtigen Anschläge geben wird. Sie wurden übermutig und fingen an zu wüten. Bin ich froh, dass es in der Region wieder mal 'chlöpft'? Natürlich nicht, aber jede Dummheit hat einen Preis. 🤷🏻‍♀️
10855
Melden
Zum Kommentar
220
Auslieferung an Italien: Ex-Mitglied der Roten Brigaden in Argentinien verhaftet

Fast ein halbes Jahrhundert nach der Ermordung des italienischen Ex-Ministerpräsidenten Aldo Moro ist in Argentinien ein ehemaliges Mitglied der Terrorgruppe Rote Brigaden verhaftet worden. Dies teilten Polizei und Regierung in Rom mit.

Zur Story